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In den Parteistrukturen gefangen

Von Simon Rosner

Politik

Personelle Entscheidungen von Parteien sind manchmal schwer nachvollziehbar. Warum passiert das? ÖVP und SPÖ hatten stets komplizierte Strukturen, formelle und informelle - in Zeiten der Krise ist das verheerend.


Dass am Tag nach einer historischen Wahlniederlage der Geschäftsführer dieser Partei den Hut nimmt, ist leicht nachvollziehbar. Dass zum Nachfolger ausgerechnet der erfolglose Wahlkampfmanager bestellt wird, der Jahre zuvor bereits als Geschäftsführer der Wiener Landesgruppe unter nicht ganz geklärten Umständen ausgeschieden ist, erscheint dann schon weniger logisch. Und das ist noch höflich formuliert. Genau das ist jedoch bei der SPÖ am Montag passiert.

Und doch ist gerade diese Personalentscheidung, Christian Deutsch zum Nachfolger Thomas Drozdas zu machen, keineswegs außergewöhnlich. Im Gegenteil. Gerade bei den altehrwürdigen Volksparteien, und zwar im Inland wie im Ausland, sind Entscheidungen und Entscheidungsfindungen dieser Art eher der Normalzustand. Eine langfristige, strategische Personalplanung findet kaum statt. Meist sind es prozesshafte Entscheidungen, die keiner inhaltlichen Logik zu folgen scheinen, sie sind oft kurzfristig, erratisch und für Außenstehende völlig unverständlich.

Diesmal steht die SPÖ im Fokus der medialen Aufmerksamkeit, nachdem sie bei der Wahl noch deutlich schlechter als befürchtet abgeschnitten hat. Doch die Liste ähnlicher Entscheidungen, auch bei anderen Parteien, ist lang. Die ÖVP hatte zuletzt neun Generalsekretäre in nur zehn Jahren, das gleicht schon fast dem Trainerdrehkreuz bei Austria Wien.

Dieses personelle Irrlichtern könnte auf ein strukturelles Problem hinweisen. Tatsache ist nämlich auch, dass sowohl SPÖ wie ÖVP in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Veränderungsprozesse ins Leben gerufen haben. Offenbar sind also gewisse Systemfehler in diesen Organisationen durchaus erkannt worden. Erfolgreich waren diese Prozesse allerdings bisher nicht.

"Das liegt an den sehr verschachtelten, komplexen Strukturen. Vieles ist historisch gewachsen. Eine große Statutenreform hat die SPÖ aber nie zusammengebracht", sagt der Politikwissenschafter Peter Filzmaier. Am Montag waren bei der SPÖ zwei Gremien hintereinander zusammengetreten. Erst das Präsidium, das unter anderem die laufende Verwaltung überwacht und gewisse Ausgaben innerhalb eines vorgegeben Budgets genehmigt. Danach traf sich der Parteivorstand, er ist weit größer und umfasst 55 Funktionäre. Es ist das wichtigere Gremium der Partei, und dieses hat auch Christian Deutsch zum neuen Bundesgeschäftsführer gemacht.

Das ist aber nur die formale Struktur. Die SPÖ hat sie auf 40 Seiten festgeschrieben, bei der ÖVP umfasst das Statut die Hälfte. Die ÖVP ist allerdings durch ihre bündische Struktur noch komplizierter organisiert. Und das haben vor Sebastian Kurz einige Parteiobleute der ÖVP auch zu spüren bekommen. Doch zu Kurz und der (vielleicht) neuen Volkspartei etwas später.

Ungeschriebene Gesetzeder Parteilogik

Was diese beiden Partei-Säulen der Zweiten Republik eint, ist aber eine zweite Ebene der Hierarchie. Sie ist nirgendwo festgeschrieben. Das sind zum einen ungeschriebene Gesetze der Personalpolitik, beispielsweise, dass bei einer Regierungsbeteiligung der SPÖ die Gewerkschaft das Sozialministerium besetzen darf und bei der ÖVP der Bauernbund das Agrarministerium und der Wirtschaftsbund das Wirtschaftsministerium. Weil es einfach immer so war.

Zum anderen ist es stets relevant, wie eine solche Entscheidungsstruktur gelebt wird. Kann der Parteichef oder die Parteichefin die Richtung vorgeben? Die innerparteiliche Stärke der Parteiführung hängt sicher nicht nur, aber doch zu einem großen Teil von Macht ab. Wolfgang Schüssel hat sich als Kanzler anders gegenüber den Landesparteichefs und ÖVP-Bünden behaupten können als in der Zeit als Vizekanzler.

Es gibt die Anekdote von Wiens ehemaligem Bürgermeister Michael Häupl, der einst bei einem gemeinsamen Heurigenbesuch mit Erwin Pröll gescherzt hatte, dass es "uns wurscht ist, wer unter uns Kanzler ist". Nun ist es naheliegend, dass der Bürgermeister des Roten Wiens ein gewichtiges Wort auch bei bundespolitischen Entscheidungen mitreden kann. Und bei der ÖVP und den großen Flächenbundesländern Niederösterreich und Oberösterreich ist es nicht anders, sie waren immer in schwarzer Hand.

Doch dass in Wahrheit die mächtigen Länder alle Entscheidungen treffen, wie Häupls Witz suggeriert und teilweise auch von politischen Mitbewerbern so dargestellt wird, ist auch nicht der Fall. Auch zu ihren Hochzeiten mussten sowohl Pröll als auch Häupl immer wieder feststellen, dass auch ihre Entscheidungsbefugnis endenwollend ist, wenn sich innerparteilich andere Allianzen bildeten. Das mag bei Ministerbesetzungen verschmerzbar sein, der Rücktritt Werner Faymanns war es für die Wiener SPÖ nicht. Bis heute.

Auch die Geschehnisse damals folgten keinem Plan, keiner übergeordneten Strategie. Die SPÖ war vielmehr in eine akute Krise geschlittert, als auf Rudolf Hundstorfer bei der Präsidentschaftswahl nur 11 Prozent entfielen. Während in rosigen Zeiten die Parteigremien nur Zustimmungszirkel für die Wünsche der Vorsitzenden sind, ist das in Krisenzeiten anders. Doch gerade dann bräuchte es eigentlich Entscheidungsstrukturen, um vernünftige und langfristig sinnvolle Entscheidungen zu treffen.

Der Organisationsberater Martin Gössler, der mit NPOs und für die öffentliche Verwaltung tätig ist, sagt: "In einer dummen Organisation haben auch intelligente Menschen keine Chance." Und gerade in Krisenzeiten agieren Parteien, und nicht nur die SPÖ, oft hektisch, unüberlegt und erratisch. Das war auch beim Rücktritt Drozdas zu sehen. "Es ist symptomatisch, wie unglaublich schnell diese Entscheidungen getroffen werden", wundert sich der Politikberater Yussi Pick. "Es gibt dafür keinen Grund." Zum Beispiel hätte bei der SPÖ interimistisch Drozdas Stellvertreterin Andrea Brunner übernehmen können, damit hätte die Partei Zeit für die Personalsuche gehabt. Die Neos schreiben solche Jobs überhaupt aus. Sie erhoffen sich dadurch bessere Bewerber, mehr Qualität und Know-how. Aber so funktionieren die alten Parteien nicht.

Bei einer solchen Vakanz besteht nämlich immer die Gefahr, dass nicht steuerbare Dynamiken zu wirken beginnen, und dann kann auch schon einmal eine Parteiführung vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Auch die Wechsel von Faymann zu Kern und von Kern zu Rendi-Wagner folgten keiner strategischen Überlegung. Bei Faymanns plötzlichem Abschied musste alles schnell gehen, brachten die einen schon Christian Kern ins Spiel, während Michael Häupl gerne Gerhard Zeiler gehabt hätte, sich aber eben nicht mehr durchsetzen konnte. Kern übernahm die Partei, konnte aber erst danach sein Team aufbauen. Ein Unternehmen, das in dieser Art und Weise die Nachfolge des Vorstandschefs regelt, wird wohl kaum aus einer Krise finden. Bei Parteien ist es aber fast immer so.

"In Krisen können sich aber auch alte Organisationen neu aufstellen", sagt Gössler. Bei Parteien scheint das sehr schwer zu sein, bei anderen Organisationen, sogar mit ähnlichen Strukturen und inneren Dynamiken, gibt es aber Beispiele, wie es gehen kann. Denn auch große Sportverbände müssen heute ganz anderes funktionieren, als das vor Jahrzehnten der Fall war. Die Entscheidungsstrukturen von einst haben sich überlebt.

Bis vor wenigen Jahren hatte der Österreichische Fußballbund noch eine relativ amateurhafte Organisationsstruktur. Schon vor Jahrzehnten hatte sich freilich der ehemalige Trainer Max Merkel lustig gemacht, dass das Einzige, das beim ÖFB funktioniere, die Mittagspause sei. Aber mit diesem ÖFB hat der gegenwärtige Verband eben nichts mehr zu tun. Als einer der ersten Sportverbände in Österreich hat sich der ÖFB vor rund zehn Jahren strukturell erneuert. Da wesentliche Entscheidungen heute schnell, konzise und einem strategischen Plan folgend getroffen werden müssen, war klar, dass es nicht sehr erfolgsfördernd ist, wenn die operative Führung ständig zwischen ehrenamtlichen Landespräsidenten einen Konsens suchen muss.

Auch beim Fußball gilt natürlich: In guten Zeiten ist es immer leicht und hat die Führung die nötige Autorität, Entscheidungen zu treffen. Auch beim ÖFB mischte sich niemand ein, wenn es grad gut lief. Aber bekanntlich war das früher nicht so oft der Fall, und dann wurde es mühsam. Heute, nach der Reform und der Auflösung einiger Gremien, ist die Leitungskompetenz des Verbandes auch formal ein Hauptamt geworden, und das Präsidium entspricht mehr oder weniger einem Aufsichtsrat.

Können sich alte und über viele Jahre gewachsene Parteien auch erneuern? Matthias Strolz ist einer, der einmal versuchte, eine große Partei, die ÖVP, von innen heraus zu reformieren. Er war damit nicht erfolgreich. Später gründete er eine eigene Partei, die Neos, die am Sonntag, bei ihrer dritten Nationalratswahl zum dritten Mal gewachsen ist und über acht Prozent holen konnte. Strolz war jahrelang auch Unternehmensberater, seine Dissertation trägt den Titel: "Das Veränderungskonzept der Organisationsentwicklung in politischen Institutionen".

Parteien sindkeine Unternehmen

Strolz sagt: "Eine lineare Personalplanung ist in Parteien nicht möglich." Er nennt vor allem drei Merkmale, die politische Parteien von klassischen Unternehmen unterscheiden: "Ein wesentlicher Systemunterschied ist die Betriebslogik. Es geht nicht um Gewinnmaximierung, sondern um Machtgewinn, Machterhalt und Machtausübung. Jeder strebt danach." Ein zweiter wichtiger Punkt sei, dass nur alle paar Jahre das Produkt gehandelt wird, nämlich am Wahltag. "Das ist der Point of Sale für eine Partei", sagt Strolz.

"Man muss sich einmal vorstellen, dass Pampers nur einmal alle vier Jahre Windeln verkaufen könnte. Das führt zu einer hysterischen Fokussierung auf den Wahltag. Alle anderen Prozesse, die in der Organisation laufen, werden entweder abgebrochen oder nach hinten sortiert", sagt Strolz. Auch diese Fokussierung auf die Wahltermine samt oftmaliger inhaltlicher wie personeller Zäsuren in den Tagen danach, erschwert eine strategische Planung. Ein anderer Punkt ist die Ausbildung und Beförderung des Personals. Auch hier können Parallelen zum Fußball gezogen werden. Österreich hat da auch eine Geschichte aufzuweisen, zahlreiche Klubs haben lange Zeit routinierte Spieler aus dem Ausland erworben statt eigene Talente ausgebildet. Das hat sich mittlerweile geändert.

In der Politik gibt es aber noch weniger gute Jobs als im heimischen Fußball. "Es gibt schon Nachwuchsprogramme in der Politik", erzählt Strolz. Dafür sorgen unter anderem auch die Parteiakademien. Strolz war selbst an der Entwicklung eines solchen Programms für den Wirtschaftsbund beteiligt. "Es ist schwierig, weil es quasi ein Lipizzaner-Programm ist", sagt Strolz. Am Ende solcher Ausbildungen stellt sich die Frage, wo diese jungen, oft sehr engagierten Leute beschäftigt werden sollen. Man will sie nicht verlieren, hat aber oftmals keine Stellen für sie. "Das kann man nicht planen. In der Politik gibt es lange nichts, und dann wird innerhalb kurzer Zeit alles auf den Kopf gestellt", sagt Strolz. Dabei geht es nicht nur um Kandidatinnen und Kandidaten für die diversen Wahlen, sondern eben auch um Mitarbeiter, die inhaltlich in den Ministerien, den Vorfeldorganisationen, im Parlament oder den Bundes- und Landesparteien arbeiten.

Hier kommt Sebastian Kurz ins Spiel. Unter ihm hatte die JVP Mentoringprogramme ins Leben gerufen, die es bis heute gibt. Dort lernen die Jungen über politisches Handwerk, Campaigning, Rhetorik und Marketing. Viele von ihnen arbeiten in den Büros der ÖVP und ihren diversen Organisationen oder in Ministerien. Und der Mann, der diese Programme damals organisierte, war später Kabinettschef von Kurz: Bernhard Bonelli.

Kurz hat die komplizierte Struktur seiner Partei zum eigenen Vorteil zu nutzen verstanden. Irgendwann saßen an wichtigen Schalthebeln Vertraute, die durch die Schule der JVP gegangen waren. An den formalen Strukturen selbst hat Kurz gar nichts geändert. Er konnte sich aber durch die eigenen Beliebtheitswerte einerseits und die prekäre Situation der ÖVP andererseits so gute Bedingungen aushandeln, dass er und sein hochprofessionelles Team in Ruhe und strategisch agieren können.

Seine Vorgänger sind allesamt aus den Strukturen der Partei hervorgegangen, meist als personelle Kompromisse der verschiedenen Bünde. Auch Kurz kam aus der Partei, ging aber doch einen gänzlich anderen Weg. Und mit der Übernahme der Kanzlerschaft konnte er auch bald Macht bieten, die eben vieles erleichtert. Die Landesparteien profitieren von dieser neuen Situation ebenfalls. "Wenn die gemeinsame Aufgabe aus dem Auge gerät, brechen interne Konflikte aus", sagt Unternehmensberater Martin Gössler. Das ist bei der SPÖ gegenwärtig gut zu beobachten, nicht zuletzt, weil die Macht abhandenkam. Und diese ist, wie Strolz sagt, Wesenszweck einer politischen Partei.

Wie schnell sichdie Dinge ändern

Auch Christian Kern hatte einen Ansatz gewählt, der jenem von Kurz glich. Er konnte aber nichts vorbereiten, konnte sein Team erst nach Übernahme der Partei aufbauen, und er hatte, anders als Kurz, keine Verbündeten über Jahre aufbauen können. Und dennoch, für ein paar Monate hatte die SPÖ auf einmal wie eine moderne Partei gewirkt, mit schlanker Führungsstruktur und einem populären Kandidaten, der mit dem "Plan A" etwas Neues und Spannendes auch inhaltlich präsentierte. Die ÖVP dagegen? Ein alternder Funktionärskreis, der sich gegen die Interessen der Länder nicht behaupten kann. Doch dann drehte sich eben alles. So schnell kann es manchmal gehen.

Wie Kern hat Kurz versucht, eine alte Organisation zwar nicht strukturell zu erneuern, aber ihr etwas Neues überzustülpen. Im Fall der ÖVP sogar eine neue Farbe und ein neuer Name. "Kurz hat eine Wahlplattform gemacht, hochprofessionell und erfolgreich", sagt der einstige Mitbewerber Strolz. Die ÖVP geändert habe er aber deshalb nicht. "Und wenn er einmal abtritt, dann wird die ÖVP implodieren." Freilich, ob es so kommt, wird erst die Zukunft weisen, aber die gegenwärtige Entwicklung der SPÖ nach Kern stärkt das Argument von Strolz, dem Organisationsentwickler und Ex-Politiker. "Aus systemischer Sicht ist eine Organisation ein Lebewesen", sagt Strolz. "Und Lebewesen können sterben."