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Morde in Beziehungen

Von Martina Madner und Petra Tempfer

Politik

Die Polizei arbeitet an der Aufklärung des fünffachen Mordes in Kitzbühel. Aufklärung gelinderer Fälle sowie an Schulen kann ebenfalls vor eskalierender Gewalt schützen.


Tatortarbeit, also das Sichern von Spuren, Zeugenbefragungen, Vernehmungen und die Obduktion der Leichen: Die Polizei arbeitete am Montag alle notwendigen Schritte nach dem Fünffachmord Sonntagfrüh in Kitzbühel ab. Ein 25-Jähriger wird verdächtigt, seine 19-jährige Ex-Freundin, deren neuen Freund (24), deren Vater (59), Mutter (51) und Bruder (25) erschossen zu haben. Tatwaffe war die Pistole des Bruders des Verdächtigen, die in einem Tresor aufbewahrt war und die der Verdächtige nach seinem ersten Besuch beim Haus seiner Ex-Freundin holte, nachdem ihn der Vater an der Haustür abgewiesen hatte.

Noch Sonntagvormittag stellte sich der 25-Jährige bei der Polizeiinspektion Kitzbühel selbst. Am Montag wurde gegen ihn am Landesgericht Innsbruck laut Staatsanwaltschaftsprecher die Untersuchungshaft verhängt. Noch am Sonntagnachmittag war er nach Innsbruck überstellt worden.

57 Prozent der Täterkennen das Opfer

Gewalt in diesem extremen Ausmaß ist selten. Ein Blick in die Kriminalstatistik zeigt aber, dass die Gefahr, Opfer von Gewalt zu werden, häufig im Familien- oder Bekanntenkreis lauert. Insgesamt wurden laut Bundeskriminalamt im Vorjahr 69.426 Gewaltdelikte österreichweit angezeigt: In 21.297 Fällen gab es ein Bekanntschaftsverhältnis und in 18.714 Fällen eine familiäre Beziehung. In anderen Worten: Bei mehr als der Hälfte der Anzeigen, konkret 57 Prozent, kannte der oder die Täterin das Opfer.

Von den 72.567 Tatverdächtigen waren 85,3 Prozent männlich und 14,7 Prozent weiblich. Unter den Opfern waren 46.934 Männer und 34.836 Frauen. Was die Anzahl der Morde betrifft, so ist diese der polizeilichen Kriminalstatistik zufolge seit 2014 stetig gestiegen: Wurden im Jahr 2014 insgesamt 19 Frauen ermordet, so waren es im Vorjahr bereits 41 (von 73 Morden).

Drohungen ernstnehmen statt Motivsuche

Am Tatort in Kitzbühel erinnern mehrere Kerzen und Rosen, die in der Hauseinfahrt liegen, an die Opfer. Die Haustür wurde mit einem Polizeiabsperrband versiegelt. Normalität wird in dem abgelegenen Kitzbühler Ortsteil aber vermutlich noch lange nicht einkehren. Unter den Bewohnern ist die Tat freilich das Gesprächsthema Nummer eins. Die SPÖ Langenzersdorf postete erst "#nächsterFPÖAmoklauf", nach der Kritik löschten die Urheber das zwar, ihnen droht aber noch der Parteiausschluss. Einen solchen vollzog die FPÖ Kitzbühel dagegen am Sonntag - und zwar gegen den mutmaßlichen Täter. Er war 2014 als Jugendreferent Mitglied der Stadtparteileitung der FPÖ Kitzbühel, dann einfaches Mitglied.

Medien spekulieren bereits über Motive. In einer APA-Meldung ist von "Eifersucht" und "Zurückweisung" die Rede. Rosa Logar, Leiterin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt, ärgert eine solche Verharmlosung: "Hier wurden kaltblütig wehrlose Menschen ausgelöscht. Eifersucht als menschliches Gefühl, das jeder schon einmal erlebt hat, ist keine Erklärung dafür - und schon gar keine Rechtfertigung."

Ein Boulevardblatt schreibt darüber, dass die Tat "nicht annähernd absehbar war". Das wiederum zieht Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des Vereins Autonome Frauenhäuser, in Zweifel. Im Umfeld sei das negative Frauenbild späterer Täter oft durchaus bekannt. Klarer Widerspruch insbesondere von Autoritätspersonen bremse manche ein.

In der Regel gab es vor den Morden bereits Drohungen: "Wenn der Mann droht: ‚Ich bringe dich um, ich zünde dir die Wohnung an‘, oder: ‚Wenn du nicht bei mir bleibst, dann wird was passieren‘, sollte man das absolut ernst nehmen." Trennungen sind die gefährlichste Zeit für Frauen. Viele solcher Drohungen seien strafbar, man könne bei der Frauenhelpline und Beratungsstellen auch schon vor einer Anzeige Rat einholen und Prozessbegleitung in Anspruch nehmen.

Recht vollziehen, anstatt neues Recht schaffen

Rosa Logar weist darüber hinaus darauf hin, dass auch die Behörden Gewalt im familiären Umfeld erst im Mordfall so ernst nehmen wie solche unter Fremden. Dabei sollten Beweise im Familienkreis genauso gesichert werden wie in Fällen, wo das Opfer den Täter nicht kannte. Denn: "Es ist oft die erste Verteidigungslinie der Täter und ihrer Anwälte, die Glaubwürdigkeit der Opfer in Frage zu stellen, wenn es nur Aussagen gibt."

Auch Untersuchungshaft werde zu selten verhängt, es brauche folglich keine Verschärfung der Gesetze wie kürzlich das Gewaltschutzpaket, sondern nur den Vollzug der vorhandenen. Dazu fordere sie genug gut geschultes Personal bei Gerichten und Staatsanwälten, mehr Geld für Gewaltschutzzentren und die Prozessbegleitung von Betroffenen, aber auch die Arbeit mit Tätern.

Der beste Gewaltschutz sei aber Prävention vorab: "Täter können häufig nicht mit Aggressionen und Konflikten umgehen, sondern neigen zu unkontrollierter Zerstörungswut, wenn sie die Kontrolle über Frauen verlieren - manche bis zum Mord", sagt Rösslhumer. Lernen Buben - wie Mädchen - von Kind an, über Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen, Konflikte verbal und nicht mit Gewalt zu lösen, ein anderes Verständnis von Männlichkeit, beugt das späteren Gewaltausbrüchen vor.

Österreichweite
Frauenhelpline gegen Gewalt:
0800 222 555