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Weniger Geld, weniger Kasernen

Von Brigitte Pechar

Politik
Generalleutnant Johann Luif (60) ist seit September 2017 Leiter der Generalstabsdirektion im Verteidigungsministerium und seit August 2018 stellvertretender Generalstabschef. Vom 22. Mai bis zum 3. Juni 2019 warer Minister für Landesverteidigung.
© WZ, Moritz Ziegler

Für den stv. Generalstabschef Johann Luif geht die Leistungsschau am Nationalfeiertag zulasten der Ausrüstung.


Es geht um das blanke Überleben. So jedenfalls lautet der Befund sämtlicher Militärs zum Zustand des Österreichischen Bundesheers - von Verteidigungsminister Thomas Starlinger abwärts. Das Bundesheer sei "weit davon entfernt, seine in der Bundesverfassung festgelegten Aufgaben noch erfüllen zu können", sagte er zum Beispiel. Aus diesem Grund wollte er auch die traditionelle Leistungsschau des Bundesheeres am Nationalfeiertag absagen. Er scheiterte mit diesem Vorhaben an der Politik. Die Leistungsschau am Heldenplatz findet nun in abgespeckter Form statt, Starlinger wiederholte bei deren Präsentation am Donnerstag seine Warnung: "Wir sind derzeit nicht in der Lage, Österreich ordentlich zu schützen." Das hänge vor allem damit zusammen, dass die Miliz nicht entsprechend ausgerüstet und ausgebildet sei.

Das Österreichische Bundesheer verfügt über eine Mobilmachungsstärke von 55.000 Mann. Es gibt 16.400 (Stand 1. Oktober 2019) Berufssoldaten: Davon sind 2800 Offiziere, 9600 Unteroffiziere und rund 3900 Chargen. Die Miliz zählt rund 31.600 Soldaten (Stand 1. September 2019). Darüber hinaus sind beim Bundesheer rund 8000 Zivilbedienstete beschäftigt. Das sind zum Beispiel Handwerker und Ärzte.

In den vergangenen Jahren sind durchschnittlich 17.000 Grundwehrdiener jährlich eingerückt, 14.000 haben einen Zivildienst angetreten.

Insgesamt sind 1285 österreichische Soldaten im Ausland stationiert.

Die "Wiener Zeitung" traf Starlingers Vorgänger als Minister, Generalleutnant Johann Luif, zu einem Gespräch über den Zustand des Bundesheers und die Folgen, sollte der Finanzrahmen nicht erhöht werden.

"Wiener Zeitung": Verteidigungsminister Starlinger wollte heuer die Leistungsschau des Bundesheers absagen. Auch andere Militärs zweifeln an der Sinnhaftigkeit dieser Übung, zumal den Menschen dort Gerät gezeigt würde, das gar nicht einmal mehr ausreichend in einsatzfähigem Zustand vorhanden sei. Ist das so?Johann Luif: Es ist grundsätzlich so, dass es beim Bundesheer von nichts etwas ausreichend gibt. Weil wir in weiten Bereichen Systeme betreiben, die wir noch in den 1980er Jahren beschafft haben. Diese Systeme laufen mit der Zeit jetzt aus. Ein Panzer, der vor 30 Jahren gekauft wurde, ist auf dem damaligen Standard stehen geblieben. Das Upgraden solcher Systeme ist extrem teuer. Und wenn man, so wie wir, den einen oder anderen Sprung verpasst hat, dann muss man jetzt neues Gerät anschaffen. Das, was es früher am Heldenplatz zu sehen gab - heuer ist kein Großgerät dort -, das war der Durchschnitt des Österreichischen Bundesheers. Das, was diese Geräte konnten, konnten die anderen auch.

Es mangelt aber an der personellen Einsatzbereitschaft, weil Voraussetzungen dazu fehlen. Um eine solche Einsatzbereitschaft nämlich sieben Tage die Woche, 24 Stunden pro Tag gewährleisten zu können, braucht es für bestimmte Systeme doppelte Besatzungen. Das bedeutet doppeltes Flugstundenleistungsvermögen bei der Luftwaffe. Aber dafür fehlt das Geld, fehlen technische Voraussetzungen, fehlen die Ersatzteillager, fehlt Treibstoff. Ein Pilot, der nicht zumindest 100 Stunden im Jahr fliegt, ist kein Einsatzpilot. Wir können uns nicht mehr als einen Piloten pro Abfangjäger - also 15 - leisten.

Parallel dazu fliegt die Saab 105?

Ja, das ist die Einstiegsdroge für den Jet-Piloten. Ein Pilot muss ja die Grundfertigkeiten erlernen, ehe er in ein Düsenflugzeug steigt. Das machen wir noch auf der Saab 105, die aber schon 50 Jahre alt ist. Wir kaufen aber auch Flugstunden im Ausland zu - in Deutschland und Italien -, weil wir sie selbst nicht mehr produzieren können.

Sie sagen, die Saab 105 ist bereits 50 Jahre alt. Hätte man mit der Beschaffung für den Saab-Ersatz nicht schon beginnen müssen, zumal ein solcher Vorgang ja mehrere Jahre dauert?

Die Flotte wird 2020 stillgelegt. Da können einige Maschinen noch in Betrieb bleiben. Das Problem ist, dass wir jetzt nur eine Übergangsregierung haben und größere Beschaffungsvorhaben auch vom Hauptausschuss des Nationalrats abgesegnet werden müssen. Wir behelfen uns damit, dass wir mit ausländischen Armeen zusammenarbeiten.

Auch bei der Sicherheitsschule in Wiener Neustadt, die der Verteidigungsminister erst gar nicht starten wollte, musste er klein beigeben, weil sich die Parteien im freien Spiel der Kräfte alle für den Start der Schule - mit 48 Schülern - ausgesprochen haben. Wie sinnvoll ist diese Schule überhaupt?

Die Schule macht auf der einen Seite Sinn - sie ist, wenn man so will, Teil der geistigen Landesverteidigung. Praktisch brauchen wir diese Schule nicht, weil die Anforderungen an den Offiziersnachwuchs derzeit leicht erfüllt werden durch die freiwilligen Meldungen. Die Schule kostet mindestens 30 Millionen Euro plus Betriebskosten von 1 Million Euro. Daher hat der Minister gesagt, von uns aus wird die Schule nicht kommen. Das wurde anders bestimmt, der Finanzminister hat Mittel zugesagt.

Ist schon Geld geflossen?

Nein, das soll Teil der nächsten Budgetverhandlungen sein. Das Problem ist aber, dass Sonderbudgets meist einfach eingepreist werden. Ein erheblicher Teil des Budgets sind Ermessensausgaben. In Budgetnöten ist man geneigt, diese Ermessensausgaben dann zu verringern.

Realistisch betrachtet, wird das Bundesheer die im Heereszustandsbericht vom September geforderten 16,2 Milliarden Euro bis 2030 nicht bekommen. Eine österreichische Lösung könnte sein, dass das Heeresbudget von 2,2 Milliarden auf möglicherweise 2,5 oder 2,6 Milliarden Euro erhöht wird. Was passiert, wenn das Heer die geforderten 16,2 Milliarden nicht erhält?

Die Verantwortlichen in unserem Staat haben dann kein Mittel mehr, um auf eine Krisensituation reagieren zu können. Wenn wir die 16,2 Milliarden nicht bekommen, werden wir Abstriche machen müssen. Diese bräuchten wir, um die 55.000 Soldaten, die uns als Mobilmachungsrahmen vorgegeben sind, ordentlich ausrüsten zu können. Und mit 55.000 Soldaten kann man einer intensiven Bedrohung nicht einmal entgegentreten. Die Szenarien heute zeigen, dass Bedrohungen erstens schnell und unvorbereitet kommen und zweitens eine lange Dauer haben.

Von einem solchen Szenario wäre ja ganz Europa betroffen.

Das Verlogene an der österreichischen Sicherheitspolitik ist: Wir erwarten immer, dass uns geholfen wird, aber wir denken nicht darüber nach, wie wir anderen helfen können. Ich gebe zu bedenken, dass wir 8 Milliarden Euro jährlich ausgeben müssten, wenn wir im europäischen Verbund wären, weil dort 2 Prozent des BIP Benchmark sind.

Was ist Plan B, wenn es keine 16,2 Milliarden Euro bis 2030 gibt?

Reden wir nicht von Plan B, sondern von Alternativen. Wenn das nicht kommt, müssen wir Prioritätenlisten machen: Was behalten wir, worauf können wir verzichten. Eines geht nicht: Wir können nicht weiterwursteln wie bisher. Wir müssen ehrlich sagen: Weniger Mittel bedeuten weniger Standorte, weniger Personal, weniger Leistungsfähigkeit im Katastropheneinsatz, weniger Auslandseinsätze, wir stellen die Luftraumüberwachung ein. Und es wird keine sicherheitspolizeiliche Unterstützung mehr geben. Derzeit sind zum Beispiel 8000 Soldaten im Grenzschutz - und nicht nur Grundwehrdiener. Das Equipment für einen einzigen Soldaten kostet heute 27.000 Euro. Eines geht nicht, mit der Hälfte des Geldes weiterzutun. Das haben wir die letzten 20 Jahre so gemacht, das ist ausgereizt.

Hätte man durch eine rechtzeitige Besoldungsreform Mittel heben können?

Eine Besoldungsreform würde die Personalkosten noch in die Höhe treiben. Soldaten sind teuer. Die Personalkosten beim Heer sind auch deshalb so hoch, weil niemand vor 62/65 in Pension gehen darf. Aber niemand kann 60-jährige Soldaten brauchen. Das bedeutet, man muss einen Verwaltungsaufwand betreiben, um Soldaten zu versorgen.

Sie sagen, dass die Stärke des Heers bis 1987 noch 240.000 Soldaten betragen hat. Vielleicht braucht man auch 55.000 nicht.

Ja, aber sagen Sie das den Landeshauptleuten, dass dann Kasernen zugesperrt werden. Und es dann keine Soldaten mehr für den Katastropheneinsatz gibt. Und ich gebe zu bedenken, dass schon derzeit die Milizübungen von sechs Tagen in zwei Jahren von der Bevölkerung kritisch gesehen werden.

Dann ist die Miliz auch keine Lösung?

Doch, aber die Republik muss das aushalten. Zum Beispiel wird das Bundesheer - wie voriges Jahr im Jänner - bei heftigem Schneefall angefordert. In einem solchen Fall könnte ein Bataillon für zwei Wochen einberufen werden und dann erst wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren. Das muss von der Wirtschaft akzeptiert werden.

Wird es künftig am Nationalfeiertag noch eine Leistungsschau geben?

Selbst die reduzierte Schau von heuer kostet 1,5 Millionen Euro. Geld, das wir eigentlich zur Anschaffung von sieben dringend benötigten Bussen gebraucht hätten. Von uns aus hätte die Leistungsschau schon heuer nicht mehr stattgefunden. Mit einem Wort: Wir können uns nicht einmal das Wenige leisten. Alles, was wir tun müssen und nicht wollen, geht zulasten unserer Ausrüstung.