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Der budgetäre Startnachteil von Türkis-Grün

Von Jan Michael Marchart und Werner Reisinger

Politik

Eine neue Regierung würde mitten im Wirtschaftsabschwung beginnen. Ihr finanzieller Spielraum wäre zunächst klein.


Die budgetären Vorzeichen für eine neue Regierung waren zweifellos schon einmal besser. Die türkis-blaue Regierung startete 2017 mitten im Wirtschaftsaufschwung. Die Einnahmen sprudelten durch die damals gute Konjunktur nur so in die Staatskassen, nebenbei nahm die Arbeitslosigkeit Monat für Monat ab. In einem solchen Umfeld lässt es sich gut arbeiten. Diesen Vorteil haben ÖVP und Grüne definitiv nicht mehr. Über ihrem Start steht eine längere Konjunkturflaute und stehen daher weniger Staatseinnahmen.

Das Wirtschaftsforschungsinstitut, kurz Wifo, geht zumindest von einem deutlich schwächeren Wachstum bis 2024 aus. Finanzminister Eduard Müller bremste am Montag auch im Budgetausschuss die Euphorie über den leichten gesamtstaatlichen Überschuss, der heuer erreicht wird. Schon im Oktober meldete das Finanzressort nach Brüssel, dass Österreich - nach zwei Überschussjahren - 2020 wieder für den Bund ein Defizit von 1,2 Milliarden droht. Gesamtstaatlich, also zuzüglich der Performance von Ländern, Gemeinden und der Sozialversicherung, wird das Defizit auf 400 Millionen gedämpft.

Eine Milliarde Euro entgehen dem Staat laut Finanzministerium unter anderem durch die außerplanmäßige Erhöhung kleiner Pensionen sowie durch eine Pflegegelderhöhung (beides von der ÖVP mitbeschlossen) - durch Maßnahmen, die vor der Wahl im "freien Spiel der Kräfte" durchgesetzt wurden. Ist der Abschied vom ausgeglichenen Haushalt nachhaltig?

Nicht nur Klimamaßnahmen kosten viel Geld

Die schwächere Konjunktur wird jedenfalls auch in den Koalitionsverhandlungen von ÖVP und Grünen eine gewichtige Rolle spielen. Dort werden schließlich die politischen Prioritäten für die nächsten Jahre festgelegt. Ein Nulldefizit in den nächsten Jahren und Steuersenkungen, wie von der ÖVP angestrebt, scheinen angesichts der zunehmenden Aufgaben für den Staat aber nicht mehr so greifbar wie noch in den türkis-blauen Anfängen im Jahr 2017.

"Es ist sicherlich so, dass sowohl die Wünsche wie auch die Erfordernisse für Investitionen weitaus größer sind als der budgetäre Spielraum", fasst es Wifo-Chef Christoph Badelt zusammen. "Es gibt drei Optionen: Entweder man rückt vom Nulldefizit ab, was aber konjunkturell nicht besonders klug wäre, oder man muss sich bei den Investitionen zurückhalten. Oder aber, man findet Einsparungsmöglichkeiten."

Solche sieht Wifo-Budgetexpertin Margit Schratzenstaller nach wie vor in einer Struktur- und Föderalismusreform. "Alles, was hier bisher passiert ist, ging eher Richtung klein-klein", sagt sie. Die kommende Regierung, wie auch immer sie zusammengesetzt sein wird, sei auch daran zu messen, ob sie eine solche Strukturreform hinbekomme. Ob man mehr investiere oder die Abgaben senke, sei schließlich eine politische Entscheidung, sagt Schratzenstaller.

Den laut Maastricht-Kriterien zu erwartenden Überschuss von einem halben Prozent des BIP und dem strukturellen Überschuss sollte man in jedem Falle nicht zur Argumentation für Untätigkeit bei den strukturellen Reformen und gleichzeitiger Investitionsfreude nutzen. Martin Kocher vom Institut für Höhere Studien sieht im kommenden Jahr ebenfalls wenig budgetären Spielraum für eine neue Regierung. Die Beschlüsse durch das "freie Spiel" der Kräfte vor der Wahl hätten das Budget zusätzlich eingeengt. Der Spielraum für eine zeitnahe Einkommenssteuerreform sei dadurch kleiner geworden. Es gebe aber Verschubmasse für die neue Regierung. Kocher meint, dass in Form von Umschichtungen durchaus Geld bewegt werden könne. Klimaschädliche Subventionsgelder wie für die Pendlerpauschale oder das Dieselprivileg könnten stattdessen für klimafreundliche Maßnahmen verwendet werden.

Auf den Staat kommen zudem mehr Aufgaben zu und nicht weniger. Der demografische Wandel erfordert mehr Geld unter anderem für den Pflegebereich. Hinzu kommen kostenintensive, wenn auch langfristige Investitionen, die für die Erreichung der Klimaziele lockergemacht werden müssen. Welche Summen für die Umsetzung des nationalen Energie- und Klimaplans nötig sein werden, kann man im Wifo noch nicht quantifizieren. Und wenn Österreich seine CO2-Emissionen bis 2030 nicht entsprechend reduziert, drohen zudem immense EU-Strafzahlungen. Die Landesfinanzreferenten warnten im April dieses Jahres vor Strafen in der Höhe von bis zu 9,2 Milliarden Euro bei einem klimapolitischen Scheitern für EU-Emissionszertifikate. Das geht aus einem Entschließungsantrag des grünen Abgeordneten Lukas Hammer aus dem Budgetausschuss hervor.

Hinzu kommen Akutfälle, dass etliche Sektoren des Staates Geld brauchen. Das marode Bundesheer verlangt eine schrittweise Erhöhung des Budgets auf mehr als fünf Milliarden Euro bis 2030. Darüber hinaus seien Investitionen von 16,2 Milliarden für Ausrüstung, Waffen, Personal und Gerät nötig. Auch der Justizbereich leidet an einem Personalmangel, Richter und Staatsanwälte machen Druck. Will die Regierung die Situation entschärfen, muss sie tief in die Tasche greifen.