Für das im September im Nationalrat beschlossene Gesetzespaket zum Gewaltschutz ernteten ÖVP und FPÖ nicht nur Lob, sondern auch sehr viel Kritik. Die damals verantwortliche ÖVP-Staatssekretärin Karoline Edtstadler und Andrea Brem von den Wiener Frauenhäusern setzen sich mit den Benefits und Mankos der Gesetze auseinander.

"Wiener Zeitung": Heuer wurden bereits 18 Frauen von ihrem Partner, Ehemann oder Ex getötet. Reichen die beschlossenen Gewaltschutzgesetze nicht, um Morde wie diese zu verhindern?

Karoline Edtstadler: Für mich sind diese Gesetze ein absoluter Meilenstein, bei dem es auch um die Verbesserung der Zusammenarbeit von Behörden geht. Ich habe von Anfang an gesagt, dass es mir ganz wichtig ist, drei Säulen zu haben: Eine sind strengere Strafen - dazu stehe ich, ich kenne auch die Kritik dazu -, die zweite ist ein verbesserter Opferschutz, und die dritte Säule ist die erstmalige Einführung einer verpflichtenden, opferorientierten Täterarbeit.

Andrea Brem: Meine drei Säulen des Opferschutzes sind Polizei, Justiz und NGOs. Ich glaube, dass dort, wo diese drei trotz oft heftiger Diskussionen wegen der unterschiedlichen Blickwinkel zusammenspielen, es wirklich gute Gesetze gibt. Das Annäherungsverbot von 100 Metern ist zum Beispiel sehr gut, weil wir bisher das Problem hatten, dass die Frauen und Kinder in vielen Bereichen nicht geschützt waren, wie bei der Tagesmutter. Schade finde ich aber, dass das Betretungsverbot für die Schule und den Kindergarten nun herausgefallen ist.

Edtstadler: Das ist nicht herausgefallen. Im Gesetz steht, dass Menschen, in deren Obhut sich die Kinder regelmäßig befinden, informiert werden müssen, wenn es eine Gefährdungssituation gibt, also Kindergärten, Horte, Pflegeeltern, Tagesmütter, auch Babysitter oder Nachbarn.

Brem: Wer genau informiert werden muss, steht nur in den Begründungen, nicht im Gesetz selbst. Aber zum Prozedere: Ich habe das ja sehr begrüßt, dass das Thema auf einer breiten Ebene diskutiert wurde, und es haben auch viele NGOs mitgearbeitet. Was aber sehr schade war, ist, dass nach dem Einbringen der Vorschläge eigentlich nur noch auf politischer Ebene und auf Polizeiebene diskutiert wurde. Deshalb habe ich auch das Gefühl, dass wirklich gute Regelungen, die im Bericht der Task Force drinnen sind, verschwunden sind, weil die NGOs in der Schlussphase außen vor gelassen wurden.

Warum wurden die NGOs am Ende nicht mehr miteinbezogen?

Edtstadler: Die NGOs sind meiner Ansicht nach so einbezogen worden, wie ich das in noch keinem anderen Gesetzwerdungsprozess erlebt habe. Dieser Prozess, auf den ich auch stolz bin, war gar nicht so einfach, aber es ist uns gelungen.

Brem:Wir durften nur die Ideen liefern. Ich glaube, mit einer engen Zusammenarbeit bis zum Schluss hätte man viel Kritik vorgreifen können.

Andrea Brem ist diplomierte Sozialarbeiterin und seit 2001 Geschäftsführerin des Vereins Wiener Frauenhäuser, wo sie bereits einige Jahre tätig war. - © WZ/Moritz Ziegler
Andrea Brem ist diplomierte Sozialarbeiterin und seit 2001 Geschäftsführerin des Vereins Wiener Frauenhäuser, wo sie bereits einige Jahre tätig war. - © WZ/Moritz Ziegler

Kritisch wurde gesehen, dass bei Gewalttätern in der Familie nicht öfter Untersuchungshaft verhängt wird.

Edtstadler: Ich war selbst Strafrichterin, weiß, dass man mit Untersuchungshaft sehr sensibel umgeht, weil sie ein Grundrechtseingriff ist. Aber: Wir müssen genauso sensibel mit jenen umgehen, die gefährdet sind. Und da brauche ich als Staatsanwalt, als Richter eine möglichst breite Entscheidungsbasis.

Die Fallkonferenzen von Interventionsstellen und Polizei zu extrem schweren Gewalttaten in der Familie wurden ja vom damaligen Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) abgeschafft.

Edtstadler: Und jetzt sind sie gesetzlich abgesichert. Neu ist, dass nicht mehr die Interventionsstelle den "Lead" hat, sondern die Polizei. Das ist auch notwendig, denn die Polizei ist es schließlich auch, die zum Beispiel über einen Personenschutz entscheiden muss.

Brem: Fakt ist, dass die Fallkonferenzen nicht klar genug geregelt sind. Es ist auch vermerkt, dass die Weitergabe von Daten unter Strafe gestellt wird. Ich bin sehr für gute Kooperation und Datenaustausch mit der Polizei, um die Frauen zu schützen, aber es ist unklar, wer was genau mit den Informationen machen darf. Das ist nicht ganz durchgedacht: Ich bin gespannt, was kampfesfreudige Väter dann im Obsorgeverfahren aus Informationen machen, die sie aus Fallkonferenzen erfahren haben.

Edtstadler: Genau deshalb ist es Aufgabe der Polizei, diese Informationen zusammenzutragen und natürlich die gefährdete Frau zu informieren.

Jede Polizistin, jeder Polizist wird speziell geschult, warum nicht auch die Justiz - und zwar schon während des Studiums?

Edtstadler: Im Laufe eines Richterlebens bekommt man einen anderen Zugang. Man muss auch einen Abstand gewinnen, wenn man täglich mit Mord und Totschlag zu tun hat. Genau deshalb ist die Sensibilisierung wichtig. Die eine Möglichkeit ist es, schon im Studium anzusetzen, die andere sind Fortbildungsseminare.

Brem: Da bin ich völlig bei Ihnen, dass man da in der Praxis ansetzt. Richteramtsanwärterinnen können zum Beispiel 14 Tage bei uns sein und mit dem Opfer zur Verhandlung gehen. Es ist wirklich interessant, einmal auf der anderen Seite zu stehen, zu erleben, wie es dem Opfer dabei geht. Das ist eine konstruktive Kooperation, die jeder Familien- und Strafrichter einmal erlebt haben sollte. Das könnte man forcieren. Das Problem ist, dass wir einerseits hervorragende Richterinnen und Staatsanwälte haben - und andererseits welche, die nicht bereit sind, sich mit Traumatisierung oder familiären Dynamiken auseinanderzusetzen. Deshalb bin ich für eine Verpflichtung.

Edstadler: Jeder Richter hat die Verpflichtung, sich laufend fortzubilden. Ich sehe das nicht als die alleinig selig machende Methode, wenn man eine Schulung verpflichtend über alle stülpt. Wir haben die Unabhängigkeit in der Rechtssprechung, und die Spezialisierung wird immer größer. Und es gibt ja die positiven Beispiele, die auch auf andere wirken.

Karoline Edtstadler war Richterin und Staatsanwältin, von 2017 bis Mai 2019 Staatssekretärin im Innenministerium und für das Gewaltschutzpaket verantwortlich. Seit Juli ist sie ÖVP-Delegationsleiterin im Europäischen Parlament. - © WZ/Moritz Ziegler
Karoline Edtstadler war Richterin und Staatsanwältin, von 2017 bis Mai 2019 Staatssekretärin im Innenministerium und für das Gewaltschutzpaket verantwortlich. Seit Juli ist sie ÖVP-Delegationsleiterin im Europäischen Parlament. - © WZ/Moritz Ziegler

Brem: Und die negativen berufen sich auf die Unabhängigkeit der Justiz und ihr Recht, selbst zu entscheiden, wie sie sich fortbilden. Als Bürgerin dieses Landes möchte ich immer an einen hervorragenden Richter oder Staatsanwalt kommen, gerade weil das Familienrecht wirklich gravierende Eingriffe in das Leben von Vätern, Müttern, Kindern bedeutet.

Kritisiert wurden auch die längeren Strafen. Warum eigentlich?

Brem: Weil zu befürchten ist, dass Opfer dann noch weniger anzeigen als heute. Das viel größere Problem ist aber, dass es oft gar nicht zu Verurteilungen kommt. Je höher der Strafrahmen ist, desto mehr überlegen die Richterinnen und Richter auch, Strafen überhaupt auszusprechen. Ich habe das Gefühl, das ist ein Polizeigesetz, weil die Bestrafung derart im Fokus ist. Mir ist die Strafe zwar wichtig, aber die Prävention ist mir noch wichtiger. Ich zweifle absolut daran, dass es einen Täter abschreckt, eine Frau zu vergewaltigen, wenn die Strafe höher ist. Unseren Frauen ist nicht so wichtig, ob der Mann ein oder zwei Jahre bekommt. Wichtig ist, dass es überhaupt zu einer Verurteilung kommt.

Edtstadler:Zum Punkt, höhere Strafen schrecken Täter nicht ab: Erstens habe ich einschlägige Erfahrungen, dass das anders ist. Zweitens: Wenn man schon sagt, der Täter schaut nicht im Gesetzbuch nach, was auf Vergewaltigung steht, wird es ihm zwar vorher egal sein, ob das ein oder zwei Jahre sind, nachher aber wird er die Sanktionen sehen. Und da sage ich ganz klar: Wenn jemand eine Vergewaltigung begeht, es zu einer Anklage und Verurteilung kommt, dann muss er zumindest einen Teil der Strafe in Haft verbüßen. Strafen sind auch Ausdruck einer Gesellschaft, in der Gewalt nicht nur nicht geduldet, sondern auch entsprechend streng geahndet wird.

Ohne Verurteilung gibt es aber auch keine Strafe.

Edtstadler: Es ist richtig, dass wir viel mehr Anzeigen als Verurteilungen haben. Wir müssen deshalb die Forensik verbessern, im Gesundheitswesen muss es einen einheitlichen Anamnesebogen geben - zusätzlich zur einheitlichen Anzeigepflicht, die es ja jetzt gibt. Kurz vor der Beschlussfassung im Parlament haben vor allem die Psychotherapeuten kritisiert, dass sie nicht anzeigen können, weil das das Vertrauensverhältnis verletze. Daher gibt es die Ausnahme zur Anzeigepflicht.

Brem: Das trifft aber nur auf den Psychotherapeuten zu, nicht auf den Unfallarzt, und es kam erst in letzter Minute hinein. Das Tempo war erschreckend. Wenn eine Frau zum Arzt kommt, vielleicht nicht ausreichend Deutsch kann, und dann eine Woche später eine Anzeige des Spitals in den Postkasten flattert und sie der Mann in die Hände bekommt, ist das fatal. Solange die Frau nicht Sicherheitsmaßnahmen treffen konnte, sich nicht an einem Ort aufhält, wo sie geschützt ist, ist das gefährdend.

Edtstadler:Es geht um schwere Körperverletzung, Vernachlässigung, das Im-Stich-Lassen von Minderjährigen und vor allem Vergewaltigung. Wir reden hier von schwersten Eingriffen. Erst, wenn es eine Anzeige gibt, kann die Polizei ansetzen und Schutzmaßnahmen setzen.

Brem: Ich weiß aus meiner Erfahrung, dass viele Frauen ihre Zeit brauchen, bis sie sich entscheiden, rechtliche Schritte einzuleiten.

Edtstadler:Es gibt aber auch einen Rechtsstaat und Offizialdelikte, die heißen Vergewaltigung und schwere Körperverletzung - und da kann ich nicht den Druck nur an die Frau weitergeben, dass sie aktiv wird.

Brem:Die Anzeigepflicht kann noch mehr Druck machen. Eine Anzeige hat kaum Sinn, wenn die Frau nachher nicht aussagt. Denn Einstellungen von Verfahren stärken immer den Täter.

Andrea Brem ist es sehr wichtig, dass sich Frauen bei Anzeigen wegen Gewalt in der Familie bereits in Sicherheit befinden. - © WZ/Moritz Ziegler
Andrea Brem ist es sehr wichtig, dass sich Frauen bei Anzeigen wegen Gewalt in der Familie bereits in Sicherheit befinden. - © WZ/Moritz Ziegler

Edtstadler: Selbst wenn diese Frau sagen sollte, dass sie nicht will, dass Anzeige erstattet wird, was als Ausnahme ja möglich ist, sind aber dennoch Beweise gesichert.

Brem: Das muss aber der behandelnde Arzt wissen und auch die Frau sprachlich verstehen: Wir haben in den Spitälern keine Dolmetscher. So sieht die Realität aus. Wir haben auch immer wieder Frauen, die nur mit dem Mann zum Arzt gehen dürfen, und der geht auch bei der Untersuchung nicht hinaus. Es gibt oft Diskussionen in den Spitälern, wenn sie den Mann hinausschicken wollen. Was angezeigt wird, ist jedenfalls nur ein Bruchteil all dessen, was passiert.

Edtstadler: Genau darum gibt es jetzt die einheitliche Anzeigepflicht.

Frau Brem, Sie sagen, der Mann soll nicht zwingend angezeigt werden, und die Strafen sollen nicht erhöht werden: Wie kann man die Frauen schützen?

Brem: Ich bin nicht generell gegen eine Anzeigepflicht. Ich bin nur gegen eine Ausweitung hinein in den Gesundheitsbereich ohne begleitende Schutzmaßnahmen. Wichtig ist, dass man Frauen Hilfseinrichtungen zuführt. Bei den letzten Morden war es leider öfter so, dass davor keine Stelle eingeschaltet war. Das liegt daran, dass wir teilweise zu hochschwellig kommunizieren - auch wir. Die Frauen, die in extrem gefährlichen Situationen leben, erwischen wir nur niederschwellig, ganz basal, anonym, ohne Anzeige.

Wäre es sinnvoller, wenn der Arzt direkt mit Opferschutz-NGOs spricht?

Edtstadler:Jede Maßnahme, die die Frauen hier unterstützt, begrüße ich, aber dafür muss man im Ärztegesetz etwas machen. Genau das habe ich in der Task Force versucht, indem ich gesagt habe: Lassen wir manche Dinge die Ärztekammer machen, die das ihren Ärzten mit Verordnung vorschreiben soll. Wir sind ja nicht am Endpunkt angelangt. Zur Frage: Was kann Frauenmorde verhindern? Die Unterbrechung der Gewaltspirale. Darum haben wir die opferschutzorientierte Täterarbeit eingeführt. Bei einem Betretungsverbot muss sich der Täter künftig innerhalb von fünf Tagen bei einer Organisation melden und eine zumindest dreistündige Beratung in Anspruch nehmen, die er auch zu zahlen hat. Die Einrichtungen werden Gewaltinterventionszentren heißen.

Frau Brem, werden die Gewaltinterventionszentren funktionieren?

Brem: Da haben wir unterschiedliche Meinungen. Ich hätte mir langfristige Therapien gewünscht wie Antigewalttrainings.

Edtstadler: Ich habe mich auch voll für eine flächendeckende Täterarbeit eingesetzt. Es ist das erste Mal, dass wir Täterarbeit gesetzlich verankern. Die Opferschutzeinrichtungen hatten wir auch nicht von einem Tag auf den anderen dort, wo sie jetzt sind. Das Innenministerium muss jetzt zuerst die entsprechenden Vorkehrungen mit Verordnung treffen, damit Gewaltinterventionszentren geschaffen werden. Dabei sollte man auf eine Einrichtung zurückgreifen, die schon gut in diesem Bereich arbeitet, wie die Männerberatung zum Beispiel.

Laut Karoline Edtstadler muss das Innenministerium Vorkehrungen mit Verordnung treffen, damit Gewaltinterventionszentren für Täter geschaffen werden. - © WZ/Moritz Ziegler
Laut Karoline Edtstadler muss das Innenministerium Vorkehrungen mit Verordnung treffen, damit Gewaltinterventionszentren für Täter geschaffen werden. - © WZ/Moritz Ziegler

Klingt so, als wären Sie die nächste Innenministerin, Frau Edtstadler?

Edtstadler: Das steht überhaupt nicht zur Debatte. Wir haben Koalitionsverhandlungen.

Was kann die ÖVP mit einem grünen Koalitionspartner beim Gewaltschutz eher umsetzen, was mit dem blauen nicht möglich war?

Edtstadler: Wir haben das Gewaltschutzpaket mit der FPÖ beschlossen, alle 57 Maßnahmen sind auch durch den Ministerrat gegangen. Sie waren für mich ein erster Schritt. Man kann natürlich noch immer einen Schritt weitergehen. Vieles ist von den Finanzen abhängig, das ist ganz klar. Aber ich stehe zu diesem Thema und allfälligen weiteren Schritten voll und ganz.

Wie viel wird das Ganze kosten?

Edtstadler: Es war ja ein Initiativantrag, eine wirkungsorientierte Folgenabschätzung wurde daher nicht gemacht. Aber Schätzungen zufolge sind es rund zehn Millionen Euro.

Oft folgt auf Gewalt eine Trennung. Gibt es Kinder, steht die Obsorgefrage im Raum. Derzeit ist es so, dass gewalttätigen Eltern diese nicht automatisch entzogen wird. Sind Gewalttäter geeignet, Kinder zu erziehen?

Edtstadler: Grundsätzlich nicht. Dennoch denke ich, dass das in jedem Einzelfall zu bewerten ist. Und genau darum geht es ja: Das ist mit ein Grund, warum körperliche Gewalt oder Eingriffe in die sexuelle Integrität zu Verurteilungen und strengen Strafen führen müssen. Deshalb haben wir auch für Wiederholungstäter, die sich nach der zweiten Verurteilung nicht gebessert haben, eine Erhöhung des Strafrahmens drinnen. Künftig kann man dann mit einer unbedingten Haftstrafe im Pflegschaftsverfahren argumentieren und sagen, das Kindeswohl ist gefährdet. Denn im Pflegschaftsverfahren geht es immer ums Kindeswohl.

Wie problematisch finden Sie, dass schwer gewalttätige Väter weiter die Obsorge haben, Frau Brem?

Brem: Das ist ein Riesenproblem in der Praxis. Die Verfahren laufen teilweise über Jahre, und die Frauen leben in dieser Zeit in prekären Lebenssituationen. Gewalt, Misshandlung, all das spricht eigentlich gegen eine Obsorge. Es wird nur nicht gelebt. Wir wissen natürlich, dass ein Kind das Recht auf beide Eltern hat, wir wissen aber auch, dass das in diesen Fällen nicht funktioniert. Dass ein Vater, der seine Frau schlägt und seinem Mädchen ein Rollenverhalten aufoktroyiert, bei dem es einem als emanzipierter Frau 2019 den Magen umdreht, plötzlich im Obsorgeverfahren der Superpapa ist, ist mir nicht verständlich. Ist das Tätigkeitsverbot eigentlich gekommen?

Edtstadler: Ja.

Brem: Das könnte man auch auf die Familie umlegen. Wenn ein Lehrer nach schweren Vergehen nicht mehr mit Kindern arbeiten darf, warum soll ein Vater unter den gleichen Bedingungen die Obsorge haben? Ich finde, da haben wir eine gute Basis für die Obsorgefrage im Kontext häuslicher Gewalt.

Edtstadler:Ich will überhaupt niemanden verteidigen, aber es ist oft ein großer Unterschied, wie Männer mit ihren Kindern umgehen und wie sie gegenüber anderen auftreten. Das Kindeswohl ist das, was beim Familiengericht im Mittelpunkt zu stehen hat.

Was wird präventiv getan?

Edtstadler:Das ist ein wichtiger Punkt. Ich war zum Beispiel beim Verein Möwe, wo mir erzählt wurde, dass Kinder oft gar nicht wissen, was Gewalt ist. Der Verein veranstaltet dazu zweiteilige Seminare. Wir setzen jetzt mit der Task Force auch in der Schule an und haben das Projekt "Under 18" lanciert. In der Zwischenzeit haben wir mehr als 400 Präventionsbeamtinnen und -beamte, die besonders geschult sind und von den Schulen kostenlos angefordert werden können. Das Innenministerium erreicht schon jetzt 50.000 Schüler pro Jahr.

Brem: Mit diesen Schulungen der Polizei an Schulen haben wir ein Problem. Es ist fast immer so, dass sich im Zuge dessen ein Kind als betroffen outet. Das ist eine schwierige Situation, für die es Erfahrung braucht. Die Beamten wurden zwar geschult, aber es muss ja ein ganzes System dahinter sein, dass man diese Kinder wirklich auffängt. Ich will nicht schmälern, was die Polizei tut. Aber sie ist da, um Polizeiarbeit zu machen und nicht die bessere NGO-Arbeit. Man muss zusammenarbeiten.

Edtstadler: Das ist nicht alleine Aufgabe der NGOs. Zur Polizeiarbeit gehört auch Präventionsarbeit. Darf ich das als Kritik an dem Projekt verstehen?

Brem: Unter Umständen ja. Wenn Sie mit Kindern zum Thema Gewalt arbeiten, wäre es wirklich wichtig, dass man jemand von der Jugendarbeit, von den Gewaltschutzzentren dabei hat, damit man hier weiterführend tätig werden kann.

Wir haben nun die ganze Zeit über ausschließlich von Frauen als Opfer von Gewalt in Beziehungen gesprochen. Wie oft sind Schätzungen zufolge Männer Opfer dieser Gewalt, also dass Frauen die Täterinnen sind?

Edtstadler:Durchschnittlich werden in Österreich pro Jahr etwa 70.000 Straftaten im Bereich Gewaltkriminalität begangen, wobei 40.000 Fälle davon als Beziehungstaten klassifiziert werden. Grundsätzlich werden 80 Prozent der Gewaltdelikte mit einem Beziehungsstatus von Männern begangen und 20 Prozent von Frauen, wobei beides auch Gewalt gegen die eigenen Kinder umfasst. Das sind nicht nur Fälle, wo der Partner die Partnerin schlägt - oder umgekehrt. Dort, wo Frauen Täterinnen sind, ist die körperliche Gewalt meistens weniger stark ausgeprägt als bei Männern, Frauen werden mehr wegen gefährlicher Drohung angezeigt.

Brem: Natürlich gibt es geschlagene Männer. Aber ich denke, dass die Anzahl der Männer, die in Beziehungen jahrelang ständig schwere Gewalt fürchten müssen, wirklich eine kleine ist. Ich sage immer: Gemeinsam gegen Gewalt, Männer und Frauen, für ein gewaltloses Familienleben mit Respekt und fairer Verteilung von Rechten und Pflichten.