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Gegen "Demokratie der Besserverdiener"

Von Karl Ettinger

Politik
Die Diskussionsreihe wurde vom Chefredakteur der Wiener Zeitung Walter Hämmerle (links) moderiert. Debattiert wurde mit Heide SChmidt und Richard Heinisch.
© Simon Rainsborough

Sozial Schwächere wenden sich von der Demokratie ab, befürchten Heide Schmidt und Reinhard Heinisch. Mehr direkte Demokratie als Gegenmittel sehen beide skeptisch, dafür werben sie für ein Ausländerwahlrecht.


Für 15 Prozent der Bürger ist nach einer Befragung im Vorjahr Demokratie in Österreich "tot". Ein Viertel der Österreicher kann sich eine autoritäre Führung vorstellen. Bei Wahlen wird eine teils sinkende Beteiligung der Wahlberechtigten registriert.

Vor diesem Hintergrund wurde am Dienstagabend in einer Diskussionsreihe der "Wiener Zeitung" mit dem Meinungsforschungsinstitut Sora die provokante Frage debattiert: "Demokratie. Das Ende der Geschichte?" Das Ende der Demokratie sahen am Podium im "Haus der Geschichte" die frühere Chefin des Liberalen Forums, Heide Schmidt, und der Salzburger Politikwissenschafter Reinhard Heinisch zwar nicht, wohl aber eine Erosion und Gefahren. "Ich sehe die Demokratie bedroht", stellte Schmidt fest. Was der früheren Dritten Nationalratspräsidentin dabei besonders zu denken gibt, ist der Umstand, wie die Bürger auf diese Entwicklung reagieren: "Ich empfinde, dass das zu wenige Menschen beunruhigt."

Gefahr durch "populistische Demokratie"

Schmidt ist besorgt darüber, dass sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen demokratische Rechte nicht mehr in Anspruch nehmen. Mit Hinweis auf eine bereits in Deutschland geführte Diskussion brachte es die Juristin auf den Punkt: "Wir werden immer mehr zu einer Demokratie der Besserverdiener." Als Erklärung für diese Entwicklung führte sie an, dass sich sozial schwächere Bevölkerungsgruppen derart ungleich wahrgenommen fühlten, sodass sie die Möglichkeiten des demokratischen Wahlrechts nicht mehr nützten.

Heide Schmidt sieht die Demokratie bedroht.
© Simon Rainsborough

"Wir haben vier Bedrohungen der Demokratie", konstatierte Heinisch, Professor für österreichische Politik in vergleichender Perspektive an der Universität Salzburg. Der klassische Gegensatz seien Diktatur und Demokratie; es habe den "Parteienstaat" gegeben, der in den 1970er/80er Jahre Proteste ausgelöst habe, dann die "Post-Demokratie", bei der vor allem das Politik-Marketing dominiert habe, die größere Gefahr für die liberale, repräsentative Demokratie sei inzwischen die "populistische Demokratie". Grundsätzlich sei es so, "dass die Politik heute ein Legitimitätsproblem hat". Schmidt relativierte allerdings, ob es tatsächlich so sei, dass sich die Österreicher früher stärker repräsentiert gefühlt hätten. Damals habe es durch die hohe Zahl an Parteimitgliedschaften eine Art Automatik bei der Vertretung gegeben. "Mit wirklich demokratischen Entscheidungsprozessen hat das nicht so viel zu tun gehabt", sagte sie.

Die Menschen hätten unterschiedliche Vorstellungen von Demokratie, warf der Politologe ein. Ein Teil der Bevölkerung sei für "eine Art unsichtbare Demokratie", in der es möglichst wenig Streit gebe. Deswegen sei auch die jetzige Übergangsregierung so beliebt.

Schmidts Verständnis von Demokratie sieht anders aus: "Ich halte es für gefährlich, zu meinen, es gibt den einen Experten und schon funktioniert es." Politiker müssten durchaus "Leadership" für bestimmte Wege zeigen. Letztlich müsse aber aus unterschiedlichen Vorstellungen ein Kompromiss gefunden werden, die Bürger müssten Bereitschaft zum Mitmachen und Mitdenken zeigen. Zugleich beklagte sie einen aktuellen Trend der Politik: "Es ist viel leichter, zu schauen, was an Stimmung am Markt ist." Die Parteien müssten jedoch ein Angebot nach den jeweiligen Interessen ihrer Zielgruppen bieten, forderte Heinisch. Am Beispiel der SPÖ fragte er: "Sind männliche Gewerkschafter die besten Kandidaten, um Frauen anzusprechen?"

Vorarlberg als Vorbild für neue Beteiligung der Bürger

Skepsis gab es dahingehend, dass ein Ausbau von direkter Demokratie allein zur stärkeren Einbindung der Bürger führt. Sie sei nicht gegen die direkte Demokratie, versicherte Schmidt. Es gebe Instrumente wie Volksbefragung und Volksbegehren: "Ich bin gegen aus Ausbau auf Bundesebene." Man könne aber auf lokaler Ebene neue Möglichkeiten probieren, wobei sie als Beispiel die Bürgerforen in Vorarlberg nannte. Der Politologe wandte ein: "Die direkte Demokratie verstärkt soziale Ungleichheiten." Die Instrumente brächten Vorteile für Leute mit mehr Ressourcen. In der Schweiz sei die andere Seite zur direkten Demokratie die Konzentrationsregierung, in der die politischen Kräfte gebündelt sind.

Direkte Demokratie verstärkt soziale Ungleichheiten", sagt Reinhard Heinisch.
© Simon Rainsborough

Aufhorchen ließen beide Diskutanten mit einem allgemeinen Plädoyer für ein Ausländerwahlrecht, um alle Bevölkerungsgruppen besser in demokratische Entscheidungen einzubinden. In Österreich leben mehr als 1,1 Millionen Menschen, etwa Türken, ohne österreichischen Pass, die nicht wahlberechtigt sind. "Ich finde es einfach nicht fair, sie nicht mitbestimmen zu lassen", betonte Schmidt. Der Politikwissenschafter stimmte zu. Mit Blick auf die Einbindung von Türken gab er zu bedenken, diese würde ihre Interessen jedenfalls "irgendwo artikulieren". Das geschehe dann aber in einer Form, wie man das nicht wolle.

Eine Lanze brachen beide für die traditionellen Medien, diese dürften angesichts der Entwicklung Sozialer Medien nicht wegfallen. Mit Hinweis auf das Aufdecken des Ibiza-Videos meinte Schmidt: "Diese Kontrollfunktion ist essenziell für die Demokratie." Der Aspekt der Kontrolle sei sehr wichtig, so Heinisch.