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Das Ende der Ära Strache - eine Bilanz

Von Werner Reisinger

Politik

Der gescheiterte FPÖ-Chef soll am Donnerstag vor das Parteigericht treten.


Am Nachmittag des 15. Mai 2019 greift der Vizekanzler und Chef der Freiheitlichen Partei Österreichs zum Telefon. Er ruft René Benko an, den millionenschweren Chef der Signa-Immobiliengruppe, danach folgen weitere Telefonate, etwa mit Kathrin Glock, der Ehefrau des Waffenherstellers Gaston Glock, und weiteren dem Glock-Konzern zuzurechnenden Personen, wie das "profil" herausfand. Eine halbe Stunde zuvor hatten Heinz-Christian Strache eine Reihe von Journalisten der "Süddentschen Zeitung" und des "Spiegel" kontaktiert. Ihnen würde umfangreiches Videomaterial vorliegen, aus 2017, aufgenommen in einer Villa in Ibiza. Es ist der Anfang des Endes einer Ära in der FPÖ.

Strache hat viel überlebt: Berichte aus seiner Zeit im Neonazi-Milieu, interne Intrigen, die Wehrsportaffäre, zerstrittene Landesparteien, hunderte sogenannte "Einzelfälle" aus den eigenen Reihen, antisemitische Anspielungen aus seiner eigenen Feder im Netz. Nichts von all dem brachte den gelernten Zahntechniker aus dem dritten Wiener Gemeindebezirk an der Spitze der FPÖ ins Wanken. Erst das Ibiza-Video zwang Strache zum Rücktritt als Vizekanzler und läutete das Ende seiner Karriere in der FPÖ ein. Dass die knapp vor der Nationalratswahl Ende September aufgekommene Spesen-Affäre - im Gegensatz zur Ibiza-Affäre - das Potenzial hat, auch die über die Jahre beträchtlich gewachsene Wählerschaft der FPÖ ebenso beträchtlich wieder zu dezimieren, hatten Demoskopen hinter vorgehaltener Hand schon Wochen vor dem Urnengang angedeutet. Während Ibiza in typischer verschwörungsideologischer Manier noch zu einer Intrige von Medien, den politischen Gegnern oder gar der ÖVP umgedeutet werden konnte, hörte sich beim Geld für die FPÖ-Anhänger eben alles auf. Gegen die Privilegienritter und "Eliten" auftreten und sich dann auf Parteikosten selbst einen üppigen Lebensstil finanzieren? Die Rechnung war saftig: fast minus 10 Prozentpunkte, nur mehr knapp über 16 Prozent der Stimmen. Dabei waren, rein auf der Ebene der Wahlergebnisse betrachtet, die 14 Jahre mit Strache als FPÖ-Chef eine Erfolgsgeschichte. Stetig ging es nach oben. Wie aber hat sich in der Ära Strache die Partei auf struktureller wie auf ideologischer Ebene verändert?

Am Anfang von Straches Aufstieg in der Bundespartei standen jene, die auch heute die Partei prägen, die Linie vorgeben: völkisch-deutschnational Korporierte. Als Jörg Haider mit seiner "Buberlpartie" im April 2005 das BZÖ gründete und den harten, ideologischen Kern der Partei damit endgültig hinter sich ließ, waren es vor allem Burschenschafter, die in der FPÖ verblieben. Parteiideologe Andreas Mölzer etwa, der schon Anfang der Neunziger mit Jörg Haider gebrochen hatte, oder Norbert Hofer, der sich im Burgenland einen Namen gemacht hatte. Er avancierte zum Stellvertreter des frisch gekürten Bundesparteiobmanns Strache, unter seiner Federführung wurde der Begriff der "deutschen Volks-, Sprach- und Kulturgemeinschaft", zu der sich die FPÖ nun wieder bekannte, zuerst ins "Handbuch freiheitlicher Politik" und 2011 erneut ins Parteiprogramm geschrieben. Erneut, weil Haider im Zuge seiner Abkehr vom deutschnationalen Kern der Partei den Begriff hatte streichen lassen.

Reimemacher Kickl und das Feindbild Islam

Der neue Parteichef genießt das Vertrauen der deutschnationalen Parteieliten - schließlich ist er einer von ihnen. Seit seinem 15. Lebensjahr ist Strache Mitglied der deutschnational-pennalen Verbindung Vandalia.

Die Partei, vor allem die Spitze, verengt sich in ihrer Struktur, es entsteht ein ideologisch homogener, geschlossener Kreis. Während unter Haider in der Parteispitze zahlreiche Quereinsteiger das Sagen hatten, die sich vor allem von der Person Haider angezogen fühlten, setzte das völkisch-deutschnationale Kernmilieu auf Strache - und vice versa. Eine eingeschworene Gemeinschaft, in der jeder seine genau zugewiesene Rolle hatte. Gemeinsam stieg man in den Umfragen auf, dominierte immer stärker den politischen Diskurs, vor allem den des politischen Gegners.

Der Anfang war für die Strache-FPÖ dennoch alles andere als leicht. Noch überschattete die Strahlkraft Haiders die "alte" FPÖ, die Vorarlberger Landespartei forderte offen, sich mit Haiders BZÖ wiederzuvereinigen. Strache aber schaffte es, die Partei zu konsolidieren und, wie es der Wiener Politologe und Parteienforscher Hubert Sickinger ausdrückt, den "Markenkern" der FPÖ neu aufzubauen: "Während unter dem versierten Haider, der sich in verschiedenen Milieus bewegen konnte, die Partei etwas vielschichtiger aufgestellt wurde, wird sie unter Strache eindimensionaler." Das Feindbild Islam rückt ins Zentrum. Maßgeblich verantwortlich dafür war einer, der schon unter Haider in dessen Reden gerne fremdenfeindliche, manchmal auch antisemitische Töne einfließen ließ und der sich ebenfalls für den Verbleib in der FPÖ entschied. Während Strache durch die Diskos tourte und vor allem junge Männer erfolgreich als Wähler rekrutierte, entwickelte Herbert Kickl den für Strache typischen rhetorischen Stil und entwirft immer neue Slogans und Plakate. Die FPÖ setzt unter Strache fort, was unter Haider begonnen wurde: Sie ist Pionier der rechtspopulistischen Methodik und Rhetorik, dient anderen extrem rechten Parteien in Europa als Vorbild - und tritt mit diesen sukzessive in einen intensiven Austausch.

Strache schaffte es, das Wegbrechen der damals wichtigsten Landespartei, jener Kärntens, zu kompensieren und das Wegbrechen anderer zu verhindern. Nach Haiders Tod söhnt sich Strache auch mit der in FPK umbenannten Kärntner Landespartei aus, bindet sie wieder an die Bundespartei. "Er hat die Partei zusammengehalten", sagt Sickinger.

Parteisanierung, Skandale und Wahlerfolge

Auch gelingt es Strache, die finanziell bei seiner Übernahme in einer katastrophalen Situation befindliche Partei zu sanieren. Rund 5,7 Millionen Euro habe die FPÖ unter Strache zwischen 2006 und 20011 vom Parlamentsklub in die Partei transferiert, erklärt der Parteienforscher - alles ausgewiesen in den Rechenschaftsberichten. Erst 2012 wird die Annahme von Parteispenden aus dem Parlamentsklub verboten. Vorher gab es keine Sanktionen. "Man kann aber durchaus davon ausgehen, dass Umschichtungen auch weiterhin bestanden haben, Stichwort Social-Media-Arbeit und Straches Facebook-Fanpage", sagt Sickinger. Streng genommen keine Arbeit für die Partei, sondern für den Spitzenkandidaten Strache. Trotz der Wahlerfolge hatte die FPÖ unter Strache immer wieder mit teils heftigen, inneren Auseinandersetzungen zu tun. Als 2007 Fotos des jungen Strache auftauchen, die ihn in Uniform im Wald bei militärischen Übungen mit amtsbekannten Rechtsextremen zeigen, stellt dieser das als harmlose "Paintball-Spiele" dar. Im Hintergrund der Affäre stand ein handfester Konflikt um die Parteiakademie der FPÖ, damals von Ewald Stadler geführt. Strache plante, die Akademieförderung ab 2007 einem neuen "Bildungsinstitut" angedeihen zu lassen, Stadler versuchte, den Parteichef mit den Fotos aus seiner einschlägigen Vergangenheit zu erpressen - und wurde schließlich rechtskräftig verurteilt. Die Wehrsport-Affäre verfolgte Strache und die Partei aber über Jahre.

An anderen Konfliktschauplätzen setzte sich Strache rasch durch. Etwa in Salzburg, wo er in der traditionell zerstrittenen Landespartei 2015 ein Machtwort sprach und Klubobmann Karl Schnell sowie Landesparteiobmann Rupert Doppler kurzerhand aus der Partei warf. Die von Schnell in der Folge gegründete "Freie Partei Salzburg" blieb im Schatten der FPÖ und ohne Erfolg.

FPÖ und "Neue Rechte": eine intime Beziehung

Vor allen anderen Parteien erkennt die Strache-FPÖ das Potenzial von Social Media. Straches Facebook-Page, zuletzt auch im Fokus des Streits zwischen ihm und der Partei, überragt an Reichweite alle anderen Parteichefs. Über die Jahre ist die FPÖ auch international Vorreiter beim Aufbau einer medialen Gegenöffentlichkeit, wie sie nun europaweit die extreme Rechte kennzeichnet.

Zahlreiche verschwörungsideologische und rechtsextreme Plattformen wie unzensuriert.at, Wochenblick oder Info Direkt entstehen im Dunstkreis der Partei, FPÖ-Politiker schalten regelmäßig Inserate. "Reine Positivberichterstattung" für FPÖ und die Schwesterpartei AfD mache unzensuriert.at, gab dessen ehemaliger "Chefredakteur" Alexander Höferl gegenüber einer RTL-Journalistin, die undercover recherchierte, offen zu. Der Pressereferent der Partei stieg während Türkis-Blau zum Kommunikationsverantwortlichen im Kabinett von Ex-Innenminister Kickl auf. In der Ära Strache rücken die sogenannte Neue Rechte und die Partei näher zusammen. Vor allem in Oberösterreich geben sich Identitäre, schlagende Burschenschafter und FPÖ-Funktionäre die Klinke in die Hand. Rechtsextreme Medienprojekte und Zeitungen spielen dabei, wie auch am Kongress "Verteidiger Europas", eine zentrale Vernetzungsrolle. Von der rechtsextremen Identitären Bewegung distanziert sich die FPÖ erst, nachdem Verbindungen des Attentäters von Christchurch zum Chef der Identitären, Martin Sellner, bekannt werden.

Auch auf internationaler Ebene wird die Vernetzung vorangetrieben. Der Vlaams Belang in Belgien und die Partei des Niederländers Geert Wilders werden enge Verbündete, ebenso wie das Rassemblement National von Marine Le Pen. Sie alle eint die antimuslimische Programmatik und Anti-Migrations-Rhetorik. Nach jahrelangen, erfolglosen Bemühungen gelingt 2015 schließlich die Gründung einer gemeinsamen Fraktion im EU-Parlament. Unter Strache positioniert die FPÖ sich auch offen als Unterstützerin des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Strache hinterlässt der FPÖ damit nicht nur schlechte Wahlergebnisse und den Ausblick auf eine instabile Zukunft, sondern auch eine ideologisch wie strukturell gefestigte Partei mit einem internationalen Netzwerk - und Erfahrung im Umgang mit einer digitalen Gegenöffentlichkeit, von der die deutsche Schwesterpartei AfD gerne profitieren möchte. Die Partei allerdings wird durch seinen Ausschluss versuchen, ihn und damit die Skandal-Schlagzeilen loszuwerden.

Am Vormittag des 16. Mai steht Heinz-Christian Strache das letzte Mal mit dem damaligen Kanzler Sebastian Kurz im Rahmen einer Pressekonferenz vor den Journalisten. Das Thema: 1200 Euro Mindestpension, nach 40 Beitragsjahren, soll es künftig geben. Den beiden ist nichts anzumerken. Nichts deutet darauf hin, was passieren wird. Am nächsten Tag - es ist Freitag, der 17. Mai - werden die "Süddeutsche Zeitung" und der "Spiegel" jenes Video veröffentlichen, dass die Ära Strache in der FPÖ beenden wird.