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Der Streit um die Impfpflicht

Von Werner Reisinger

Politik

Statt einer Masern-Impfpflicht, die sich EU-weit durchsetzt, will man in Österreich "Aufklärung".


Die seit langem schwelende Diskussion um eine Masern-Impfpflicht ist um eine politische Facette reicher. Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und der erst wiedergewählte steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (beide ÖVP) fordern nun offen die Einführung einer verpflichtenden Impfung, als Grund nannten beide rezente Fälle in ihren Bundesländern. Im steirischen Knittelfeld wurden wegen eines Masernverdachtsfalls am Dienstag rund 20 Kinder vom Schulbesuch ausgeschlossen - auf Anweisung der Bezirkshauptmannschaft. Auch in Niederösterreich gibt es einen Fall der gefährlichen Krankheit.

Die Todesfälle steigen weltweit, wie ein aktueller Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigt: Rund 140.000 Menschen seien im vergangenen Jahr an den hochansteckenden Masern gestorben, so die Schätzung. Das sind um 16.000 Todesfälle mehr als 2017. Auch die Ansteckungsrate steigt. Gab es 2017 noch 7,6 Millionen Masern-Fälle, waren es 2018 schon knapp 9,8 Millionen.

Mit ihren Forderungen nach einer Impfpflicht stehen Mikl-Leitner und Schützenhöfer allerdings eher alleine da - einzig Burgenlands SPÖ-Landeshauptmann Hans Peter Doskozil will die Impfpflicht in der Landeshauptleutekonferenz zum Thema machen. Dabei setzen die meisten EU-Länder bei der Bekämpfung der Zunahme von Impfgegnerschaft und -skepsis auf eine Impfpflicht (siehe Grafik). Ab März kommenden Jahres müssen Eltern in Deutschland eine Masern-Impfung ihrer Kinder nachweisen, wenn sie einen Kindergartenplatz wollen.

In Österreich sprechen sich die Parteien aber weitestgehend gegen eine verpflichtende Masern-Impfung aus, stattdessen wollen fast alle "mehr Aufklärung" - auch Interims-Gesundheitsministerin Brigitte Zarfl. Ein elektronischer Impfpass soll etwa künftig jene "erinnern", die zwar die erste, aber nicht die zweite Masern-Teilimpfung bekommen haben. Zudem verweist Zarfl auf Schweden. Es sei Spitzenreiter bei der Durchimpfungsrate und habe dies ohne Impfpflicht erreicht. Auch zahlreiche Wissenschafter haben sich in der Vergangenheit gegen eine Pflicht ausgesprochen. Es mangelt aber an Studien, die den Annahmen und Argumenten der Impfskeptiker und Impfgegner auf den Grund gehen und untersuchen, woher die Ablehnung und Skepsis genau kommt und wie stark sie verbreitet sind.

Fakten helfen weniggegen Emotionen

Reichen Aufklärung, Erinnerungen und Informationskampagnen wirklich aus, um den Verschwörungstheorien der Impfgegner und -skeptiker entgegenzuwirken? Woran liegt die Zunahme dieser Haltungen?

Zum einen müsse man in der Debatte differenzieren, sagt Ulrike Schiesser, Psychologin von der Bundesstelle für Sektenfragen. Nicht immer gehe es um Verschwörungstheorien oder um die Pharma-Lobby. "Beim Impfen, das ist deutlich zu bemerken, geht es um starke Emotionen. Und in emotional aufgeheizten Debatten, wie sie zunehmend in Internetforen anzutreffen sind, können Sachargumente oft nicht viel bewirken", sagt Schiesser. Bei Impfgegnern wie -skeptikern handle es sich oftmals um Eltern, die sich übermäßig beschützend um ihre Kinder kümmern.

Diese "Helikoptereltern" sieht auch der Autor und Physiker Florian Aigner in der Pflicht. Impfen wird als negativer Vorgang wahrgenommen, vor dem Eltern ihre Kinder beschützen wollen. Zudem, argumentiert er, liege die Herausforderung in der Bewertung von Informationen: Diese seien jederzeit verfügbar, was aber stichhaltig ist, könne oft schwer eingeschätzt werden. "Ein ‚die Wahrheit liegt in der Mitte‘ stimmt bei diesem Thema einfach nicht."