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Jung, weiblich und türkis-grün

Von Daniel Bischof und Karl Ettinger

Politik
Die Ministerliste dürfte so gut wie fix sein - nur wen die Grünen als Staatssekretär oder Staatssekretärin nominieren, ist noch unklar.

Das Regierungsteam besteht mehrheitlich aus Frauen. Sebastian Kurz setzt auf Vertraute - und installiert wieder Generalsekretäre.


Die Ressortverteilung in der künftigen türkis-grünen Bundesregierung war am Neujahrstag beinahe abgeschlossen. Der Großteil der Ministerriege stand fest. Sie ist zumindest zur Hälfte weiblich, Frauen könnten aber auch die Mehrheit stellen.

Gegen 21.50 Uhr wollen ÖVP-Obmann Kurz und Grünen-Chef die Einigung offiziell verkünden. Das Regierungsprogramm und die Ministerliste sollen erst am Donnerstag öffentlich gemacht werden. Am Samstag stimmt der Bundeskongress der Grünen darüber ab. Bereits am Dienstag könnte die Angelobung der Regierung erfolgen.

Damit steht ÖVP-Obmann Sebastian Kurz ein halbes Jahr nach seiner Abwahl im Nationalrat vor seiner Rückkehr als Bundeskanzler. Der Ex-Chef der Jungen ÖVP steht seit Mai 2017 an der Spitze der Volkspartei. Mit seinen 33 Jahren wird er trotz mehrerer junger Minister weiterhin das jüngste Mitglied der Bundesregierung bleiben.

Kurz hat im Zuge der Regierungsverhandlungen nie einen Zweifel daran gelassen, dass er seine Mitte-Rechts-Politik fortsetzen möchte, mit der er bei der Nationalratswahl 2019 auch viele FPÖ-Wähler zur ÖVP lockte. Der Abdeckung der rechten Flanke dient vor allem die Besetzung des Innenministeriums mit dem bisherigen ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer und der Niederösterreicherin Klaudia Tanner als Verteidigungsministerin. Auch die Schaffung eines Integrationsministeriums unter Susanne Raab soll ein Signal für eine harte Migrationslinie aussenden.

Andere Personalentscheidungen im ÖVP-Regierungsteam sind hingegen ein deutliches Zeichen für einen Neuanfang. Kurz holte mehrere junge, weibliche Ministerinnen in sein Regierungsteam. Das ist ein deutlicher Unterschied zur doch eher von Männern geprägten türkis-blauen Regierung.

Gleichzeitig verlässt Kurz sich noch stärker als bisher auf enge Vertraute, sei es auf die neue Integrationsministerin Raab, Nehammer im Innenressort, Karoline Edtstadler als künftige Europa- und Kanzleramtsministerin und Alexander Schallenberg, der Außenminister bleiben wird.

Bauernbündlerin und Rechtsanwältin

Die 49-jährige Klaudia Tanner wandelt auf den Spuren von Ursula von der Leyen, der deutschen Ex-Verteidigungsministerin. Die niederösterreichische Bauernbunddirektorin wird die erste Verteidigungsministerin Österreichs.

Tanner studierte Jus und gilt als kantig und tough. Sie stammt aus Gresten im Bezirk Scheibbs und arbeitete schon zu Beginn der 2000er Jahre unter Ernst Strasser im Innenministerium. Sie hat einen sehr guten Draht zu Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Nach der vergangenen Landtagswahl 2018 zog sie in den niederösterreichischen Landtag ein.

Dort befasste sie sich schwerpunktmäßig mit Themen wie Kultur, Verfassung und Gesundheit, nicht aber mit militärischen Agenden. Angesichts der akuten finanziellen Probleme des maroden Bundesheeres wartet auf Tanner ein regelrechtes Himmelfahrtskommando.

Finanziell im Argen liegt auch das Justizressort. Die 35-jährige Grünen-Politikerin Alma Zadic wird es übernehmen. Für Zadic ist es ein steiler Aufstieg: Vor wenigen Monaten saß sie noch für die Liste Jetzt im Parlament, im Juli wechselte sie zu den Grünen.

Zadic flüchtete mit ihren Eltern aufgrund des Bosnien-Kriegs nach Österreich. Damals war sie zehn Jahre alt. Sie wuchs in Favoriten auf und legte eine Vorzeigekarriere hin. Sie studierte Jus, unter anderem in New York und Mailand, und schloss mit einem Doktortitel ab. Sie arbeitete als Rechtsanwältin, bevor sie für die Liste Jetzt im November 2017 in den Nationalrat einzog.

Zadic gilt als außerordentlich freundlich, sachorientiert und eher konfliktscheu. Im Justizministerium wird es Zadic mit einer selbstbewussten und stellenweisen sehr konservativen Beamtenschaft zu tun bekommen: Hier könnten noch zwei Welten aufeinanderprallen.

Ein Hardliner für das Innenressort

Mit dem 47-jährigen Wiener Karl Nehammer als Innenminister setzt Kurz einen Vertrauten in ein Ressort, das zuletzt - wie etwa in der BVT-Affäre - für Schlagzeilen gesorgt hatte.

Der bisherige ÖVP-Generalsekretär absolvierte einen Lehrgang in politischer Kommunikation. Er verkörpert die restriktive Linie der Volkspartei in Sicherheits- und Migrationsfragen. Für diesen Bereich war er auch in den Koalitionsverhandlungen zuständig. Der Hardliner Nehammer ist mit Sicherheit einer von jenen Regierungsmitgliedern, denen seitens der Grünen die größte Skepsis entgegenschlägt.

Mit dem bienenfleißigen Nehammer kehrt auch der Einfluss der niederösterreichischen ÖVP auf das Innenministerium zurück. Der frühere ÖAAB-Generalsekretär ist zwar inzwischen Bezirksobmann in Wien-Hietzing. Politisch wurde er allerdings in Niederösterreich sozialisiert. Dort war er Kommunalreferent unter dem seinerzeitigen Landesgeschäftsführer Gerhard Karner.

Ein Pionier und eine Umweltschützerin

Neben Werner Kogler, dessen genaue Agenden als Vizekanzler noch nicht exakt feststehen, werden Rudolf Anschober und Leonore Gewessler für die Grünen Schlüsselpositionen besetzen.

Der langjährige oberösterreichische Landesrat Anschober wird Sozial- und Gesundheitsminister. Anschober arbeitete als Volksschullehrer, von 1990 bis 1997 saß er für die Grünen im Nationalrat. Der 59-Jährige hat auch Erfahrung bei der Zusammenarbeit mit der ÖVP. Von 2003 bis 2015 koalierten die Grünen unter seiner Führung in Oberösterreich mit Landeshauptmann Josef Pühringer. Zu gröberen Reibereien kam es dabei nicht. Er gilt als schwarz-grüner Pionier.

Anschober ist ein ausgewiesener Sozialexperte. Zuletzt sorgte er mit seiner erfolgreichen Initiative für die Nicht-Abschiebung von Aslywerbern in Lehre für Aufsehen. Im Sozialministerium wird Anschober Kernthemen der Grünen verhandeln, wie etwa die Mindestsicherung.

Grüne Schlüsselagenden betreut auch Leonore Gewessler im stark aufgewerteten Infrastruktur- und Umweltressort. Die 42-Jährige war vor ihrer Rekrutierung durch Kogler im Juni fünf Jahre lang politische Geschäftsführerin der Umweltorganisation Global 2000. Dort verantwortete sie Kampagnen gegen die Handelsabkommen TTIP und CETA, für den Kohle-Ausstieg Österreichs und gegen den Bau der dritten Flughafen-Piste in Wien-Schwechat.

Die gebürtige Grazerin studierte Politikwissenschaften. Sie war Büroleiterin der Bezirksvorstehung in Wien-Neubau, einem grünen Kerngebiet. Selbstbewusstsein tankte sie auch bei der "Green European Foundation" in Brüssel, einer vom Europaparlament finanzierten politischen Stiftung mit enger Verbindung zu den europäischen Grünen.

Zu den größten Überraschungen zählt Christine Aschbacher. Die 36-jährige Unternehmensberaterin aus Wundschuh bei Graz wird nicht nur das Familienministerium übernehmen, sie wird auch Ministerin für Arbeit. Zum Leidwesen der Grünen wird diese Agenda aus dem Sozialministerium herausgerissen.

Mit dieser Personalbesetzung und Ressortaufteilung will Kurz zeigen, dass sich Familie und Beruf vereinbaren lassen. Aschbacher selbst ist Mutter von drei Kindern und absolvierte ein Studium für wirtschaftsberatende Berufe. Zuletzt arbeitete sie auch als Unternehmensberaterin.

Für Aschbacher ist das politische Parkett in Wien nicht völlig neu. Sie ist zwar politisch noch unbekannt, in der Vergangenheit war sie jedoch bereits im Finanz- und Wirtschaftsministerium tätig.

Mit der 35-jährigen Susanne Raab, einer gebürtigen Oberösterreicherin, gelangt eine Expertin in das neu geschaffene Integrationsministerium. Sie war bisher bereits als Sektionschefin im Außenministerium für die Integration von Zuwanderern zuständig.

Raab studierte in Innsbruck Jus und Psychologie. Sie gilt als enge Vertraute von Kurz: Nicht nur liegt Raab bei Integrations- und Migrationsfragen auf einer Linie mit dem ÖVP-Chef. Sie hat diese bei den Gesetzesvorlagen zum Burka-Verbot und Islamgesetz auch selbst entscheidend mitgeprägt.

Als Europa- und Kanzleramtsminister ist die ÖVP-Politikerin Karoline Edtstadler gesetzt. Sie wurde im Mai ins Europaparlament gewählt, wo sie die ÖVP-Delegation anführte.

Die 38-Jährige wurde nach ihrem Jus-Studium Strafrichterin am Salzburger Landesgericht. Von dort wechselte sie in die Legistik-Sektion des Justizressorts, ehe sie im Kabinett von Justizminister Wolfgang Brandstetter anheuerte. Unter Türkis-Blau wurde die bis dahin politisch unbekannte Edtstadler Staatssekretärin im FPÖ-geführten Innenministerium.

Ein Karrierediplomat und ein Vorarlberger

Das Außenministerium wird weiterhin vom Karrierediplomaten Alexander Schallenberg geführt. Der 50-jährige Europafachmann leitet das Ressort als Teil der Übergangsregierung bereits seit Anfang Juni 2019.

Schallenberg studierte Jus und Europarecht in Wien, Paris und Brügge. Im Außenamt machte er sich als Pressesprecher für mehrere Außenminister einen Namen. Unter Kurz, als dessen Intimus er gilt, leitete er die EU-Koordinationssektion im Bundeskanzleramt.

Weitgehend unbekannt ist der Vorarlberger ÖVP-Politiker Magnus Brunner. Er wird Staatssekretär im Umwelt- und Infrastrukturministerium. Der 47-jährige Brunner ist seit 2009 Mitglied des Bundesrats. Er studierte Jus.

Von 1999 bis 2002 leitete Brunner das Büro des damaligen Vorarlberger Landeshauptmanns Herbert Sausgruber. Dann arbeitete er unter anderem beim ÖVP-Wirtschaftsbund und bei Vorarlbergs Energieversorger Illwerke/VKW.

Bisher noch nicht bestätigt wurde der nächste Finanzminister. Es wird aber so gut wie sicher Gernot Blümel sein, der vormalige Kanzleramtsminister und ein Kurz-Vertrauter. Der ÖVP-Politiker und studierte Philosoph hätte alle Hände voll zu tun: Denn Blümel wird wohl auch für die ÖVP bei der Wien-Wahl 2020 als Spitzenkandidat ins Rennen gehen.

Auch in anderen Ministerium dürften bald wieder alte Bekannte sitzen: Für den Posten des Bildungsministers ist wohl Heinz Faßmann vorgesehen. Elisabeth Köstinger wird aller Voraussicht nach Landwirtschaftsministerin, Margarete Schramböck wohl erneuet Wirtschaftsministerin.

Unklar ist noch, wer bei den Grünen den Staatssekretär stellt. Noch offen war bei der Ökopartei zudem, wer das Ministerium für Kunst und Kultur übernimmt.