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Grüne Schicksalsstunde

Von Daniel Bischof

Politik

Im Vorfeld des Bundeskongresses demonstrieren die Grünen Einigkeit. Im rot-grünen Wien zeigen sich erste Risse.


Ist es ein laues Lüftchen - oder doch eher ein kräftiger Gegenwind, der dem Koalitionspakt entgegenweht? Am Samstag entscheidet darüber der grüne Bundeskongress in Salzburg. 276 Parteidelegierte stimmen über das Regierungsübereinkommen ab und entscheiden damit, ob es zur ersten türkis-grünen Koalition in Österreich kommt.  Der Erweiterte Bundesvorstand stimmte Freitagabend in Salzburg sowohl dem Regierungspakt als auch dem Personal auf grüner Seite bereits zu. Das berichtete Werner Kogler, Bundessprecher und nun auch offiziell designierter Vizekanzler, nach siebenstündiger Sitzung in einer Pressekonferenz. Die Beschlüsse erfolgten einstimmig.

Grüne Spitzenpolitiker zeigten sich am Freitag zuversichtlich, dass auch der Bundeskongress am Samstag den Koalitionspakt absegnen wird. Ja, das Abkommen enthalte schmerzhafte Punkte, ja, es werde Auseinandersetzungen geben; aber nein, der Pakt werde nicht scheitern, so der Tenor. "Es ist allen klar, dass wir im Regierungsabkommen keine grüne Alleinregierung niedergeschrieben haben. Die Verhandlungen waren kein Wunschkonzert", sagte der Nationalratsabgeordnete Lukas Hammer zur "Wiener Zeitung". Der Grünpolitiker hat den Pakt im Bereich Klimaschutz und Verkehr mitverhandelt.

Es gebe schmerzliche Vorhaben, die beim Bundeskongress noch für Diskussionen sorgen könnten: "Aber die waren nun einmal der ÖVP wichtig", sagte Hammer. Auch sei bei einigen Plänen noch abzuwarten, wie sie konkret umgesetzt werden. So seien manche Vorhaben zwar schon unter Türkis-Blau geplant worden, wie etwa die Sicherungshaft. "Es wird sich aber noch zeigen, ob und wenn ja, wie das in einer verfassungs- und menschrechtskonformen Weise überhaupt umgesetzt werden kann."

Trotz der kritischen Punkte überwiege in der Partei aber das Gefühl, "dass uns da extrem viel gelungen ist, etwa beim Klimaschutz oder bei der Informationsfreiheit". Hammer rechnete daher mit einem "überraschend positiven Ergebnis": "Am Samstag werden die Delegierten das Programm auch selbst gelesen haben - und nicht nur die verkürzte mediale Darstellung."

Migration als"harter Tobak"

Auch die Nationalratsabgeordnete Nina Tomaselli ortete gegenüber der "Wiener Zeitung" einzelne Punkte, die "harter Tobak" seien, speziell im Migrationsbereich: "Da geht es schlicht auch um die Fülle an Maßnahmen und um die knallharte Sprache in dem Abkommen", sagte die Vorarlbergerin. Tomaselli ging jedoch von einer "sehr großen Zustimmung" beim Bundeskongress aus: "Die Freude etwa über das Transparenzpaket und den Klimaschutz ist bei vielen Delegierten groß. Außerdem schwingt die Hoffnung mit, dass man die Gräben zukippen und den Diskurs nachhaltig verbessern kann."

Die Landesparteien der Grünen waren um Einigkeit bemüht. "Ja, das ist ein gutes Programm. Es muss für die nächsten fünf Jahre, wenn nicht noch länger, Stück für Stück umgesetzt werden", sagte Regina Petrik, die Landessprecherin der Grünen im Burgenland. Er wolle dem Bundeskongress nicht vorgreifen, rechne aber "mit einer positiven Entscheidung", sagte Hikmet Arslan, Landesgeschäftsführer der niederösterreichischen Grünen. Die Möglichkeit zur Gestaltung solle genützt werden, auch wenn die Grünen die Oppositionsarbeit ebenfalls "sehr gut" könnten, so Arslan. Der Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi forderte: "Die Grünen müssen jetzt springen." Die Partei müsse "staatspolitische Verantwortung" wahrnehmen. "Das Risiko ist dabei beherrschbar", sagte er.

Auch die Wiener Grünen schworen sich auf das Abkommen ein. Sie zählen zum linken Parteiflügel und waren gegenüber ÖVP-Obmann Sebastian Kurz immer äußerst kritisch eingestellt. Ihnen wird auch eine Schlüsselrolle beim Scheitern der ersten ÖVP-Grüne-Verhandlungen 2003 zugeschrieben. Sie werde den Wiener Grünen empfehlen, dem Pakt zuzustimmen, sagte Birgit Hebein, Parteivorsitzende der Wiener Landespartei und Vizebürgermeisterin, gegenüber dem ORF. Im Gesamtpaket "erkennt man die grüne Handschrift gut". Es sei immer klar gewesen, dass "einige Kompromisse hart sein werden", meinte Hebein, die auch Mitglied des Kernverhandlungsteams war.

Ludwig stichelt gegen Koalitionspartner

Risse zeigen sich hingegen im rot-grün regierten Wien. Der Wiener Bürgermeister und SPÖ-Chef Michael Ludwig stichelte am Freitag in Richtung seines Koalitionspartners. Er sei "einigermaßen erstaunt", dass die Grünen eine "dermaßen starke ÖVP-Dominanz" im Koalitionsabkommen akzeptiert hätten. Er vermutet eine "Regierungsbeteiligung um jeden Preis". Den Grünen sei es scheinbar lediglich gelungen, im Bereich des Klimaschutzes ihre Positionen zu verankern. "Hier sind wiederum Maßnahmen festgeschrieben, die in Wien bereits seit Jahren gelebte Praxis sind", so Ludwig. Es sei weiters zu befürchten, dass der soziale Zusammenhalt durch Türkis-Grün in keiner Weise gestärkt werde.

2015 hatte der damalige Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) das Duell mit der FPÖ um Platz eins künstlich zugespitzt. Aus Furcht vor einem blauen Bürgermeister wählten viele Grüne daher die SPÖ. "Diese Wähler sollen nun bei der Stange gehalten werden und nicht wieder zu den Grünen abwandern", erklärt Politikberater Thomas Hofer. Daher versuche Ludwig nun, die Glaubwürdigkeit der Grünen in Zweifel zu ziehen: "Wie sich das auf die Zusammenarbeit mit den Grünen auswirkt, ist eine andere Geschichte", sagt Hofer. Die Zeit der rot-grünen Harmonie in Wien sei aber wohl vorbei.

Die Wiener Grünen wollten auf Ludwig nicht reagieren. In Wien wird voraussichtlich im Herbst der Landtag gewählt. Ludwig wird nachgesagt, einen sehr guten Draht zur Wiener ÖVP zu haben - insbesondere zum Wiener Wirtschaftskammerpräsidenten Walter Ruck. Eine rot-schwarze Koalition in Wien ist daher eine Alternative für Ludwig.