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Das geglückte Experiment

Von Walter Hämmerle

Politik

Am Dienstag endet die Amtsperiode des ersten Beamtenkabinetts der Zweiten Republik. Eine Würdigung.


Es war ein Wagnis, geboren aus der Not. Am 27. Mai sprach eine Mehrheit des Nationalrats Bundeskanzler Sebastian Kurz das Misstrauen aus. Zuvor waren 185 Misstrauensanträge seit 1945 gescheitert, der 186. hatte Erfolg. Diese historische Novität rückte plötzlich den Bundespräsidenten ins Zentrum der weiteren Vorgehensweise.

Hinter der legendären roten Tapetentür in der Hofburg steuerte Alexander Van der Bellen in Abstimmung mit den Chefs der Parlamentsparteien die Bildung eines Beamtenkabinetts. Am 3. Juni ernannte er mit der Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs Brigitte Bierlein die erste Frau als Bundeskanzlerin, Spitzenbeamte rückten an die Spitze der Ministerien. Es galt, das Land über die Neuwahlen am 29. September hinaus bis zur Bildung einer neuen Regierung geschäftsführend zu verwalten und als stabiler Partner auf der internationalen, vor allem der europäischen Bühne zu vertreten. In allem Übrigen solle Zurückhaltung die oberste Devise sein, gab Bierlein selbst gleich zu Beginn die Richtung vor.

Die Beamtenregierung meisterte diese Herausforderung fast makellos. Dabei war es alles andere als in Stein gemeißelt, dass alle Beteiligten - das Land, die Institutionen und die Personen - so unversehrt aus diesem Experiment, das der Not geschuldet war, herauskommen würden. Die vergangenen sieben Monate hätten auch ganz anders verlaufen können. An Gelegenheiten zum falschen Abbiegen hat es zudem nicht gemangelt. Das wird im Rückblick gerne übersehen - oder verdrängt.

Noch heute etwa bedauern manche, dass das Parlament seine fast grenzenlose Freiheit in der Zeit des politischen Machtvakuums nach der Abwahl der Regierung Kurz nicht noch intensiver nutzte. An Ideen bestand kein Mangel. Nach langen Jahren, in denen stets den (wechselnden) Regierungen vorgeworfen worden war, das Parlament links liegen zu lassen, erlebte Österreich plötzlich einen Nationalrat, der die - wenngleich interimistische - Regierung ignorierte.

Das kann man natürlich als wahrhaftige Form des Parlamentarismus beschreiben oder eben auch als Spielart eines Politikbasars in dem Sinne, dass die Parteien eigennützige Beschlüsse fassten, ohne dass die Bürger die politische Verantwortung klar zuordnen konnten.

An dieser Konstellation zeigt sich, dass das Experiment einer Beamtenregierung auch scheitern kann. Die Risiken, die Van der Bellen politisch sowie Bierlein - und sämtliche Mitglieder ihres Kabinetts - persönlich eingegangen sind, waren beträchtlich. So ist zu Beginn noch völlig offen gewesen, wie lange die Übergangsphase dauern würde - nur zwei, drei Monate, ein halbes Jahr, noch länger? Geworden sind es sieben Monate, und sehr viel länger hätte es wohl auch nicht gehen dürfen, wenn die positive Stimmung, die der Kanzlerin von Anfang an entgegenschlug, nicht kippen sollte.

Weiters war unklar, wie sich die innenpolitische Dynamik entwickeln würde - erst im Wahlkampf und dann danach. Die Konkurrenzsituation der Parteien hätte heiß laufen können - im Nationalrat, aber auch in der Abgrenzung zur Beamtenregierung. Dann war da die Gefahr, dass diese Regierung über sich selbst stolpern könnte. Ansätze für ein politisches Eigenleben haben einige Minister durchaus entwickelt. Am stärksten hat sich wohl Verteidigungsminister Thomas Starlinger zu profilieren versucht, der wiederholt die drängende Finanznot seines Ressorts auch aktionistisch betonte.

Trotz aller selbst auferlegten Zurückhaltung musste auch diese Regierung Entscheidungen treffen. Bei der wichtigsten anstehenden Personalfrage, der Benennung eines neuen EU-Kommissars, zeigte Bierlein politisches wie diplomatisches Geschick - und bestätigte schlicht mit Johannes Hahn den amtierenden.

Möglich war schließlich auch, dass eine nationale oder internationale Krise entschlossenes Handeln der Regierung erfordert. Eine solche Situation hätte Bierlein - die in Interviews stets betonte, keine Politikerin sein zu wollen - doch zu einer solchen wider Willen gemacht; dies hätte sie auch den entsprechenden Fliehkräften ausgesetzt. Diese Prüfung blieb ihr erspart, wobei die Parteien - wie im Übrigen auch die Medien - in ihrem Umgang mit der Regierung dem Umstand Rechnung getragen haben, dass diese Konstellation sich den herkömmlichen Kriterien der politischen Bewertung entzieht.

Tatsächlich haben Brigitte Bierlein und ihr Kabinett erfahrener Beamter der Republik wohl den größeren Gefallen getan, als dies umgekehrt wohl durch die Ehre der Ämter der Fall ist. Nach dem erfolgreichen Misstrauensantrag musste verfassungsrechtliches wie politisches Neuland betreten werden, das bisher lediglich Experten als Strategiespiel im Kopf durchdekliniert haben. Das - viel zu oft nur rhetorisch bemühte - Ideal vom Dienst an der Gemeinschaft findet hier für einmal eine reale Entsprechung.

Wer weiß, wie unbarmherzig die Politik mit ihrem Personal umzugehen weiß, wer den Preis an Privatheit und Diskretion kennt, den diejenigen zu berappen haben, die ganz vorne (und meistens allein) im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit stehen, der vermag die Gefahren abzuschätzen, die dieser ungewöhnlichen Regierung in den vergangenen Monaten auflauerten. Dass am Dienstag, sofern die Grünen dem Regierungspakt zustimmen, bei der Angelobung und sodann bei der Amtsübergabe wohl auch viele Dankesworte an Bierlein und ihr Kabinett fallen werden, ist zu erwarten. Und hoch verdient.