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"Kein Politiker mit erhobenem Zeigefinger"

Von Karl Ettinger

Politik

Gesundheits- und Sozialminister Rudi Anschober setzt lieber auf Bewusstseinsbildung statt Zuckersteuer bei Vorsorge. Die Regelung der Sozialhilfe durch die Länder und ein verpflichtendes Pensionssplitting sind noch keine ausgemachte Sache.


Bei Prävention gegen Krankheit und Pflege will Gesundheits- und Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne) auf Lösungen mit Bewusstseinsbildung statt auf finanzielle Anreize bauen. Der Bund wird Anfang Februar mit den Bundesländern reden, damit Kinderarmut im Zuge der Neuregelung der Sozialhilfe verhindert wird. Ein automatisches Pensionssplitting ist für Anschober keineswegs fix.





"Wiener Zeitung": Pflege ist für Sie ein Schwerpunkt. Müssen sich die Österreicher darauf einstellen, dass der Regress bei der Pflege in Heimen wieder eingeführt wird?Rudi Anschober: Dieser wird sicher nicht wieder eingeführt. Ich werde versuchen, möglichst rasch eine Taskforce Pflege aufzustellen. Das Wichtige ist, dass wir Qualitätssicherung, Finanzierung und vor allem die Frage der Mitarbeiterinnen gemeinsam mit Gemeinden, Ländern und Bund absprechen und umsetzen.

Soll eine Pflegeversicherung kommen?

Die klassische Pflegeversicherung, wie wir sie aus Deutschland kennen, wird es in Österreich nicht geben.

Wird das ein Teil der Sozialversicherung werden?

Wir werden uns die Finanzierung anschauen. Wir werden auch die Kompetenzen ganz stark einbringen, die da sind, Stichwort Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) im Vorsorgebereich. Auch das wird eine Frage der Taskforce.

Aber sie wird wie die Kranken- und Pensionsversicherung Teil der Sozialversicherung werden?

Ich schließe derzeit gar nichts aus, sondern möchte mich mit Experten und Ländern zusammensetzen und dann Lösungsvorschläge für den Ministerrat machen. Abgesehen davon ist im Pflegebereich sehr viel Positives bereits im Regierungsabkommen verankert. Für mich ist klar, die Finanzierung der Pflege wird auch weiterhin zu einem ganz großen Teil aus öffentlichen Geldern bestehen.

Wann wird eine Leistungsgleichheit hergestellt? Derzeit hängt das ja vom Wohnort ab. Ist es das Ziel, in fünf Jahren harmonisierte Pflegeleistungen zu bekommen?

Das Ziel sind möglichst effiziente gemeinsame Strukturen. Für Februar und März plane ich, im Rahmen einer Österreich-Dialog-Tour Gespräche mit den Betroffenen zu führen, um dann gemeinsam die wichtigsten Eckpfeiler zu arbeiten.

Was halten Sie von einer Pflegelehre? Soll man 15-Jährige an ein Pflegebett stellen?

Ich habe mit 15-Jährigen im Pflegeheim ein gehöriges Maß an Bauchweh. Ich habe mit 19 meinen Zivildienst im Pflegeheim gemacht. Ich weiß, wie das ist, wenn du vor einem Menschen stehst, mit all dem, was an Pflegetätigkeiten zu tun ist. Und wie das ist, wenn du am Ende eines Lebens dabei bist. Das ist keine Kleinigkeit. Das fordert jeden Menschen auf eine dramatische Weise.

Wurde bei den Regierungsverhandlungen auch über die Abschaffung der Indexierung der Familienbeihilfe geredet, was ausländische Pflegerinnen speziell trifft?

Das haben wir nicht, nein. Aber das werden wir uns auf jeden Fall auch anschauen. Denn ich möchte nicht in drei Monaten zurückrudern müssen. Ich will firm sein in allen Bereichen.

Sie haben von besserer Vorsorge gesprochen. Die Österreicher sind in Relation gesehen in Europa relativ krank. Welche Ideen haben Sie, im Pflege- und Gesundheitsbereich für die Vorsorge?

Für mich ist das der zentrale Schlüssel, der Anteil an Jahren, in denen wir gesund sind, muss einfach größer werden, auch im höheren Alter. Ich bin aber kein Politiker, der mit erhobenem Zeigefinger durch die Welt laufen wird und den Leuten alles madig machen will. Es geht darum, einen ganz breiten Diskurs auszulösen, was macht und hält mich gesund. Da müssen wir viel mehr kommunizieren und Bewusstsein stiften. Man muss weiter anschauen, was könnten öffentliche Strukturen dazu für einen Beitrag leisten.

Sind Bonus-Malus-Systeme als Anreize für ein gesünderes Leben geplant?

Das mit den finanziellen Anreizen ist immer so eine Geschichte, einem Teil der Bevölkerung, der nicht aufs Geld schauen muss, wird das völlig wurscht sein. Bei einem anderen Teil der Bevölkerung, der es sowieso schwerer hat, wiegt ein Anreizsystem doppelt und dreifach. Ich glaube eher, die Lösung beginnt im Kopf und nicht in der Geldbörse.

Das heißt, mit Ihnen wird es zum Beispiel keine eigene "Zuckersteuer" geben?

Vertreter verschiedener Supermarktketten haben schon um einen Termin angefragt wegen dieser freiwilligen Vereinbarung zur Reduktion von Zucker. Selbstverständlich werden wird dorthin kommen müssen, dass wir Zucker reduzieren. Aber dass das immer über Steuern gehen muss, wage ich zu bezweifeln, weil wir oft auch die Falschen treffen. Ich halte vom immer erhobenen Zeigefinger und vom finanziellen Druck relativ wenig.

Stichwort Hacklerpension: Warum wollen Sie noch auf ein Gutachten der Pensionskommission bis Ende März warten? Sollte man einen Unsinn nicht einfach abschaffen?

Wir wissen, wir hätten Zusatzkosten von 600 Millionen Euro in dieser Legislaturperiode durch die sogenannte Hacklerregelung. Für das heurige Jahr ist das fixiert. Aber es ist ein guter Zugang, dass sich die Alterssicherungskommission neben Prognosen auch ansieht, wie schaut die Nutzung aus, wie der Verteilungseffekt und wie schaut die Geschlechterverteilung aus. Ende März werden wir uns die Details anschauen. Dann arbeiten wir an einer Entscheidung. Wozu haben wir sonst eine Alterssicherungskommission? Ich will eine Expertise am Tisch haben.

Die Gegenfrage lautet: Sind 45 Jahre arbeiten nicht genug?Dazu haben wir eine Alterssicherungskommission.

Stehen Sie hinter dem Pensionssplitting für Eltern?

Es gibt da zwei Formulierungen im Regierungsabkommen, eine grüne und eine türkise Formulierung. Es gibt eine freiwillige und eine verpflichtende Linie. De facto ist das nicht hundertprozentig geklärt. Da werden wir den Diskurs in den nächsten Monaten weiterführen bis zur endgültigen Abklärung.



Sind Sie für ein verpflichtendes Pensionssplitting von Paaren?

Das Splitting ist eines der Instrumente für mehr Gerechtigkeit. Die Absicherung von Frauen in der Pension ist teilweise katastrophal. Wir haben zwei Grundthemen: eines ist die Kinderarmut. Ich halte es für einen wirklichen Skandal, dass wir 55.000 Kinder in diesem Land haben, die teilweise keinen Anspruch auf die Lebensgrundlagen haben. Es ist Top-1-Priorität, da etwas zu tun. Der zweite Bereich ist die Altersarmut von Frauen. Da haben wir riesige Notwendigkeiten, Verbesserungen in den nächsten Jahren zustande zubringen.

Wieso ist kein Satz zur Sozialhilfe, die vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurde, im Abkommen? Die Grünen haben doch immer betont, es geht ihnen um den Kampf gegen Kinderarmut.

Ich habe heute im Haus eine Rechtsbewertung des Urteils des Verfassungsgerichtshofes in Auftrag gegeben. Wir werden uns im Lauf der Woche ansehen: Soll es eine Minimallösung mit einem Fortbestehen der nicht aufgehobenen Regelung geben oder eine Länder-Lösung? Bei beiden Wegen ist die Frage der Kinderarmut ein zentrales Kriterium. Bei der Kinderarmut haben wir auch andere Möglichkeiten einzugreifen, etwa durch die geplante Steuerreform, die Senkung von 25 auf 20 Prozent, durch die Erhöhung des Familienbonus, durch die Beschleunigung von Unterhaltsverfahren. Wichtig ist, dass wir rasch im Jänner ein Signal bekommen, in welche Richtung wir gehen.

Bundeskanzler Kurz ist vorgeprescht und hat gesagt, die Bundesländer dürfen entscheiden. Das ist also noch nicht ausgemacht?

Mein Lieblingsweg geht auch in die Richtung, dass für die Länder selbständig Lösungen ermöglicht werden. Wir werden aber versuchen, Richtlinien einzubringen, etwa eine Priorität für die Bekämpfung der Kinderarmut. Wir werden ins Sozialministerium zu einem informellen Sozialreferenten-Treffen einladen.