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Wie die Polizei attraktiver werden will

Von Simon Rosner

Politik

Mehr Diversität, Fehlerkultur, menschenrechtliche Sensibilität und "Reflexionsräume": ÖVP und Grüne haben sich auf eine Polizeireform verständigt. Diese ist auch nötig.


Bereits im Juli hat Sebastian Kurz klargemacht, dass unter ihm nicht nur Herbert Kickl nicht mehr Innenminister werden würde, mehr noch: die ÖVP werde dieses Ministerium generell nicht mehr hergeben, "egal in welcher Konstellation". Und genau so kam es dann auch. Wobei die Grünen ohnehin andere Prioritäten hatten.

Dass also der Teil zur inneren Sicherheit im Regierungsprogramm sehr türkis ausfallen würde, konnte man sich ausrechnen, zumal sich der bisherige ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer und nunmehrige Innenminister durchaus als Mann fürs Grobe erwiesen hat. Insofern ist aber das, was im entsprechenden Kapitel des Regierungsprogramms zu lesen ist, als überraschend zu bezeichnen.

Auch wenn vieles, das hier festgeschrieben wurde, in die unendlichen Weiten der Absichtserklärungen fällt, ist das Bekenntnis zu einer modernen Polizei und einem organisatorischen Kulturwandel nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Wobei es nicht einfach nur ein Verhandlungserfolg der Grünen war. Vieles, das auf den ersten Seiten des Kapitels angesprochen wird, war auch im Interesse der türkisen Seite, auf der unter anderem Karl Mahrer, einst Vizepräsident der Wiener Polizei, mitverhandelt hat.

Die Regierung will beispielsweise mehr Diversität in der Exekutive, der Migrationshintergrund wird explizit genannt. "Die Polizei ist ein Teil der Gesellschaft und soll diese abbilden", sagt Nehammer. Bei der Personalrekrutierung soll laut Programm auch Mehrsprachigkeit als Kriterium einbezogen werden, in der Grundausbildung Supervision verankert und auch später Einzelsupervision gefördert werden. Im Programm ist auch die "Förderung von Reflexionsräumen im Arbeitsalltag sowie einer positiven Fehlerkultur" enthalten. Zwischen Polizei und Bürgerinnen und Bürgern soll das Vertrauen erhöht werden, unter anderem durch "nachvollziehbare Identitätsfeststellungen" der Exekutivbeamten. Bei Misshandlungsvorwürfen soll eine eigene Behörde unabhängig ermitteln, auch "von Amts wegen".

Im Programm ist aber nicht nur davon zu lesen, wie die Polizei zu einer modernen Organisation werden soll, sondern auch, was sich für die Polizei und ihre Bediensteten ändern und verbessern soll. Dass Ersteres nicht ohne Zweiteres geht, liegt auf der Hand. So soll die Arbeit bei der Polizei familienfreundlicher werden, sollen die Beamten mehr Mitsprache bei der Dienstplanerstellung erhalten, die Polizeiinspektionen saniert und freundlicher gestaltet und auch das Dienst- und Besoldungssystem soll modernisiert werden.

Das ist auch dringend nötig. Die Polizei muss als Arbeitgeber attraktiver werden. Einerseits steckt die Exekutive inmitten einer Pensionierungswelle, bereits am Mittwoch wird Nehammer im Ministerrat die im Regierungsprogramm enthaltenen 2300 zusätzlichen Planstellen und 2000 zusätzliche Ausbildungsplätze als Vortrag einbringen. Diese Stellen tatsächlich zu besetzen, wird aber nicht einfach, wie Nehammer am Dienstag anlässlich seines Besuches der Polizeiinspektion am Wiener Westbahnhof auch eingestand. "Das ist noch ein weiter Weg." Die Polizeiinspektion am Bahnhof ist hier prototypisch. Ihr sind derzeit 46 Planstellen zugewiesen, besetzt werden können gegenwärtig aber nur 18 davon.

Mehr Diversität in die Polizei zu bringen, ist nicht nur eine hehre Absicht, es ist schlicht auch eine Notwendigkeit. Rund 38 Prozent der 20- bis 24-jährigen der in Wien lebenden Personen hat keine österreichische Staatsbürgerschaft. Sie dürfen gar nicht zur Polizei. Der Anteil der Wiener und Wienerinnen mit Migrationshintergrund liegt aktuell bei 45,3 Prozent, wobei angenommen werden kann, dass der Anteil bei jungen Personen noch deutlich darüber liegt.

Personen mit Migrationshintergrund bewerben sich aber nicht häufig bei der Exekutive. Dabei hatte Karl Mahrer schon 2007, damals noch als Vize-Chef der Polizei, davon gesprochen, dass in wenigen Jahren in jeder Inspektion ein Beamter mit Migrationshintergrund seinen Dienst versehen wird. Auch die Stadt Wien hält dazu immer wieder Informationsveranstaltungen ab. Auch wenn Daten zur Herkunft der Eltern von Polizisten nicht erhoben werden, ist es kein Geheimnis, dass zu Mahrers einstigem Ziel noch viel fehlt. "Es gibt da eine Anfangsschwelle", sagt der Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl, Leiter des Vienna Centre for Societal Security (Vicesse).

Ein kultureller Wandel braucht Zeit

Ein Punkt, der nicht unwesentlich in diesem Zusammenhang ist: die subjektiven Erfahrungen, die jugendliche Migranten und Personen mit Migrationshintergrund machen. Auch darauf geht das Programm ein. Zur Stärkung des Vertrauens "unterstützen wir Maßnahmen in Richtung betroffener Communities", heißt es. "Diese Maßnahmen sollen insbesondere der Vermeidung etwaiger faktischer und empfundener diskriminierender Effekte dienen."

Kreissl verweist auf ein Projekt, das sein Institut in Wels vor einiger Zeit mit der Polizei durchgeführt hat. "Es ging um ,Ethnic Profiling‘, da es in Wels einen hohen Ausländeranteil gibt", erzählt Kreissl. Ein Jahr lang hat jede kontrollierte Person eine Bestätigung der Kontrolle erhalten. Man wollte Evidenz schaffen, damit sich Personen, die oft und mutmaßlich nur wegen ihres Aussehens kontrolliert werden, beschweren können. "Interessant war, dass es nur einen leichten ethnischen Bias gab, aber kein manifestes ,Ethnic Profiling‘", sagt Kreissl. Möglich, dass dies gerade wegen des Projekts so war. So oder so: Das Ergebnis war positiv.

Das Projekt war erfolgreich und sollte auch bundesweit ausgerollt werden, doch mit personellen Änderungen im Innenministerium wechselten auch die Vorhaben. Hier sieht Kriminalsoziologe Kreissl auch einen wesentlichen Punkt. Die im Programm festgehaltenen Ideen wirken nicht von heute auf morgen. "Man braucht einen extrem langen Atem." Zumal es sich eben auch um einen kulturellen Wandel handelt. Laut Regierungsprogramm soll die "Möglichkeit zur Ausstellung einer Bestätigung bei jeder ID-Feststellung" zumindest geprüft werden. Das Welser Projekt kommt nun wieder ins Spiel.

Kreissl ortet auch bereits einen Generationenwechsel: "Irgendwann ändert der Tanker die Richtung." Als Beispiel nennt er auch den publik gewordenen Wut-Anruf des Vizedirektors der steirischen Polizei beim Notruf. "Das war old school", sagt Kreissl. Und genau das geht eben nicht mehr. Der hohe steirische Beamte wurde versetzt.

Ein seit 2008 laufendes Programm zur Kooperation mit NGOs ("Polizei.Macht.Menschen.Rechte"), bei dem anfangs auch Kreissl eingebunden war, soll laut Regierungsprogramm nun intensiviert werden. Es geht dabei vor allem um die menschenrechtliche Sensibilisierung der Polizei. "Wir haben dieses Projekt strategisch so angelegt, dass wir den Polizisten mitteilten: Auch Du hast Menschenrechte! Es geht auch um menschenwürdige Arbeitsbedingungen und Mobbing. Wir wollten es breiter anlegen." Laut Broschüre des Programms befinden sich Maßnahmen zur Vermeidung von "Racial und Ethnic Profiling" gerade in Erarbeitung, ebenso ein "verbesserter Umgang mit Obdachlosigkeit".

Mehr Sensibilität im Umgang mit Obdachlosen

Nur wenige Augenblicke, nachdem Innenminister Nehammer am Dienstag an der Seite von Kanzler und Vizekanzler durch den Westbahnhof streifte, kam es im Wartebereich zu einer Festnahme. Der private Sicherheitsdienst hatte einen dunkelhäutigen Mann zum Gehen aufgeordert. Dem kam der offensichtlich Obdachlose nicht nach. Die Polizei wurde geholt, der Mann protestierte, ehe er auf den Boden arretiert und festgenommen wurde. Das ist Alltag am Westbahnhof, aber vielleicht nicht der Weisheit letzter Schluss.

Dass sich Obdachlose in der kalten Jahreszeit in öffentlich zugänglichen Gebäuden aufhalten, ist überall so, nicht nur in Wien. Aus diesem Grund gibt es gerade in Nähe von Bahnhöfen oftmals Sozialhilfe-Einrichtungen für wohnungslose Personen. Im Regierungsprogramm wurde ins Armutskapitel ein "Bekenntnis zu konsumfreien Räumen" aufgenommen. Irgendwo müssen sich Obdachlose aufwärmen, und ins Café werden sie nicht gehen können. Doch auch wenn das Bekenntnis im Regierungsprogramm steht: Die Kompetenz dafür liegt nicht auf Ebene des Bundes, es ist Aufgabe der Kommunen.