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Der ewige Streitfall U-Ausschuss

Von Simon Rosner

Politik

Vor U-Ausschüssen wird fast immer über den Gegenstand der Untersuchung debattiert - auch diesmal.


Die Zeiten ändern sich in der Politik, die Rollen auch. Mit einer Ausnahme. Die ÖVP ist nach wie vor, und das seit 1986 ohne Unterbrechung, in einer Regierung. Und es waren stets die Regierenden, also die ÖVP und lange auch die SPÖ, die sich dagegen wehrten, dass die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses zum Recht einer parlamentarischen Minderheit wird. Doch die Zeiten ändern sich. Und Ende 2014, und Jahre nach anderen europäischen Parlamenten, erhielt auch im österreichischen Nationalrat die Opposition dieses Kontrollrecht zugestanden. An vorderster Front der Verhandler damals: die Grünen, vor allem Peter Pilz, Gabriele Moser und Werner Kogler.

Die Rollen ändern sich. Kogler ist heute Vizekanzler und die SPÖ in Opposition. Was sich jedoch nicht verändert hat: Um den Untersuchungsausschuss wird nach wie vor heftig debattiert, auch diesmal in der Causa Ibiza. Das hat mit seinem Wesen zu tun. Ein U-Ausschuss dient der Kontrolle, aber gleichzeitig auch der politischen Profilierung, in erster Linie der Opposition. Diese zwei Seiten hat jeder U-Ausschuss und sie standen auch im Zentrum früherer Debatten. Während die Opposition das Kontrollrecht als Minderheitsrecht einmahnte, argumentierten Regierungsparteien, dass U-Ausschüsse nur Inszenierungen der Opposition seien. Tatsächlich wurde fast immer über den Gegenstand der Untersuchung gestritten, also was genau geprüft werden soll. Genau das ist bei U-Ausschüssen entscheidend. Aber es stand nirgendwo festgeschrieben.

Dieser Aspekt ist wichtig, auch in der Gegenwart. Der Kompromiss im Jahr 2014 bestand nämlich unter anderem auch darin, zwar der Minderheit das Recht auf Einsetzung eines U-Ausschusses zu gewähren, ihr aber nicht die Entscheidungsmacht zu übertragen, den Untersuchungsgegenstand allein festzulegen.

Zum einen wurden Formulierungen in die Bundesverfassung und in die Geschäftsordnung des Nationalrats aufgenommen, die zwar keine präzise Definition von Untersuchungsgegenständen darstellen, jedoch zumindest einen Rahmen vorgeben, der enger ist als früher. Zum anderen kann die Mehrheit gewisse inhaltliche Änderungen beim Antrag vornehmen. Jedoch nicht nach Gutdünken, es müssen "einzelne genau zu bezeichnende Teile davon als unzulässig" festgestellt und begründet werden. Das heißt: Die Mehrheit kann den Antrag nicht umformulieren, sie kann aber Passagen streichen - wenn sie es begründet. Und genau das ist passiert.

Im Streifall entscheidet nun der Verfassungsgerichtshof

Die ÖVP hat dazu ein Gutachten beim Grazer Rechtswissenschafter Christoph Bezemek in Auftrag gegeben. Basierend auf dem 26-seitigen Gutachten wurde der Antrag von Neos und SPÖ doch deutlich zusammengestrichen. "Wir haben jetzt einen Ibiza-Ausschuss ohne Ibiza", sagte Neos-Verfassungssprecher Nikolaus Scherak am Mittwoch im Plenum. Auch der von der Opposition erhobene Verdacht des Gesetzeskaufs unter Türkis-Blau kann vorerst nicht untersucht werden, ebenso wenig Postenbesetzungen bei der Finanzmarktaufsicht. All das wollten sich Rot und Pink ansehen.

Obwohl im Jahr 2014 ein Rahmen des Zulässigen gesteckt wurde, ist dieser aber nach wie vor weit von einer klaren Definition entfernt. Zeiten und Rollen mögen sich geändert haben, über den Untersuchungsgegenstand wird aber genauso gestritten wie früher. "Wenn die Mehrheit bestimmt, was untersucht werden darf, ist das kein Minderheitsrecht", sagte Jörg Leichtfried, Abgeordneter der SPÖ und damit jetzt Opposition.

An diesen Fall wurde freilich auch 2014 gedacht, weshalb man den Verfassungsgerichtshof als eine Art Schlichtungsstelle ins Gesetz schrieb. Dieser kann von einer Minderheit angerufen werden, und das wird auch in Sachen Ibiza-Ausschuss passieren.

Wichtig ist: ÖVP und Grüne haben zwar ein Gutachten in Händen, auf dessen Basis sie ihre Streichungen begründet haben, es ist dennoch eine politische Entscheidung der Regierungsparteien gewesen, was sie für zulässig halten und was nicht. Jurist Bezemek bezieht sich in seinem Papier unter anderem auch auf das "Handbuch zum Recht der Untersuchungsausschüsse", das nach der Reform 2014 von Parlamentsmitarbeitern erarbeitet worden ist. Doch dieses ist eher ein Gesetzeskommentar, es interpretiert die relevanten Passagen in der Verfassung und im Geschäftsordnungsgesetz.

Bisher keine Judikatur zum U-Ausschuss

Es ist gut möglich, dass der VfGH zu einer anderen Deutung kommen wird. Er trifft keine politische, sondern eine juristische Entscheidung. Man könnte auch sagen: Auch der VfGH wird das Gesetz interpretieren, wie es die Parlamentsmitarbeiter mit dem Handbuch und Bezemek mit dem Gutachten getan haben, doch was der VfGH sagt, gilt. "Wir wollen rechtlich klären, was zulässig ist", sagte Sigrid Maurer, die grüne Klubchefin. Und auch ihr Kollege August Wöginger betonte: "Der VfGH hat darüber zu entscheiden, was verfassungskonform ist, nicht die Minderheit." Tatsächlich gibt es bisher keine Judikatur. Das wird sich ändern, dürfte aber Wochen dauern. Dass danach für alle Zukunft im Konkreten geklärt ist, wie die Verfassung zu deuten ist, wenn von einem "bestimmten abgeschlossenen Vorgang im Bereich der Vollziehung des Bundes" zu lesen ist, darf aber nicht erwartet werden.

Leichtfried zitierte am Mittwoch aus einer Rede von Peter Pilz beim Beschluss 2014. Pilz sagte damals: "Ich hoffe, dass die Regierungsparteien die Opposition nicht zwingen werden, fortwährend Verfahren beim Verfassungsgerichtshof zu führen." Die Rollen haben sich seither geändert. Die Grünen sind in der Regierung, die SPÖ in der Opposition, das ändert auch die Sichtweise der beiden Parteien. Was sich nicht ändern wird: Was und wie untersucht werden soll, wird auch weiterhin ein Streitfall bleiben. Zunächst ein politischer wie vor der Reform, wenn aber, wie diesmal, keine politische Einigung erzielt werden kann, folgt eine juristische Entscheidung.