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Der rote 1700-Euro-Streitfall

Von Karl Ettinger

Politik

Genossen und Gewerkschaft haben mit dem Mindestlohn-Vorstoß von Burgenlands Landeschef Doskozil keine helle Freude. | Allein im öffentlichen Dienst hätte die Ausweitung auf ganz Österreich Milliardenkosten zur Folge.


Putzen in der Küche in Burgenlands Landesdienst ist wohl kaum ein Traumjob. Für das Personal, das für die Reinigung zuständig ist, wird der Arbeitstag seit Jahresbeginn nicht nur mit Szomloer Nockerln versüßt, sondern auch von der Möglichkeit, mehr zu verdienen. Beschäftigte in der Küche sind einer der Personenkreise, der von der Einführung des Mindestlohns von 1700 Euro netto im Burgenland profitiert.

Diesen hat Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) für den Landesdienst umgesetzt und am Dienstagabend in ORF-"Report" gegen Vorbehalte in den anderen SPÖ-regierten Bundesländern Kärnten und Wien verteidigt. Dem Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ), der zuvor in einem Beitrag zu Wort kam, fehlte dabei der Leistungsanreiz. Der Wiener Gesundheits- und Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) warf ein, dass man das Burgenland nicht mit der Zwei-Millionen-Stadt Wien vergleichen könne.

Umsetzung bedeutet Erhöhungauf 2450 Euro brutto im Monat

Doskozil ließ sich durch die Einwände seiner Parteigenossen nicht beirren. Er begründete im "Report" den Mindestlohn von 1700 Euro damit, dass die Differenz zwischen Arbeitseinkommen und der Sozialhilfe, die für Alleinstehende knapp 900 Euro ausmacht, größer werden müsse.

Juristen im Landesdienst mögen bei 1700 Euro netto nicht einmal das sprichwörtliche Ohrwaschel rühren. Aber für jene, die nicht zu den Gutverdienern zählen, stellen die 1700 Euro netto oder umgerechnet rund 2450 Euro brutto für einen Vollzeitarbeitsplatz eine satte Gehaltserhöhung dar. Gleiches gilt übrigens für einen Chauffeur, der erst kurz zum Landespersonal gehört und kaum anrechenbare Vordienstzeiten aufweist.

Während der Gewerkschaftsbund (ÖGB) die Forderung nach 1700 brutto Mindestlohn bei seinem letzten Bundeskongress im Frühsommer 2018 zu einer bundesweit zentralen Forderung erhoben hat, hat Doskozils SPÖ nicht zufällig vor der Landtagswahl am 26. Jänner Nägel mit Köpfen gemacht. Das sollte den sprichwörtlichen "kleinen Mann" unter den rund 2000 Landesmitarbeitern noch ein bisschen mehr animieren, bei der Landtagswahl auf dem Stimmzettel bei der SPÖ sein Kreuzerl zu machen.

Allerdings wird der Mindestlohn von 1700 Euro netto im Monat nicht automatisch ausbezahlt. Wer schon im Landesdienst gearbeitet hat, musste diese Option wählen, ansonsten blieb er im bisherigen Gehaltsschema des Landes. Denn das 1700-Euro-Sonderangebot hat einen Nachteil: Dem deutlich höheren Anfangsgehalt folgt später eine flachere Gehaltskurve. Alles brav nach der reinen Lehre von Ökonomen, die schon länger predigen, für ältere Arbeitnehmer solle die Lohnkurve nicht mehr so stark steigen wie bisher. Vor allem Betriebe in der Privatwirtschaft beklagen, dass ältere Mitarbeiter deswegen zu teuer seien.

Rund 40 Bediensteteim Burgenland profitieren

Rund 160 burgenländische Landesbedienstete haben nach dem jüngsten Stand das 1700-Euro-Angebot pro Monat in Anspruch genommen. Dazu kamen noch jene, die erst neu in den Landesdienst eingetreten sind. Diese hatten keine Wahl, sondern mussten beim Arbeitsantritt das neue Gehaltsschema akzeptieren. Das macht, wie der "Wiener Zeitung" im Eisenstädter Landhaus erklärt wird, nun insgesamt rund 400 Mitarbeiter im neuen Schema mit dem teils deutlich höheren Anfangsgehalt.

Doskozil brachte aber mit seinem Gehaltsmodell sowohl SPÖ-Bundesparteichefin Pamela Rendi-Wagner in eine Zwickmühle als auch den Gewerkschaftsbund. Die SPÖ-Vorsitzende musste ausgerechnet nach dem Wahlerfolg für die SPÖ im Burgenland durch die Rückeroberung der absoluten Mehrheit in der "ZiB2" erklären, dass sie weiter dennoch bei der im Nationalratswahlkampf 2019 aufgestellten Forderung nach einem Mindestlohn von 1700 Euro im Monat steuerfrei bleibt. Der ÖGB hat ein anderes Problem, hielt sich aber gegenüber der neuen roten Kultfigur aus Eisenstadt öffentlich zurück. Die Gewerkschaft will sich das Recht, bei Kollektivvertragsverhandlungen die Lohnerhöhungen mit den Arbeitgebervertretern selbst zu verhandeln, nicht aus der Hand reißen lassen.

Unterschied zur Forderungder SPÖ-Bundesparteichefin

Rendi-Wagners Forderung nach 1700 Euro steuerfrei wäre zwar ebenfalls eine Verbesserung der Lohnsituation für Arbeitnehmer mit niedrigen Einkünften. Damit würde die Grenze, bis zu der jemand seinen Lohn für einen Vollzeitjob steuerfrei erhält, von rund 1100 auf 1700 Euro im Monat angehoben. Der Haken dabei: Davon werden dann noch die Sozialversicherungsbeiträge abgezogen, die stärker als die Steuer in diesem Segment ins Gewicht fallen. Bei Doskozils Variante ist das anders: Dort gibt es brutto eben rund 2450 Euro Monatslohn, damit letztlich 1700 Euro netto auf dem Konto der Bediensteten landen.

Für Doskozil ist außerdem der Landesdienst nur der 1700-Euro-Lohn-Vorreiter, dem später die Privatwirtschaft folgen soll. Der Landeshauptmann sitzt zwar auch künftig mit absoluter Mehrheit ausgestattet nicht bei Kollektivvertragsverhandlungen zwischen Dienstgebern und Dienstnehmern mit am Verhandlungstisch. Das möchte er aber dadurch wettmachen, indem er einen gewissen Druck auf Unternehmen und Wirtschaft ausübt. Wer nicht lohngefügig ist und nicht auf Appelle des Landeshauptmannes hören will, soll fühlen. Im Raum steht, dass Betriebe, die nicht 1700 Euro netto zahlen, bei Vergaben mangels Erfüllung dieses Kriteriums nicht zum Zug kommen. Europarechtliche Bedenken hat Doskozil im TV-Studio vom Tisch gewischt.

Aufschrei der Wirtschaftüber 1700 Euro Mindestlohn

Burgenländische Wirtschaftsvertreter haben allerdings aufgeschrien wegen der 1700-Euro-Zahlung im Landesdienst und der SPÖ-Bestrebungen, dass auch Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft davon profitieren müssten. Die Arbeitgeberseite warnte und warnt eindringlich davor, quasi mit der Brechstange die 1700 Euro umsetzen zu wollen, weil dies Arbeitsplätze kosten werde und letztlich die Wirtschaft überfordere. Diese Bedenken sind auch für den Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), Christoph Badelt, nicht völlig aus der Luft gegriffen. Der SPÖ-Landeshauptmann hält dem entgegen, dass die Wirtschaft ihrerseits gern Förderungen akzeptiert habe, und verwies auf den Handwerkerbonus für Gewerbetreibende.

Einen sicher gewünschten bundesweit registrierten Effekt hat Doskozil mit seinem Vorpreschen erreicht: Der rote 50-Prozent-Mann aus dem Burgenland hat einen Schritt zur Umsetzung gemacht, während sowohl die SPÖ-dominerte Gewerkschaft als auch Rendi-Wagner als Chefin einer Oppositionspartei in absehbarer Zeit nur von einem Mindestlohn von 1700 Euro netto im Monat für unselbständig Beschäftigte träumen dürfen. Parteifunktionäre und SPÖ-affine Wähler, hört die Signale, tönt es demnach als Begleitmusik aus dem Landhaus in Eisenstadt mit.

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Allerdings lässt sich das 1700-Euro-Modell nicht einmal im öffentlichen Dienst so mir nichts dir nichts beispielsweise auf den Bundesdienst oder die zigtausenden Wiener Gemeindebediensteten übertragen. Der Hauptgrund sind die Kosten, auch wenn nicht einmal Wirtschaftsexperten die Mehrkosten exakt beziffern wollen. Im Burgenland sind für die Umsetzung vorerst drei Millionen Euro pro Jahr veranschlagt. Saftige Mehrkosten bei deutlich mehr öffentlich Bediensteten basieren jedoch nicht auf kruden Berechnungen, sondern beruhen auf handfesten Argumenten. Das hat sich in den vergangenen Jahren längst bestätigt. Spätestens seit der Jahrtausendwende tauchen von Seite der Bundesregierung(en) wie auch von jener der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst immer wieder Pläne auf, eine Gehaltsreform im Bundesdienst umzusetzen.

Die Sache hat nur einen entscheidenden Haken, an dem alles hängen geblieben ist. Kein Beamtenminister hat sich in knapp 20 Jahren wirklich an dieses Vorhaben herangewagt, weil die höheren Einstiegsgehälter in den ersten Jahren auf einen Schlag Mehrkosten je nach Ausformung des Modells von rund zwei Milliarden Euro im Bundesbudget zur Folge hätten. Spätestens bei der Nennung dieser Zahl war damit eine ernsthafte Diskussion darüber im Regelfall beendet.

Es gab im Wesentlichen nur zwei Ausnahmen. Das finanziell gut abgepolsterte Land Vorarlberg hat die Einführung eines neuen, zu Beginn teureren Gehaltschemas mit dem Ende des Beamtentums im Landesdienst verknüpft. Für Lehrer gibt es wiederum seit dem heurigen Schuljahr nach fünfjähriger Vorlaufzeit im Gegenzug zur einst heftig umstrittenen Dienstrechtsreform auch ein neues Gehaltsschema mit höheren Einstiegsgehältern und danach deutlich flacherer Gehaltskurve. Letztere hat zur Folge gehabt, dass der massenweise vorzeitige Umstieg auf das neue Gehaltsmodell ausgeblieben ist.

Experte: Profitieren würden100.000 Vertragsbedienstete

Thomas Leoni, Spezialist für Lohnfragen im Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo), verweist bezüglich des burgenländischen 1700-Euro-Modells darauf, dass kaum Beamte im Falle einer Ausweitung über das Burgenland hinaus profitieren würden. Denn diese kommen schon jetzt zum Großteil auf diesen Betrag. Anders ist hingegen die Situation bei Vertragsbediensteten, wie Leoni, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" hervorstreicht. Rund 100.000 Vertragsbedienstete im öffentlichen Dienst, bezogen auf Bund, Länder und Gemeinden, würden derzeit unter der Marke von 1700 Euro im Monat liegen.

Wirtschaftsforscher Leoni betont allerdings auch, dass sich das Doskozil-Modell auch nicht so einfach bundesweit auf die Privatwirtschaft umlegen lasse. Er beziffert die Mehrkosten dann nämlich mit etwa sechs Milliarden Euro. "Das wäre eine teure Sache", gibt er zu bedenken. Nur zum Vergleich: Die von der türkis-grünen Bundesregierung bei ihrer Klausur in der Vorwoche in Krems nochmals verkündete Steuerreform wird mit einem Volumen von vier Milliarden Euro veranschlagt.

Der ÖGB fordert zwar wie Rendi-Wagner zumindest 1700 Euro Mindestlohn. Allerdings will er keinesfalls, dass diese Richtmarke per Gesetzesbeschluss des Nationalrats vorgegeben wird. Nicht einmal dann, wenn die SPÖ wie vor mittlerweile fast 50 Jahren unter Bruno Kreisky eine absolute Mehrheit im Parlament hätte. Denn damit würde der Gewerkschaft ihrer wichtigsten Existenzberechtigung im Rahmen der jahrzehntelangen Tradition der Sozialpartnerschaft zwischen Dienstgebern und Dienstnehmern mit einen Schlag verlustig gehen: Dies betrifft das Abschließen hunderter Kollektivverträge mit den Arbeitgebervertretern für die einzelnen Branchen. Österreichs schert damit aus der Reihe anderer Staaten in Europa aus, in denen Mindestlöhne vielfach per Gesetz festgelegt werden (siehe Grafik).

Deswegen wird im Beschluss des ÖGB-Bundeskongresses ausdrücklich einer gesetzlichen Festlegung eine Absage erteilt. Von Todessehnsucht sind ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian und seine gewerkschaftlichen Mitstreiter nicht geplagt. Wörtlich heißt es im gültigen ÖGB-Grundsatzbeschluss: "Einen gesetzlichen Mindestlohn lehnt der ÖGB aus guten Gründen ab. Dieser wäre immer von den politischen Mehrheiten im Parlament und Regierung abhängig und somit Spielball in der tagespolitischen Auseinandersetzung." Doskozil entgegnet darauf: "Soll doch eine andere Regierung den Mindestlohn zurücknehmen. Dann wird sie eh nicht mehr gewählt, wenn sie es ändern."

Gewerkschaft gegengesetzlichen Mindestlohn

Die Gewerkschaft fürchtet nicht nur die Abhängigkeit von politisch anderen Mehrheitsverhältnissen nach Nationalratswahlen. Es wird noch ein zweites Argument ins Treffen geführt: "In der Praxis könnte eine branchenübergreifende, gesetzliche Regelung dazu führen, dass die Arbeitgeber nicht mehr bereit wären, für höhere Verwendungsgruppen höhere Mindestlöhne per Kollektivvertrag festzusetzen. Das nahezu flächendeckende Kollektivvertragssystem erfasst alle Lohngruppen und nicht nur die untersten Mindestlöhne." Das in Österreich bestehende beinahe flächendeckende System an Kollektivverträgen sichere nicht nur Mindestlöhne in allen Verwendungsgruppen, sondern nehme auch Rücksicht auf gesamtwirtschaftliche und branchenspezifische Entwicklungen.

400.000 in Privatwirtschaftmit weniger als 1700 Euro

Über die Auswirkungen der Einführung von 1700 Euro sind Gewerkschaft und Wirtschaftsexperte Leoni grundsätzlich einig. Nach Angaben des ÖGB würden rund 400.000 Arbeitnehmer von der Umsetzung dieses Mindestlohns profitieren. Im Wirtschaftsforschungsinstitut kommt man bei Schätzungen ebenfalls auf eine Größenordnung von 350.000 bis 400.000 Arbeitnehmern, denen die Einführung zugutekäme.

Welche unselbständig Beschäftigten würden von dieser Maßnahmen am meisten profitieren? Im ÖGB werden unter anderen Beschäftigte im Handel genannt. Allerdings wird von Expertenseite präzisiert, dies betreffe nicht die Angestellten, sondern die Arbeiter im Handel. Angeführt werden auch die Beschäftigten in der Gastronomie. Dazu kommen laut ÖGB Angestellte bei Rechtsanwälten und Notaren. Profitieren würden auch Friseurinnen und Friseure, Reinigungskräfte, Beschäftigte in Bewachungsfirmen sowie Fahrradboten und einige Kollektivverträge in Branchen mit weniger Beschäftigten.

Hans Peter Doskozil hat bereits signalisiert, dass er die Pläne für die weiterreichenden Pläne für einen Mindestlohn von 1700 Euro netto im Monat nicht auf das Burgenland beschränkt sehen will. Diskussionsstoff in der SPÖ, mit Gewerkschaft und Wirtschaft scheint somit auch in Zukunft garantiert.