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Ärzte verzichten auf Kassenverträge

Von Martina Madner

Politik

Kassenstellen bleiben oft unbesetzt. Der Grund dafür ist weniger das Einkommen als schlechte Arbeitsbedingungen.


Was den Beruf des Hausarztes oder der Hausärztin anbelangt, startet die Skepsis schon bei jenen, die Medizin studieren oder im Turnus sind. Zwar gehen sie von Vorteilen wie einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch freier wählbare Arbeitszeiten aus. Auch, dass man Familien über Generationen hinweg in der eigenen Praxis betreuen kann, kommt theoretisch gut an.

Theoretisch, weil sich nur zwei Prozent des medizinischen Nachwuchses vorstellen können, nach dem Abschluss der Ausbildung eine Praxis für Allgemeinmedizin zu eröffnen. Sie befürchten, zu wenig Zeit für Gespräche mit Patientinnen und Patienten zu haben, insbesondere, wenn sie eine Kassenstelle bekommen. Zudem fühlen sich nur 15 Prozent der Studierenden gut, aber 54 Prozent schlecht für die Allgemeinmedizin ausgebildet fühlen. Auch glauben sie, im Vergleich zu spezialisierten Fächern später weniger Leistungen abrechnen zu können.

Das zeigt eine Erhebung unter allen Medizinstudenten, die die heutige Allgemeinmedizinerin Stephanie Poggenburg als Universitätsassistentin an der Medizin-Universität Graz vor rund zwei Jahren erstellt hat.

Die Konsequenz daraus: 157 der aktuell ausgeschriebenen Kassenstelle konnten nicht besetzt werden. Das sind um 28 mehr als vor einem Jahr. 95 sind es österreichweit in der Allgemeinmedizin, eine davon in Salzburg, 28 dagegen in Oberösterreich. Auch für 62 Kassen-Facharztstellen gibt es kein Interesse: Besonders viele blieben mit 26 in der Kinder- und Jugendheilkunde offen. Auch 16 Stellen in der Gynäkologie sind unbesetzt.

Einkommen mit Kassenvertrag höher

Dabei zeigen die Analysen des IHS-Gesundheitsökonomen Thomas Czypionka: "Wenn es bei der Berufswahl ums Geld geht, müsste man sagen: Werden Sie entweder Primar oder nehmen Sie bitte eine Kassenstelle an." Denn 50 Prozent der Ärztinnen und Ärzte, die mit den früheren Gebietskrankenkassen, also der heutigen Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) einen Vertrag haben, erzielen ein Median-Einkommen vor Steuern von 142.772 Euro. Das bedeutet, bei 50 Prozent ist es höher, bei den anderen 50 weniger hoch. Die Primaria und der Primar im Krankenanstaltenverbund erzielen ein Medianeinkommen von 143.414 Euro.

Wobei Czypionka auf die Unterschiede nach Fachgruppen hinweist: In der Allgemeinmedizin sinkt das Einkommen auf 130.000 Euro jährlich, auch in Ordinationen für Kinder liegt es mit 135.000 Euro und in der Gynäkologie mit 139.000 Euro darunter. HNO-Praxen mit ÖGKK-Verträgen kommen auf 193.000 Euro, jene für die Urologie auf 212.000 Euro und jene für Augenheilkunde auf 220.000 Euro Einkommen pro Jahr vor Steuern.

Klar ist aber: Im Vergleich zu Wahlärztinnen und Wahlärzten, die jährlich 75.524 Euro erzielen, ist das Einkommen von Kassenärzten jedenfalls höher. In der Allgemeinmedizin mit Kassenvertrag ist es innerhalb von 15 Jahren um durchschnittlich 15 Prozent gestiegen, bei Fachärztinnen und -ärzten um 29 Prozent. Das liegt aber nicht an höheren Tarifen: Die Einnahmen pro Behandlung stiegen in der Allgemeinmedizin im selben Zeitraum inflationsbereinigt nur um zwei Prozent, in Fachbereichen um elf.

Der Grund ist vielmehr die deutlich höhere Frequenz in den Ordinationen mit Kassenvertrag. Die Bevölkerung wächst, der Anteil der Älteren darunter, die häufiger Beschwerden haben, noch mehr. Zugleich ist die Anzahl jener mit Kassenvertrag österreichweit leicht gesunken.

So kommt es, dass Poggenburg in Hart bei Graz knapp über 5000 Einwohner die einzige Allgemeinmedizinerin mit Kassenvertrag ist - und deshalb mehr Arbeit als früher hat.

Arbeitsbedingungen sind verbesserungswürdig

"Ein Arbeitstag kann schon mal zwölf bis 13 Stunden dauern, vor allem mit Hausbesuchen. Am Montag waren, weil Grippezeit, 170 Patienten an einem Tag da", sagt die Ärztin. "Wir würden viel mehr abfangen, aber die Kasse bezahlt uns das nicht."

Manche Tests zahle die Kasse nicht, bei anderen nur einen Teil, bei anderen gibt es eine Deckelung - "den Rest muss ich selbst aus meiner Tasche finanzieren". Eine neue Honorarordnung "mit facharztgleichen Sätzen - ein Honorar, das die Zeit für den Patienten positiv bewertet", könnte die Allgemeinmedizin-Kassenverträge attraktiver machen, meint Poggenburg.

Ein "genialer Schachzug" sei dagegen die Möglichkeit der Anstellung in Gruppenpraxen. Jungärztinnen und -ärzte lernen so ökonomische, organisatorische und medizinische Erfordernisse kennen - "ohne die Risiken gleich selbst tragen zu müssen". Hoffnung setzt sie auch in die Facharztausbildung für Allgemeinmedizin. Die soll laut Regierungsprogramm bald Realität werden.

Im Moment dauert der Turnus-Teil in der Praxis für Allgemeinmedizin ein halbes, dann zwei Jahre. Auch das halbe Jahr ist erst seit dem Gruppenpraxengesetz von 2018 österreichweit möglich, in Salzburg begann man damit bereits 2012. Das ist ein Grund dafür, dass dort nur eine Kassenstelle für Allgemeinmedizin unbesetzt ist. Ein zweiter Grund ist, dass Bereitschaftsdienste in der Nacht und an Wochenenden an Rotkreuzdienste und Spitäler ausgelagert wurden, was die Arbeitszeiten verbesserte. "Salzburg ist uns in vielen Dingen voraus", sagt die Ärztin aus Hart. Bis es auch in der Steiermark so weit ist, freut sie sich über die Wertschätzung durch Patienten und Patientinnen, an diesem Tag hörte Poggenburg zum Beispiel: "Ich bin so froh, dass es sie gibt."