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Diabetes erkennen, bevor er ausbricht

Von Petra Tempfer

Politik

600.000 Österreicher leiden an Diabetes. Stellt man den Lebensstil im Vorstadium der Erkrankung um, könnte das den Ausbruch verhindern.


Einer von zehn Österreichern leide an Diabetes, sagte die Medizinerin Evelyne Wohlschläger-Krenn, stellvertretende Leiterin des Gesundheits- und Vorsorgezentrums der Krankenfürsorgeanstalt der Bediensteten der Stadt Wien (KFA), am Dienstag. Viele von diesen hätten noch gar keine Diagnose erhalten, denn: Die ersten Jahre mit Diabetes als auch die Prädiabetes (fünf bis 15 Jahre vor dem Ausbruch der Krankheit) verlaufen völlig symptomfrei. "Das macht ein Erreichen der Betroffenen so schwierig", so Wohlschläger-Krenn.

Offiziell seien 600.000 Österreicher an Diabetes erkrankt, hieß es am Dienstag in der Ärztekammer. In Österreich ist das zu 90 Prozent Diabetes Typ II, das oft mit Übergewicht und Bluthochdruck einhergeht (Diabetes Typ I ist eine Autoimmunerkrankung, die sich meist im Kindes- oder Jugendalter manifestiert). 300.000 wüssten nichts von ihrer Krankheit, und geschätzte 700.000 hätten Prädiabetes.

Die Zahl von 600.000 steige stetig an - man gehe davon aus, dass es in zehn Jahren 800.000 Menschen sein werden, sagte Erich Pospischil, Präsident der Gesellschaft für Arbeitsmedizin. Diabetes sei damit nicht nur die Volkskrankheit Nummer eins, sondern verursache auch enorme Kosten: Die direkten Kosten des Diabetes und seiner Folgeerkrankungen werden den Experten zufolge auf 4,3 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt - die gesamten Gesundheitsausgaben einschließlich der Ausgaben für Langzeitpflege lagen 2018 laut Statistik Austria bei 39,7 Milliarden Euro.

Gewohnheiten ändern

Daher müsse man vorsorgen, müsse Prädiabetes erkennen und die Betroffenen beraten. Der Erfolg sei messbar, so Wohlschläger-Krenn: Während österreichweit fünf bis 20 Prozent des Prädiabetes jährlich in Diabetes übergehen, "waren es bei der Auswertung von 303 Jahreskontrollen von 2019 im KFA-Vorsorgezentrum nur 0,3 Prozent".

Seit Jahren ist auch wissenschaftlich belegt, dass eine Intervention im Prädiabetes-Stadium mit Nüchternblutzuckerwerten von 100 bis 125 Milligramm pro Deziliter Blut und/oder einem HbA1c-Wert (Langzeitwert für Blutzucker) zwischen 5,7 bis 6,4 Prozent den Diabetes-Ausbruch verzögern oder sogar verhindern kann. Das Rezept ist denkbar einfach: All jene, bei denen zum Beispiel im Zuge der Vorsorgeuntersuchung im KFA-Zentrum Prädiabetes festgestellt wird, werden laut Wohlschläger-Krenn eingeladen, ein fünfwöchiges Schulungsprogramm zu durchlaufen, bei dem es vor allem darum geht, seinen Lebensstil zu ändern. Unter medizinischer und psychologischer Begleitung werde der gemeinsame Versuch unternommen, Verhaltensweisen wie ungesunde, stark zuckerhaltige Ernährung oder mangelhafte Bewegung umzuprogrammieren.

Essenziell für eine Erkennung von Prädiabetes sei, dass bei den Vorsorgeuntersuchungen nicht nur der Sofort-Blutzuckerwert, sondern auch der Langzeitzuckerwert gemessen werde, so Wohlschläger-Krenn. Dieser spiegle die vergangenen drei Monate wider. Am KFA-Zentrum, das pro Jahr rund 10.000 Gesundenuntersuchungen durchführe, sei diese Messung daher Usus. Innerhalb von drei Jahren seien rund 1000 Versicherte in die Prädiabetes-Ambulanz der KFA gekommen. Diese wurde 2015 als erste Einrichtung dieser Art eröffnet.

Auch die Österreichische Gesundheitskasse übernehme die Kosten für Tests und ärztliche Leistungen in der KFA-Ambulanz, ergänzte der ärztliche Leiter Robert Winkler. Bei den Schulungen gebe es jedoch einen Selbstbehalt.

"Finanzielle Anreizsysteme"

Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, sprach sich für ein österreichweites Screeningprogramm mit anschließender (Lebensstil-)Intervention aus. "Das auszubauen, würde nicht nur Geld, sondern auch viel Leid sparen", sagte er. Atherosklerose, Nieren- oder Netzhautschäden zählen zu den Folgeerkrankungen. Von den rund 34.000 Menschen, die jedes Jahr einen Herzinfarkt erleiden, ist jeder Vierte Diabetiker.

Der Prävention und Gesundheitsförderung sind auch im aktuellen Regierungsprogramm mehrere Absätze gewidmet. Darin geht es unter anderem darum, "finanzielle und sachliche Anreizsysteme für gesundheitsfördernde Maßnahmen und die Teilnahme an Präventionsprogrammen" zu etablieren.