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Die Konfliktfelder in der Strafjustiz

Von Daniel Bischof

Politik

Im Wochentakt kritisieren Politiker die Staatsanwaltschaften. Die "Wiener Zeitung" bespricht mit Experten die Bruchlinien.


Es vergeht derzeit kaum ein Tag, an dem Vertreter der Strafjustiz nicht Kritik einstecken müssen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ortet eine rote Dominanz in den Staatsanwaltschaften, regelmäßig beschwert er sich über die Ermittlungsbehörden. Erst am Dienstagabend legte er in der Causa Eurofighter wieder nach: "Ich verstehe nicht, warum bei uns die Ermittlungen so lange dauern." Der Präsident des Oberlandesgerichts Innsbruck, Klaus Schröder, kritisierte die Angriffe des Kanzlers scharf und vermutete "politische Motive" dahinter.

Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) wiederum vertraut zwar auf die Richter und Staatsanwälte, nicht aber auf die "politische Ebene der Justiz". Sein Misstrauen gelte insbesondere Christian Pilnacek, dem Chef der Strafrechtssektion im Justizministerium, erklärte er in der vergangenen Woche.

Der Unmut und die Vorwürfe reihen sich ein in eine Serie an Konflikten, die in der Vergangenheit zutage traten. Die Bruchlinien verlaufen auch zwischen den einzelnen Justizbehörden. Das wurde besonders im vergangenen Jahr ersichtlich, als sich Pilnacek und die Oberstaatsanwaltschaft Wien auf der einen und die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) auf der anderen Seite öffentlichkeitswirksam bekriegten. Die "Wiener Zeitung" zeigt einige Konfliktfelder auf und spricht mit Experten über Lösungsansätze.

Die Weisungskette als ewiger Streitpunkt

Will jemand in eine trockene Fachtagung über die Strafjustiz etwas Feuer hineinbringen, so muss er nur ein Thema erwähnen: das Weisungsrecht. Der Dauerbrenner entzündet seit Jahrzehnten emotionale Diskussionen zwischen Justizvertretern. Denn letztlich dreht es sich dabei um die fundamentale Machtfrage, wer in strafrechtliche Ermittlungen Einsicht und auf sie Einfluss nehmen kann.

Auch im Zuge der aktuellen Diskussion taucht der ewige Streitpunkt immer wieder auf. Als Patentlösung, um politische Einflussnahmen auf die Justiz zu verhindern, fordern Sozialdemokraten und Neos erneut die Schaffung eines unabhängigen Bundesstaatsanwalts, der an der Spitze der Weisungskette stehen soll.

Derzeit endet diese Kette bei der Justizministerin. Die Staatsanwaltschaften sind ihr und den Oberstaatsanwaltschaften weisungsgebunden, bei bedeutenden Fällen müssen sie Bericht erstatten. Österreich stehe mit dieser Konstruktion europaweit zunehmend alleine da, sagt Martin Kreutner, ehemaliger Leiter des Büros für interne Angelegenheiten im Innenministerium und Dekan der internationalen Antikorruptionsakademie in Laxenburg.

"Nur noch in ganz wenigen Ländern sind Staatsanwälte einem politischen Organ weisungsgebunden", so Kreutner. Österreich solle dem europäischen Trend folgen: "Die österreichische Bundesverfassung sieht eine Gewaltenteilung vor. Das sollte bis zur Spitze gelebt werden."

Mit der derzeitigen Situation unzufrieden ist auch Walter Geyer, vormaliger Leiter der WKStA und Ex-Abgeordneter der Grünen: "Das Entscheidende ist: Durch die Weisungskette zum Justizministerium ist die Strafjustiz nicht unabhängig."

Skepsis gegenüber Bundesstaatsanwalt

Auch der 2016 geschaffene Weisungsrat habe keinen Systemwandel gebracht, erklärt Geyer. Der Weisungsrat ist bei der Generalprokuratur angesiedelt und wird vom Justizministerium eingeschaltet, wenn es sich um Fälle von besonderem öffentlichen Interesse handelt oder die Ministerin den Staatsanwaltschaften eine Weisung erteilen will. Das Organ berät die Justizministerin über das weitere Vorgehen: Will sie der Meinung des Weisungsrats nicht folgen, muss sie das in einem Bericht an den Nationalrat begründen. Es handle sich dabei also um kein Entscheidungsorgan: "Letztlich bleibt die letzte Instanz das politisch geführte Justizministerium", kritisiert Geyer.

Auch den vielfach geforderten Bundesstaatsanwalt halten Experten nicht für eine wünschenswerte Konstruktion. Die Idee habe ihn bisher "noch nicht recht überzeugt", schrieb Ex-Justizminister Clemens Jabloner im November 2019 in seinem Wahrnehmungsbericht: Probleme würden dadurch nicht gelöst, sondern nur verlagert werden.

"Der Bundesstaatsanwalt würde weniger unter der öffentlichen Kontrolle stehen als der Justizminister", sagt Georg Krakow, ehemaliger Oberstaatsanwalt und Kabinettschef unter Justizministerin Claudia Bandion-Ortner. Er ist Partner bei der Anwaltskanzlei Baker McKenzie und sitzt im Vorstand von Transparency International Österreich. Erteile der Minister etwa die Weisung, ein Verfahren einzustellen, werde dieser Schritt letztlich immer seinen Weg an die Medien und Öffentlichkeit finden: "Bei einem unabhängigen Bundesstaatsanwalt wäre das viel weniger der Fall."

Besser und wichtiger findet Krakow eine Stärkung der Unabhängigkeit der einzelnen Staatsanwälte. Die Staatsanwälte müssten von sich aus selbstbewusster und standfester auftreten. Zugleich müsse aber auch das formale Verfahren bei Weisungen verändert werden. "Oberstaatsanwaltschaft und Ministerium sollen zwar weiter Einsicht in die Strafakten haben, um die Qualitätssicherung wahrnehmen zu können", sagt Krakow. "Wollen sie den Staatsanwälten jedoch eine Weisung erteilen, soll darüber ein Gericht, etwa bei Weisungen des Ministeriums das zuständige Oberlandesgericht, entscheiden." Dadurch würde auch die Transparenz bei Weisungen deutlich gestärkt werden, weil der Antrag und die dazugehörige Korrespondenz im Strafakt aufscheinen würden.

"Auch bei den Staatsanwälten gibt es Minimalisten"

Kreutner hält fest, dass eine prinzipielle Fach- und Dienstaufsicht durchaus sinnvoll sei: "Ich verstehe voll und ganz, dass einzelne Staatsanwälte nicht völlig weisungsfrei agieren können. Wie bei allen anderen Berufen gibt es bei den Staatsanwälten engagierte und fähige Personen, aber auch Minimalisten." Diese Fachaufsicht sollte aber auf höchster Ebene von einem Richterkollegium ausgeübt werden, so Kreutner.

"Dieses Gremium könnte aus den emeritierten Höchstrichtern des Verfassungs-, Verwaltungs-, und des Obersten Gerichtshofes oder drei emeritierten Präsidenten der Oberlandesgerichte bestehen. Sie würden automatisch nach dem Ende ihrer Amtszeit in das Gremium kommen und hätten karrieremäßig nichts mehr zu verlieren." Dadurch wären die juristische Expertise, Seniorität und Seriosität des Gremiums gewahrt, zugleich wäre die justizielle Unabhängigkeit der Weisungskette gestärkt.

In Diskussion steht nicht nur die Weisungskette selbst, sondern auch die Art, wie Weisungen erteilt werden. Gesetzlich vorgeschrieben ist, dass Weisungen nur schriftlich ergehen dürfen und eine Begründung beinhalten müssen. Derart formal laufe es im Dienstbetrieb aber nicht immer ab, erklärt Kreutner.

"Die ,Wünsche‘ der Vorgesetzten ergehen ja nicht immer schriftlich. Oft reichen einfache Nebenbemerkungen in Gesprächen", sagt Kreutner. Zudem lasse sich mithilfe der Berichtspflichten Druck auf die Ermittler aufbauen: "Wenn ein Staatsanwalt zehn Fälle auf dem Tisch hat und in einer Causa zig Mal am Tag Bericht erstatten muss: Dann wird er sich vielleicht überlegen, ob er diesen ungemütlichen Fall nicht auf eine andere Art erledigt."

"Mündliche Weisungen gibt es nicht"

"Eine Weisung muss immer in formaler Form und schriftlich ergehen. Mündliche Weisungen gibt es nicht. Sie sind verboten und daher rechtswidrig", so Krakow.Doch sei nicht jede Meinungsverschiedenheit in einer Dienstbesprechung gleich als Weisung zu interpretieren: "In einer Diskussion über einen Fall muss es einem Vorgesetzten möglich sein, seine Meinung auszudrücken. Die untergeordneten Dienststellen müssen es aushalten können, wenn jemand einen anderen Zugang vertritt."

Hier erwarte er sich auch mehr Standfestigkeit und Eigenständigkeit seitens der Staatsanwälte: "Sie brauchen sich schon Kraft ihrer Stellung nicht vor allem und jedem zu fürchten. Es gehört dazu, den Oberbehörden zu widersprechen, wenn man anderer Meinung ist. Wenn sie sich das nicht trauen, erfüllen sie nicht die Aufgaben, die einem Staatsanwalt zuzumuten sind", erklärt Krakow.

Geyer gibt hierbei zu bedenken, dass der Justizminister die Personalhoheit habe: "Wenn ich in der Justiz etwas werden will, brauche ich den Justizminister."

Ein weiterer Knackpunkt in der derzeitigen Debatte ist die Dauer der Strafverfahren. Manche Großverfahren ziehen sich über Jahrzehnte. Die Ermittlungen in der Buwog-Affäre nahmen erstmals im Herbst 2009 an Fahrt auf. Nun, mehr als zehn Jahre später, ist ein rechtskräftiges Urteil weiter nicht in Sicht. Das erstinstanzliche Verfahren soll zwar in diesem Jahr abgeschlossen werden: Allerdings steht dann aller Voraussicht nach der Gang zum Obersten Gerichtshof - und gegebenenfalls zum Oberlandesgericht Wien - an. Auch die Verfahren rund um die Eurofighter-Affäre und Meinl Bank ziehen sich seit zig Jahren.

Die lange Dauer mancher Verfahren führt regelmäßig zur Kritik an der WKStA und ihrer Effizienz. "Die Dauer bei manchen Verfahren ist lang", sagt auch Kreutner. Man müsse aber berücksichtigen, dass es sich bei Korruptionsverfahren fast immer um sehr komplexe Sachverhalte mit Auslandsbezug handle: "Und es gibt nun auch einmal einen berechtigten Preis für einen funktionierenden Rechtsstaat mit all den möglichen Rechtsmitteln." Sehe man von Einzelfällen ab, stehe Österreich gut da: "Wir rangieren, was die Verfahrensdauer betrifft, im internationalen Vergleich im besten obersten Viertel."

"Strukturelle Probleme bei der Fallbearbeitung"

Standesvertreter erklären seit Monaten, dass die Justiz mehr Geld benötige, um ihren Aufgaben nachzukommen. In den vergangenen fünf Jahren wurden mehr als 300 Planstellen abgebaut. Dieser Abbau mache sich nun dramatisch bemerkbar - vor allem im Kanzleibereich, so die Kritik.

Krakow betont, dass eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung der Ermittlungsbehörden notwendig, aber das allein zu wenig sei. Auch eine organisatorische Neuaufstellung der Behörden sei erforderlich. "Natürlich schaffen 20 neue Staatsanwälte und neues Kanzleipersonal weitere Kapazitäten. Doch löst das nicht die strukturellen Probleme bei der Fallbearbeitung."

Derzeit sei die Arbeit der Staatsanwälte meist auf einer seriellen Vorgehensweise aufgebaut: "Ein Staatsanwalt bekommt täglich einen Stapel an Dokumenten. Erhält er einen Polizeibericht, wird er gegebenenfalls einen Ermittlungsschritt, etwa eine Vernehmung, anordnen. Dieser Schritt wird von der Polizei ausgeführt, dann kommt der Akt wieder zu ihm." Anschließend erteile er die nächste Anordnung und das Rad drehe sich von Neuem.

Statt dieser zeitintensiven seriellen Erledigung solle gerade bei Großverfahren auf eine parallele Vorgehensweise gesetzt werden: "Das ist wie bei Großprojekten in der Privatwirtschaft. Dort laufen viele Schritte parallel nebeneinander und jemand passt auf, dass sich das Ganze in Richtung Enderledigung bewegt", so Krakow. Ein solches Projektmanagement würde der Strafjustiz gut anstehen: "Anhand von Ermittlungshypothesen wird ganz klar festgeschrieben: Wen braucht man, wer macht was, bis wann muss etwas geschehen? Das muss überwacht werden - und wenn etwas nicht zeitgerecht geschieht, muss der Projektleiter den Leuten auf die Zehen steigen." Bisher sei das zu wenig der Fall.

Auch Geyer erklärt, dass die Arbeitsmethoden bei der Justiz teilweise antiquiert seien: "Es herrscht noch zu sehr das Einzelkämpfer-Prinzip vor: Jeder Staatsanwalt arbeitet für sich selbst." Es brauche mehr Kooperation und Teamarbeit zwischen den Staatsanwälten: "Aber natürlich ist das auch eine Ressourcenfrage."

"WKStA hat sich selbst ins Knie geschossen"

Zur Diskussion steht im türkis-grünen Regierunsprogramm auch die Rolle der WKStA selbst. Unter anderem ihre Zuständigkeiten und Kapazitäten sollen evaluiert werden. Krakow plädiert für eine Beibehaltung und Stärkung der WKStA: "Bei der Behörde wurde die Korruptionsbekämpfung und Verfolgung von Wirtschaftsstraftaten an einer Stelle erstmals zentralisiert. In Österreich macht es keinen Sinn, das auf mehrere Stellen aufzuteilen."

Für Kreutner ist die WKStA unabdingbar, auch wenn sie in der Vergangenheit Fehler gemacht habe, etwa bei der BVT-Affäre. Im Februar 2018 hatte auf Anordnung der WKStA auf Basis schwammiger Indizien eine Hausdurchsuchung beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung stattgefunden. "Das hätte nicht passieren, derart unbedarft hätte man nicht vorgehen dürfen. Da hat sich die WKStA selbst ins Knie geschossen und Wasser auf die Mühlen ihrer Kritiker geschüttet."

Dennoch sei die Behörde kein Luxus, den sich Österreich leiste, so Kreutner. "Eine solche Behörde ist in mehreren internationalen Konventionen, die Österreich unterschrieben und ratifiziert hat, vorgesehen. Und sie ist nötig." Er befürchtet, dass hinter den angekündigten Evaluationen der Versuch stecken könnte, die "WKStA so umzubauen, dass sie für gewisse Personen nicht mehr gefährlich werden kann".