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Warum Österreich mit drastischen Maßnahmen zuwartet

Politik

Die Verlangsamung der Virus-Verbreitung ist das oberste Ziel. Noch geht das durch Isoliation.


Das größte Problem, das derzeit von Viren ausgeht, betrifft: die Grippe. Nach wie vor ist Influenza-Zeit, der Höhepunkt ist aber schon überschritten. Wie jedes Jahr klingt die jährliche Grippe-Epidemie im Frühling langsam ab. Doch nach wie vor sind mehr als 100.000 Personen in Österreich an Grippe erkrankt. Zum Vergleich: Die Zahl der bestätigten Covid-19-Patienten beträgt gegenwärtig weltweit derzeit etwa 112.000 Personen. In Österreich gab es Montagnachmittag offiziell 140 Fälle.

Diese Zahlen scheinen im Widerspruch zur Intensität der Berichterstattung, den Maßnahmen der Politik, der großen Sorge vieler Menschen zu stehen. Doch das ist nur der Anschein.

Es gibt zwei Grundprobleme beim Coronavirus: Erstens, die Sterblichkeit dürfte deutlich über jener der Influenza liegen. Die Weltgesundheitsbehörde geht von einer Mortalität von 0,7 Prozent aus, bei Grippe sind es 0,1. Das sind aber auch nur Durchschnittswerte und zudem Schätzungen. Besonders bei älteren Personen und solchen mit Vorerkrankungen dürfte die Sterblichkeit dramatisch höher als bei 7 Personen pro 1000 Erkrankten liegen. Und im Gegensatz zur Grippe gibt es noch keine Impfung.

Exponentielles Wachstum

Zweitens, die Zahl der Covid-19-Erkrankten wächst exponentiell. Am Freitagabend waren in Österreich 66 Personen positiv getestet worden, am Montagnachmittag dann schon 140. Das sind zwar nur ein paar Dutzend mehr, aber es entspricht mehr als einer Verdoppelung binnen drei Tagen. Und dieses Wachstum ist auch anderswo zu beobachten gewesen.

Die absoluten Zahlen mögen noch gering sein, doch die Steigerungsrate ist relevant. Denn wenn sich die Zahl der Erkrankten alle drei bis vier Tage verdoppelt, dann wächst die Zahl der Fälle eben exponentiell. Erreicht sie einmal 1000, wären vier Tage später 2000 infiziert, weitere vier Tage danach 4000, dann 8000, 16.000 und so weiter. Innerhalb weniger Wochen wäre man bei den Zahlen der Influenza angelangt. Und dies bei deutlich höherer Sterblichkeit.

Diese zwei Faktoren machen die Situation insgesamt dramatisch, auch wenn es aktuell, also Stand Montag, noch sehr wenige Menschen tatsächlich betrifft.

Die Strategie der Bundesregierung (und anderer Länder) ist es, durch verschiedene Maßnahmen das Wachstum zu verlangsamen. Am Ende der Welle könnten zwar nicht viel weniger infiziert sein als ohne dieses Vorgehen, aber es dauert länger. Und das ist wichtig, da eben derzeit noch die Krankenhäuser mit normalen Grippe-Erkrankten sehr stark belastet und die Kapazitäten begrenzt sind. Jede Woche, die man so gewinnt, ist daher wichtig.

Wann kommt die nächste Phase?

Man hofft auch, dass sich das Wachstum irgendwann abflacht. Bei der Influenza hilft das warme Wetter, das verträgt das Virus nicht. Ob dies auch bei Sars-CoV-2 der Fall ist, ist bisher unbekannt. Erkenntnisse aus China, wo die Verbreitung zurückgeht, geben aber Hoffnung.

Die Maßnahmen, die von den einzelnen Ländern gesetzt werden, variieren stark. In manchen Regionen wurden Großevents abgesagt, Sportveranstaltungen werden ohne Zuschauer ausgetragen, Bildungseinrichtungen geschlossen. In Deutschland etwa die Leipziger Buchmesse. In Österreich ist dies nicht der Fall. "Derzeit sind keine Schließungen von Schulen und Universitäten geplant", heißt es vom Gesundheitsministerium. Für die Abhaltung von Großveranstaltungen wurde eine Checkliste zur Risikobewertung erstellt. So unterliegen Open-Air-Veranstaltungen, in denen die Besucher nicht dicht gedrängt stehen, einem geringeren Risiko als etwa Konzerte in einer Halle. Die Checkliste dient aber nur der Risikobewertung.

Dass es auch in Österreich zu drastischen Maßnahmen kommen wird, wie derzeit etwa in Italien, ist aber wahrscheinlich. Die Frage ist eher wann, nicht ob es passieren wird. Klar ist, dass derartige Eingriffe zu hohen volkswirtschaftlichen Kosten führen würden. Diese will die Regierung so gering wie möglich halten und wird vor derartigen Maßnahmen noch absehen, solange eine Eingrenzung noch mit den bisherigen Isolationsmaßnahmen gelingt. Möglich ist auch, dass es innerhalb des Bundesgebiets zu unterschiedlichen Maßnahmen kommt, wenn etwa manche Regionen besonders betroffen sind.

"Die zu setzenden Maßnahmen unterliegen einer ständigen Evaluierung durch den Krisenstab", heißt es vom Gesundheitsministerium. Am Dienstag wird Minister Rudolf Anschober die nächste Erklärung abgeben. Es ist ein Austarieren zwischen gesundheitlicher Notwendigkeit und ökonomischer Verkraftbarkeit.

Sollten großflächig Schulen und Kindergärten geschlossen werden, bedeutet dies natürlich ein Problem für arbeitende Eltern. Auch hier ist die Dauer entscheidend. Pflegeurlaub ist nur bei einer Erkrankung des Kindes möglich, nicht bei einer vorsorglichen Schließung einer Bildungseinrichtung. Laut Arbeiterkammer könnte es sich hier um eine "Dienstverhinderung aus persönlichem Grund" handeln. "Wir haben aber noch keine Judikatur bei einer Epidemie", heißt es von der Arbeiterkammer. Es wird wohl auf den Einzelfall ankommen. Wie alt ist das Kind? Kann die Kinderbetreuung anders organisiert werden? Dass es dabei wohl auch zu Konfliktfällen kommen wird, ist anzunehmen.(sir)