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Wie Schule zu Kindern kommt

Von Karl Ettinger und Martin Tschiderer

Politik

Mittelschulen kämpfen mit technischer Ausstattung und Bürokratie. Schon in den Volksschulen ist jetzt ein Smartphone das Um und Auf.


Not macht erfinderisch. Weil etliche der rund 300 Kinder in einer Neuen Mittelschule (NMS) in Wiens bevölkerungsreichstem Bezirk Favoriten im Elternhaus nicht über einen Computer oder ein Tablet verfügen, wurden kurzerhand die Schul-PC an diese verliehen. 20 Stück, damit auch diese NMS-Schüler an dem seit drei Wochen abgehaltenen Heimunterricht wegen der Corona-Krise mitmachen können. In einem anderen Wiener Flächenbezirk wurde eine von Bildungsminister Heinz Faßmann empfohlene Maßnahme aufgegriffen. Im Sinne eines Marktstandes wurden in der Aula Unterrichtsmaterialien aufgelegt, damit diese unter Einhaltung des Sicherheitsabstandes im Schulgebäude abgeholt werden können, schildert die Schulleitung im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Die Frage, wann wieder ein einigermaßen regulärer Unterricht in den Schulen möglich ist und wie es nach den Osterferien weitergeht, hat neben den medizinischen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Erkrankungen die vergangenen Tage geprägt. Das Bildungsministerium hat den Schulen erlaubt, nach Ostern autonom an den Standorten auch neue Inhalte anzugehen. Gleichzeitig wurde von oben angeordnet über die Schuldirektionen erhoben, wie es mit der technischen Ausstattung in den Haushalten der Schüler bestellt ist. Dabei gab es den deutlichen Wink mit dem Zaunpfahl, den Fragebogen noch Freitagvormittag zu beantworten, wie zu erfahren war.

Die NMS-Direktorin in Favoriten berichtet, dass nur ein einziges der knapp 300 Kinder seit dem Beginn des Fernunterrichts Mitte März nicht erreicht werden konnte. Wie zuletzt auch Pädagogen aus Oberösterreich geschildert haben, sind die Lehrer durch den Heimunterricht und die Bemühungen, alle Kinder einer Klasse zu betreuen, mehr gefordert als beim regulären Unterricht. "Die Lehrer sitzen teils zehn Stunden am Computer", bilanziert die Mittelschulleiterin aus Favoriten, wo es viele Schüler gibt, die nicht Deutsch als Muttersprache haben.

Zugleich sei der Fernunterricht für Lehrer vor allem der jüngeren Generation, aber auch für viele Schüler interessant und mache auch Spaß. Schon vor der Schließung des Schulgebäudes wurden Mappen mit Aufgaben mit nach Hause gegeben. Bei einem größeren Teil der Schüler kann der Unterricht statt mit PC nur mit dem Smartphone - meist der Eltern - erfolgen. Manche Aufgaben könnten so nicht erledigt werden. Man behelfe sich etwa mit dem Fotografieren von Materialien. Aber, so betont die NMS-Direktorin: "Wir unterschätzen alle, wie gut die Kinder drauf sind auf den Smartphones." Ihrer Erfahrung nach sei es "für die Eltern schwieriger". Deswegen seien diese sehr an einer baldigen Rückkehr zum Schulalltag interessiert.

Beengte Verhältnisseund Erhebung mit Haken

In den beiden NMS in den großen Wiener Bezirken kommt erschwerend dazu, dass daheim oft NMS-Schüler in Familien mit sechs, sieben oder acht Mitgliedern aufgrund der Ausgangsbeschränkungen auf kleinem Raum zusammenleben müssten. In der zweiten NMS heißt es ebenfalls, dass nur ganz wenige Kinder nicht erreicht werden konnten. Der Alltag im Heimunterricht "funktioniert ganz gut", wird von der Schulleitung bilanziert. "Jene, die im Schulhaus nicht die Fleißigsten sind, die sind es auch draußen nicht", lautet eine der Schlussfolgerungen.

Für Kopfschütteln hat bei einer NMS-Schulleitern nicht nur gesorgt, dass die Fragebögen zur Ausstattung der Haushalte der Schüler kurzfristig noch bis Freitagmittag retourniert werden sollten, sondern auch manche Fragestellung und die Schulbürokratie. So sollte im Auftrag der Bildungsdirektion und des Ministeriums beantwortet werden, ob es Probleme gegeben habe, weil zu Hause kein Drucker vorhanden sei. Für Grant sorgte, dass eine solche Erhebung binnen weniger Stunden am Freitag für hunderte Schüler verlangt wurde. Das ging nicht selten nur mit Schätzwert, was die Sinnhaftigkeit der Prozedur erst recht in Frage stellt. Dazu kam noch: Während in Schulen als Endgeräte PC und Tablet angesehen wurden, weil Smarthphones nur bedingt nutzbar seien, wurde den Schulen signalisiert, es seien sehr wohl auch Handys einzubeziehen. Damit wären die Ausstattungsdefizite aber viel geringer.

Parallel zur offiziellen Befragung lief eine Aktion, bei der über Personalvertreter Fragebögen weitergeleitet wurden. Auch da ging es um fehlende Endgeräte und die Möglichkeit, diese durch Sponsoren bereitgestellt zu bekommen. Wobei aber offen blieb, ob der Bedarf dann tatsächlich gedeckt werden kann.

"Wer etwas braucht,soll sich melden"

Die Direktorin einer Volksschule in einem Wiener Innenstadtbezirk gab sich gegenüber der "Wiener Zeitung" ebenfalls überrascht über die kurzfristigen Erhebungen, die zuvor nicht angekündigt wurden. Sie halte es auch für "ein wenig überflüssig", alle Eltern zu fragen, wie genau ihre Ausstattung aussehe: "Sinnvoller wäre es vielleicht zu sagen: Wer etwas braucht, soll sich melden." Nahe der Schule befindet sich eine Unterkunft für Flüchtlinge, viele Kinder aus dem Heim sind in der Volksschule gemeldet. Bei der Versorgung in Flüchtlingsfamilien sehe sie aber keine allzu großen Unterschiede, sagt die Direktorin: "Was sie alle haben, ist ein Smartphone."

In der Volksschule werden allerdings ohnehin nicht alle Lerninhalte digital übermittelt. Im Klassenraum können Eltern Arbeitsblätter für einen Zeitraum von zwei Wochen abholen - und die Bögen mit den ausgefüllten Aufgaben wieder retournieren. Nicht erreicht hat die Schule bislang erst einen einzigen Schüler.

Jedenfalls wächst auch in den Schuldirektionen der Wunsch nach einer Rückkehr zur Normalität. "Vielleicht schaffen wir es bis Mitte Mai - eventuell mit Mundschutz", wurde von einer NMS-Schulleitung erklärt.

Die Sommerferien sollen übrigens kommen wie geplant. Nur in "spezifischen Bereichen" könnte sich eventuell etwas ändern, sagte der Generalsekretär im Bildungsministerium, Martin Netzer. Damit kein Schüler ein Lernjahr verliert oder eine Abschlussprüfung nicht machen kann.