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Politik und Wissenschaft: eine schwierige Beziehung

Von Simon Rosner

Politik
© Getty/dane_mark

Das Verhältnis von Wissenschaft und Politik ist schwierig. Sie verstehen einander oft nicht, es kommt zu Missverständnissen und Konflikten. In der Krise funktioniert es besser als sonst. Eine Erforschung des Beziehungsstatus.


Am 25. Februar ist das Coronavirus auch in Österreich offiziell aufgeschlagen. Zwei Personen in Innsbruck wurden positiv getestet. Drei Tage später präsentierte Gesundheitsminister Rudolf Anschober seinen Fachbeirat, der ihn und sein Krisenteam in dieser außergewöhnlichen Zeit berät. Es gibt tausende Fragen, aber wenig gesichertes Wissen, dafür heikle und sehr weitführende Entscheidungen zu treffen. Es ist logisch, dass sich die Politik hier Expertise einholt.

"Es gibt ein Comeback der Wissenschaft", sagt der Politologe und Meinungsforscher Peter Hajek. Und auch Wifo-Chef Christoph Badelt findet: "Im Augenblick sind Wissenschafter gefragter als sonst." Der Beziehungsstatus von Politik und Wissenschaft ist kompliziert, zuletzt lebten die beiden eher in Trennung. "Es sind unterschiedliche Systeme, die eine andere innere Logik haben", sagt Kenan Güngör. Er ist Soziologe, ein Experte für Integrationsfragen und als solcher auch in politischen Beratergremien vertreten. "Die Politik kann die Erkenntnisse der Wissenschaft nicht eins zu eins übernehmen, sondern muss sie in ihre eigene Logik übersetzen." Es sei zentral, so Güngör, mit welcher Intelligenz sie das tue. "Die Qualität der Übersetzung ist das Entscheidende."

Das ist auch jetzt nicht anders. Doch diese Epidemie ist in einer Hinsicht speziell: Selbst die Fachleute stehen vor einer ihnen unbekannten Situation, in der in kurzer Zeit verschiedene Entscheidungen gefällt werden müssen. Das ist etwas anderes, als wenn die Politik gemeinsam mit einem Expertenrat ein Strategiepapier für eine Föderalismusreform erarbeitet.

Im Fachbeirat von Anschober saßen zuletzt 17 Experten. Rund zweimal die Woche kommen sie in Videokonferenzen zusammen, der Gesundheitsminister leitet das virtuelle Treffen, die Beiräte geben Stellungnahmen zu konkreten Fragestellungen, welche die Epidemie aufwirft, ab. Für viele in dem Gremium ist es das erste so direkte Aufeinandertreffen mit der Politik. Den Umständen entsprechend funktioniert es auch gut, es ist aber nicht immer ganz einfach. Interessante Einblicke wechseln sich mit frustrierenden Erlebnissen ab.

Der Public-Health-Experte Martin Sprenger hat mittlerweile sein Mandat im Fachbeirat niedergelegt, er wird aber im Austausch mit Anschober bleiben. Es ist ein klassisches Beispiel, warum das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik schwierig ist. Sprenger, der an der MedUni Graz tätig ist, hatte in einem Interview mit "Addendum" das Schließen von Parks als falsch bezeichnet. Das kam beim Kanzler und seinem ausgeprägten Faible für Message Control nicht gut an. In der "ZiB 2" ließ sich Sebastian Kurz zu einer breiten Expertenkritik hinreißen, diese seien oft falsch gelegen.

Nicht selten steckt hinter solcher Kritik von der Politik in Richtung Wissenschaft ein Missverständnis. Wie Güngör sagt: Es sind unterschiedliche Systeme, sie funktionieren anders. Wenn die Politik Fachleute fragt, ob Masken im Supermarkt sinnvoll wären, wird sie verschiedene Antworten erhalten. Das liegt in der Natur der Wissenschaft. Soziologen werden diese Frage anders beantworten als Hygieniker. Und, damit es noch komplizierter wird, beide können dabei gute Argumente vorweisen. Die Politik will aber Eindeutigkeit: öffnen oder schließen?

Das ist auch die Erfahrung, die Christoph Badelt gemacht hat. Der Ökonom und Leiter des Wifo wird immer wieder in Entscheidungsprozesse der Politik eingebunden und um Rat befragt. Das kann auch ein informeller Anruf sein, er kommt auch jetzt. "Es ist schon so, dass Politiker, wenn sie einen Ratschlag brauchen, gerne einen klareren hätten, als ihnen die Wissenschaft geben kann", sagt Badelt.

Die "reine Lehre"findet selten Gehör

Hier kommt das Primat der Politik ins Spiel, und es verlangt eine spezifische Qualität von seinen Akteuren. Politiker müssen mit abweichenden Einschätzungen umgehen können. Mehrere Wege können evidenzbasiert sein und dennoch anderswo hinführen. Das kann Politiker verunsichern. Sowohl Anschober als auch Kurz genießen nicht diesen Ruf. Im Gegenteil: Sie entscheiden. "Die Wissenschaft muss wissen, dass sie handlungs- und entscheidungsentlastet ist", sagt Güngör. Dafür ist die Politik zuständig. Experten können im Graubereich verweilen, Regierende nicht: schließen oder öffnen?

Umgekehrt muss auch die Wissenschaft, die im Nahbereich der Politik agiert, auf diese zugehen und sich "auf das andere System einlassen", wie Güngör sagt. Oft seien Fachleute hervorragend in der Analyse, nicht so aber bei der Suche nach Lösungen, vor allem realistischen Lösungen. Die "reine Lehre" führt dazu, dass Experten erst recht nicht gehört werden.

Es gibt natürlich auch entscheidungsfreudige Politiker, die wenig von Beratung halten - oder auch wenig von Argumenten. Kenan Güngör hat die ganze Bandbreite erlebt, Politiker, die wirklich zuhören wollen, und solche, die eigentlich nur hören wollen, was sie ohnehin denken.

Reinhold Mitterlehner, der beim Ausbruch der Finanzkrise Wirtschaftsministerwar, sagt: "Du brauchst einen Austausch." Zu Zeiten der Krise habe dieser vor allem mit Wifo, IHS und der Nationalbank geherrscht. Gouverneur Ewald Nowotny war auch lange in der Forschung tätig. Mitterlehner hat aber auch dezidiert abweichende Meinungen eingeholt. Er habe immer wieder mit dem (finanzmarktkritischen, Anm.) Ökonomen Stephan Schulmeister gesprochen. "Zur Meinungsbildung gehören auch Kontrastimmen. Sonst brauch ich keine Beratung", sagt er.

Auch der ehemalige Vizekanzler kann sich daran erinnern, dass es immer wieder Spannungen im Verhältnis von Politik und Wissenschaft gegeben habe, "aber die Rollen werden akzeptiert. Die Wissenschaft ist der Neugierde verpflichtet, die Politik hat mehrere Interessen abzudecken."

Wenig Transparenz in der Entscheidungsfindung

Für Forscher ist das oft ein Lernprozess. Das hat auch die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb erfahren. "Das Wissenschaftssystem hat sich verändert", sagt sie. "Früher war es so, dass man in Zeitschriften publiziert hat, und wenn jemand was wissen wollte, hat man gesagt: ,Schaut’s dort rein.‘" Jetzt gehe man aufeinander zu, so Kromp-Kolb. Ihr Bereich, der Klimawandel, weist insofern eine Besonderheit auf, weil hier die Forscherinnen mit einer Stimme sprechen. Es gibt kaum Dissens über die Kernfragen. Dennoch ist politisch wenig passiert bisher.

Laut Kromp-Kolb funktioniere das Zusammenspiel von Politik und Wissenschaft in Skandinavien besser. "Dort liefert die Wissenschaft die Information, die Politik entscheidet. Aber sie begründet, warum sie so entscheidet. Das ist auch legitim, die Politik wird ja auch gewählt. Es ist aber frustrierend, wenn die Politik es nicht argumentiert und dennoch anders entscheidet, als es die Evidenz sagt."

Wissenschaftliche Erkenntnisse werden passend gemacht

Das kann verschiedene Gründe haben. Manchmal sind den Politikern aus diversen Gründen enge Grenzen der Machbarkeit gesetzt, es kann aber auch der Kommunikation dienen. Wenn etwa der Kanzler sagt, dass er gegen den Expertenrat die Maskenpflicht durchgesetzt habe und nun viele Länder nachziehen, betont das seine Führungsstärke. Und in diesem Fall hat die Forschung Kurz ex-post auch mit einem wissenschaftlichen Argument versorgt, nämlich einer Studie zur Wirksamkeit von Masken bei Corona.

Die Politik bedient sich der Wissenschaft aber mitunter auch, um ihre Agenda zu befördern. Auf wissenschaftliche Evidenz oder den Rat von Experten verweisen zu können, immunisiert ein Vorhaben gegen Kritik. Das mag besser sein, als gar ohne Evidenz zu entscheiden, doch bisweilen verkürzt die Politik wissenschaftliche Erkenntnisse oder interpretiert sie so großzügig, damit sie zur Agenda passend. "Politiker selektieren die wissenschaftlichen Aussagen", sagt Badelt. Das kann ebenfalls zu Konflikten führen. "Das muss man aber aushalten", sagt er. Es ist eine Erfahrung, die auch Güngör gemacht hat, der im heiklen Gebiet der Integration forscht.

In der Corona-Krise stehen die Expertinnen und Experten, und zwar in allen Ländern, stärker im Fokus als sonst. "Noch nie wurde so intensiv gehört, was Experten sagen", meint Güngör. Die Regierung ist dem fachlichen Rat auch meist gefolgt. Allerdings nicht immer. Das muss sie auch nicht. Regierungsarbeit ist und bleibt - Politik.