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"Corona-App als Ergänzung"

Von Petra Tempfer

Politik
Steckt das Handy im Rucksack, funktioniert der automatische "digitale Handshake" unter Umständen gar nicht.
© adobe.stock/ PointImages

3 Prozent der Österreicher nutzen derzeit die "Stopp Corona"-App. Für eine effiziente Virus-Eindämmung müssten es 20 Mal so viele sein. Gesundheits- und Innenminister sehen darin eine Unterstützung, wichtiger sei aber das Tracking der Behörden, heißt es.


Die Idee dahinter ist denkbar einfach: Die "Stopp Corona"-App des Roten Kreuzes, die man seit Ende März auf seinem Smartphone installieren kann, ist eine Art Kontakt-Tagebuch zur Eindämmung des Coronavirus. Persönliche Begegnungen werden darin mit einem "digitalen Handshake" gespeichert. Meldet eine Person über die App, an Covid-19 erkrankt zu sein, wird jeder, der in den vergangenen 54 Stunden Kontakt hatte, ebenfalls über die App gebeten, sich zu isolieren. Nur, falls eine Infektion gemeldet wird, wird die Telefonnummer für 30 Tage zentral gespeichert. Ansonsten gibt es nur eine einzigartige Nutzerkennung (UUID), die aber nicht mit anderen Daten verknüpft ist.

Soweit, so verständlich. Doch wie funktioniert diese App eigentlich genau? Welche Informationen liegen ihr zugrunde? Und, die vermutlich wichtigste Frage: Inwieweit hilft sie bei der Rückverfolgung der Kontaktkette, um Infektionen entgegenzuwirken?

Eines gleich vorweg: Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) sehen darin lediglich eine Ergänzung, eine "wertvolle Unterstützungsmöglichkeit", wie sie am Donnerstag vor Journalisten betonten. Es sei kein "Entweder-Oder", sondern ein "Und", sagte Nehammer. Prioritär bei der Eindämmung bleibe aber immer noch die "manuelle Erarbeitung", also die Rückverfolgung der Kontakte infizierter Personen durch die Behörden, sagte Anschober. "Die digitale Unterstützung ist zusätzlich."

Tracking der Ämter nicht mit App verknüpft

Tatsache ist jedenfalls auch, dass die Infos der App - vor allem aus Gründen des Datenschutzes - in keiner Weise mit dem Tracking der Gesundheitsämter verknüpft sind. Ausschließlich dann, wenn jemand durch einen Arzt positiv auf das Coronavirus getestet wird, verfolgen Mitarbeiter der Gesundheitsämter der Bezirkshauptmannschaften respektive Magistrate nach, mit wem dieser davor Kontakt hatte. Diese Mitarbeiter hätten bereits das spezielle Know-how, weil bei den zahlreichen meldepflichtigen übertragbaren Krankheiten ebenfalls eine Kontaktpersonen-Nachverfolgung erfolge, heißt es vom Gesundheitsministerium zur "Wiener Zeitung".

Künftig soll die Polizei diese unterstützen, kündigten Anschober und Nehammer am Donnerstag an. "Um noch schneller zu werden", sagte Anschober. Eine vollständige Rückverfolgung innerhalb von 24 Stunden sei das Ziel, um den Infektionsherd einzudämmen. Der Replikationsfaktor, also wie viele Personen von einem Infizierten angesteckt werden, sei von 3,5 im März auf heute nur noch 0,65 gesunken.

In der Praxis ist es konkret so, dass positiv getestete Personen von diesen Mitarbeitern oder der Polizei, die von den Behörden verständigt wurde, angerufen werden und bekannt geben, mit wem sie seit zwei Tagen vor dem Krankheitsbeginn Kontakt hatten. Von Kontaktpersonen mit hohem Risiko, sich angesteckt zu haben, werden Name, E-Mail, Berufsort und Wohnverhältnisse erhoben. Sie erhalten einen Absonderungsbescheid der Bezirksverwaltungsbehörde, ein Teil wird ebenfalls getestet. Wird der Bescheid nicht eingehalten, liegt der Strafrahmen bei bis zu 1450 Euro.

"Sie sondern sich idealerweise selbst ab"

All jene, die durch die App gewarnt wurden, erhalten diesen Bescheid, der sie verpflichtet, sich zu isolieren, nicht. "Sie sondern sich idealerweise selbst ab", sagt dazu Michael Zettel, Geschäftsführer von Accenture Österreich, den App-Entwicklern. "Aus Verantwortungsgefühl." Auch auf diesem Weg könne die "Stopp-Corona-App" durch die zeitnahe Warnung aber sehr wohl helfen, Leben zu retten.

Im Moment nutzen etwa 300.000 Menschen diese App, hieß es vor kurzem von Accenture Österreich. Hunderte Infektionsmeldungen seien eingegangen. 300.000 Menschen - das sind etwas mehr als drei Prozent der Bevölkerung - haben die App installiert. Expertenschätzungen gehen allerdings davon aus, dass solche Apps nur Sinn machen, wenn sie von mindestens 60 Prozent genutzt werden. Gerry Foitik, Bundesrettungskommandant des Roten Kreuzes, wäre schon mit 40 Prozent mehr als zufrieden, sagt er.

Diese zur Zeit relativ geringe Anzahl an Nutzern liegt vermutlich daran, dass die Installation der App auf freiwilliger Basis erfolgt. Und geht es nach dem Roten Kreuz und einer aktuellen Gallup-Umfrage, bei der 72 Prozent der 1000 Befragten eine verpflichtende Einführung ablehnten, soll es auch so bleiben.

Geht es nach der Regierung, wohl auch. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka hatte sich zwar am Samstag als erster ÖVP-Politiker dafür ausgesprochen, die Installation verpflichtend vorzuschreiben, ruderte danach aber wieder zurück. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) will ebenfalls nicht so weit gehen. Dennoch betonte er, künftig auf "Tracking" und "Containment" setzen zu wollen - also darauf, Kontakte mit Infizierten nachzuvollziehen, um die Pandemie einzudämmen. Diese Möglichkeit werde eine "wichtige Basis" sein, sagte er. Weil etwa zwei Millionen Österreicher kein Smartphone besitzen, wird laut Kurz an Schlüsselanhängern mit derselben Funktionalität gearbeitet. Die aktuelle Version der "Stopp Corona"-App ist nur für Android ab Version 6.0 sowie für iOS mit Version 12 und höher geeignet.

Eine hundertprozentige Sicherheit, tatsächlich einer infizierten Person zu nahe gekommen zu sein, gebe es mit der App freilich nicht, räumt Zettel ein. Das sei eine der Herausforderungen der Technologien.

Konkret funktioniert die App so, dass zwei Personen, die beide diese installiert haben und länger als 15 Minuten einander näher als zwei Meter waren, einen "digitalen Handshake" austauschen: Damit stimmen sie zu, dass ihr Gegenüber in den folgenden 54 Stunden informiert wird, falls sie in dieser Zeit erkranken und diese Infektion über die App bekanntgeben. Denn eine Ansteckung kann bis zu 54 Stunden vor den ersten Symptomen zurückreichen. Seit kurzem ist auch ein Selbst-Symptomcheck über die App möglich, nach dem ein Verdachtsfall gemeldet werden kann.

Bluetooth erlaubt eigentlich gar keine Distanzmessung

Dieser "digitale Handshake" kann manuell und seit der Vorwoche auch automatisch erfolgen, wenn man sein Einverständnis dafür gibt. Der manuelle Handschlag funktioniert über Bluetooth und Ultraschall, der automatische nur noch über Bluetooth. Eine Art der Datenübertragung, die laut Zettel eigentlich keine Distanzmessung erlaubt, sondern ausschließlich die Signalstärke über die Zeit misst - was zu technologischen Einschränkungen führe. Steckt das Handy zum Beispiel im Rucksack, könnte der automatische "digitale Handshake" unter Umständen nicht funktionieren. Sitzt man - etwa in zwei angrenzenden Wohnzimmern eines Zinshauses - ungefährdet, weil durch eine Wand getrennt, aber dennoch in der Nähe einer Person, die positiv auf Covid-19 getestet wurde, könnte man wiederum über eine mögliche Ansteckung informiert werden, obwohl diese praktisch unmöglich ist.

Den Entwicklern seien Fehlfunktionen wie diese bewusst, sagt Zettel, weshalb man an technischen Verbesserungen arbeite. Während man in seiner Wohnung ist, sollte man generell auf den manuellen Handschlag umschalten, um falsche Alarme zu verhindern, rät er.

Die Organisation Arge Daten übte diese Woche dennoch heftig Kritik. Die App sei "nicht praxistauglich", hieß es. Die Matching-Wahrscheinlichkeit - also die Tatsache, dass ein aufgezeichneter Match auch ein tatsächlicher Kontakt innerhalb von zwei Metern ist - liege bei weniger als einem Promille. Man solle lieber "vernünftige Distanz halten", so die Arge Daten.

Die FPÖ geht noch weiter und will bei der Datenschutzbehörde Anzeige gegen die Betreiber der App erstatten, kündigten Klubobmann Herbert Kickl und Verfassungssprecherin Susanne Fürst an. In Zusammenhang mit der App gebe es "massive datenschutzrechtliche Bedenken", hieß es. Diese beträfen sowohl die Datensicherheit als auch die Möglichkeit des Datenmissbrauchs. Konkret befürchtet Kickl einen Abfluss der Daten etwa "an gigantische Konzerne wie Google oder Microsoft".

Das Rote Kreuz denkt indes schon über den nächsten Schritt nach - und zwar in Richtung Internationalität. "Wir wollen die Einbindung von Pepp-PT zügig prüfen und umsetzen, damit wir im europäischen Gleichklang agieren", so Zettel. Hinter der Plattform Pan European Privacy-Protecting Proximity Tracing (Pepp-PT) stehen mehr als 130 Wissenschafter und IT-Experten, deren Ziel es ist, ein Softwaregerüst zu schaffen, an der nationale Anwendungen andocken können.

Bis dahin setzt das Rote Kreuz auf eine noch intensivere Bewerbung ihrer App, um die Zahl der Nutzer zu erhöhen. Diese wird von drei Agenturen abgewickelt: der Werbeagentur Jung von Matt, der Troin Agency und dem Campaigning Bureau von Philipp Maderthaner, sagte Martin Radjaby-Rasset, der für das Rote Kreuz die Kampagne orchestriert.

Die Neos reagierten mit Kritik - mit Blick auf frühere Tätigkeiten Radjabys für die Grünen sowie jene für die ÖVP durch Maderthaner, der sich selbst als "Kanzlermacher" von Kurz bezeichnet. "Die Optik ist schief, sagte Neos-Abgeordnete Henrike Brandstötter gegenüber Ö1. Im Kanzleramt und im Gesundheitsministerium kann man diese Kritik nicht nachvollziehen und auch Foitik vom Roten Kreuz sieht keine Unvereinbarkeit.