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Corona-Krise als Nährboden für Korruption

Von Daniel Bischof

Politik

Thomas Stelzer, Dekan der Internationalen Anti-Korruptionsakademie, über die Gesundheitskrise und Kleptokraten.


Die Internationale Anti-Korruptionsakademie (IACA) ist die einzige zwischenstaatliche Organisation weltweit, die sich exklusiv mit der Korruptionsbekämpfung befasst. Sie hat 79 Mitglieder, davon sind 75 Staaten und vier internationale Organisationen. Seit März wird die Akademie vom Spitzendiplomaten Thomas Stelzer geleitet. Er hat unter anderem die UN-Konvention gegen Korruption mitverhandelt. Im Antrittsinterview spricht Stelzer über Corona, Kleptokraten und seine Pläne für die IACA.

"Wiener Zeitung": Herr Stelzer, welche Formen nimmt Korruption heutzutage an?Thomas Stelzer: Korruption verändert sich ständig. Nehmen wir die jetzige Gesundheitskrise als Beispiel: Staaten investieren weltweit plötzlich ungeheuer viel Geld, um die Wirtschaft und das Gesundheitssystem zu stützen. Das kann Korruption ermöglichen, wenn nicht zugleich ausreichend Kontrollstrukturen geschaffen werden.

Inwiefern?

Nichtstaatliche Organisationen berichten: Personen könnten die Situation ausnützen - etwa durch Bestechung bei der öffentlichen Beschaffung von Schutzmasken. Bei Provisionen muss hier aufgepasst werden: Die Grenzen zwischen rechtmäßigen Provisionen und anderen "Zahlungen" sind oft sehr schmal.

Welche Vorsichtsmaßnahmen lassen sich treffen?

Es muss kontrolliert werden: Wer treibt die Preise für die Masken hinauf, wer monopolisiert die Produktion? Auch hilft die öffentliche Beschaffung über das Internet der Transparenz: Zahlungen, die online getätigt werden, sind leichter rückverfolgbar als Koffer mit Bargeld. Und je besser Geldflüsse nachvollziehbar sind, desto leichter kann Korruption aufgedeckt und verhindert werden.

Transparency International befürchtet, dass das Virus vor allem in Entwicklungsländern zu Bestechungen führen könnte und Patienten, die Schmiergeld zahlen, bevorzugt behandelt werden. Sehen Sie diese Gefahr auch?

Absolut. Diese Länder haben schon unter normalen Umständen nicht genug Intensivbetten. Wenn der Bedarf jetzt hinaufschnellt, besteht die Gefahr, dass es auch zu Unregelmäßigkeiten kommt. Bei schwachen Strukturen besteht immer ein solches Risiko.

Welchen Schaden verursacht Korruption weltweit?

Es geht um unglaubliche Summen. Man vermutet, dass weltweit jährlich eineinhalb Billionen US-Dollar durch Korruption aus den produktiven Wirtschaftskreisläufen abgesaugt werden. Alle Staaten sind betroffen: Eine perfekte Gesellschaft, in der es gar keine Korruption gibt, existiert nicht. Gerade in fragilen Wirtschaften in Entwicklungsländern ist dieses abgesaugte Geld aber kaum zu kompensieren: Es fehlt für den Aufbau der Infrastruktur und des Sozial- und Bildungssystems.

Wie kann Korruption bekämpft werden?

Wichtig ist es, den Rechtsstaat zu stärken und eine effiziente Anti-Korruptionsgesetzgebung zu schaffen. Durch die Kriminalisierung der Korruption muss klar sein, wo die Linie zwischen Nachlässigkeit, Großzügigkeit und Korruption verläuft. Auch Korruptionsstaatsanwaltschaften, die mit ausreichenden Mitteln ausgestattet werden, und Transparenz im Bankenwesen sind entscheidend.

Welche Rolle nimmt die IACA ein?

Im Kampf gegen Korruption ist Bewusstseinsbildung ein wichtiger Faktor. Korruption ist nicht nur ein krimineller Akt, sondern verursacht enorm hohe, versteckte Kosten: Sie vermindert Profite, saugt Steuergeld ab und verzerrt den Wettbewerb am freien Markt. Wir unterstützen Entscheidungsträger, zu verstehen, dass der Kampf gegen Korruption im geteilten Interesse ist. Weiters helfen wir unseren Mitgliedstaaten, gesetzliche Strukturen zu schaffen, um Korruption effektiv zu verfolgen und Straflosigkeit hintanzuhalten.

Wo setzt die IACA dabei an?

Es geht vor allem darum, bei der Umsetzung der UN-Konvention gegen Korruption (UNCAC) zu helfen. Diese Konvention ist ein Meilenstein: Ihre Umsetzung ermöglicht es den Staaten, Korruption innerhalb des Rechtsstaates effektiv zu bekämpfen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

In der Konvention geht es etwa um Vermögen, das von Kleptokraten unrechtmäßig erworben und ins Ausland transferiert wurde. Schon in der Vergangenheit konnte dieses Vermögen, das oft auf Konten europäischer Banken liegt, geortet werden. Es fehlte aber eine Rechtsgrundlage, um es in die nationale Wirtschaft, der es entzogen wurde, zurückzuführen. Diese Regeln hat die UNCAC geschaffen. Das hat einen starken Präventiveffekt: Kleptokraten können nicht länger davon ausgehen, auf das Geld als "Altersvorsorge" zurückgreifen zu können. Dadurch dürfte auch der Anreiz zum Rechtsbruch schwinden.

Wie gut gelingt die Umsetzung dieser Konvention?

Die Umsetzung ist ein nachhaltiger, aber langwieriger Prozess. Gerade den Staaten, die diese Regeln am dringendsten bräuchten, fehlt es dabei oft an Erfahrung. Die vorhandene Expertise muss daher gesammelt und zu diesen Ländern hin transferiert werden. Gerade hier kommt der IACA eine wichtige Rolle zu.

Welche?

Die IACA entwickelt akademische Programme, derzeit gibt es bei uns zwei Master-Studien zur Korruptionsbekämpfung. In diesen geht es unter anderem darum, wie Korruption kriminalisiert werden kann. Weiters bieten wir konkrete Projekte an.

Wer sind dabei die Zielgruppen?

Einerseits internationale Unternehmen: Wir unterstützen sie, ihre Compliance-Kultur, also ihre internen Anti-Korruptionsprogramme zu entwickeln und umzusetzen. Die zweite Zielgruppe ist das Justizpersonal unserer Mitgliedstaaten.

Orten Sie hier Erfolge?

Jeder unserer 3000 Absolventen aus mehr als 160 Staaten ist ein Erfolg. Diese Alumni bringen ihr Wissen nach Hause. Viele sind in ihrer Heimat bereits in wichtige Positionen in der Justiz oder Lehre gelangt und können so konkret auf die Anti-Korruptionsbestrebungen Einfluss nehmen.

Wo wollen Sie künftig Schwerpunkte setzen?

Wir müssen unsere wissenschaftlichen Kapazitäten ausbauen, um der weltweiten Forschung eine Richtung zu geben. Ein Ziel der IACA ist es auch, die aufgesplitterte Korruptionsforschung auf einer Plattform zu sammeln und weltweit zugänglich zu machen. Dieser Bereich war zuletzt unterfinanziert und muss dringend entwickelt werden.

Die Finanzierung war bisher das Hautproblem der IACA: Wie ist die derzeitige Lage?

Die akademischen Programme finanzieren sich selbst aus den Studiengebühren und zweckgebundenen Mitteln, die teilweise aus der Privatwirtschaft kommen. Die zweite Säule bilden die Beiträge der Mitgliedstaaten: Da sie freiwillig sind und in der Vergangenheit selten ausreichten, schlitterte die IACA in eine finanziell bedrohliche Lage.

Welche Rolle spielte Österreich?

Österreich hat wegen interner Debatten lange keine Beiträge geleistet. Daher haben auch andere Staaten nur widerwillig gezahlt: Wenn schon der Sitzstaat nichts beiträgt, glauben auch andere Länder nicht an die Institution.

Hat sich die Situation gebessert?

Österreich hat eine Zahlung zugesagt, die uns aus der finanziellen Intensivstation holt.

Wie steht es um die Korruptionsbekämpfung in Österreich?

Die IACA kommentiert die Situation in einzelnen Ländern nicht.

Kontrovers diskutiert wurde zuletzt die Rolle der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Wie sehen Sie diese Behörde?

Die Korruptionsstaatsanwaltschaft ist eine Errungenschaft. Es ist zu begrüßen, dass in Österreich zuletzt intensiv über Korruption diskutiert wurde: Dadurch wurde das Thema verstärkt ins öffentliche Bewusstsein gerückt. So eine Diskussion kann auch nur in einem Land geführt werden, in dem die Strukturen an sich schon stark sind.