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Politisches Geplänkel nach Leak über vermeintliche "Angstmacherei"

Politik
Hat der Kanzler zu sehr auf die Angst-Karte gesetzt?
© REUTERS

Opposition wittert Skandal, Regierung spricht von Fehlinterpretationen. Sitzungsprotokolle werden nun veröffentlicht.


Hat die Bundesregierung versucht, die Bevölkerung in Angst zu versetzen? FPÖ und Neos haben genau das in der Nationalratssitzung vergangenen Donnerstag der Bundesregierung vorgeworfen. Diese wolle damit Akzeptanz für die Freiheitseinschränkungen erzeugen. Der Vorwurf bekam am Montag insofern Gewicht, da ein Protokoll einer internen Beratung der Regierungsspitze mit Experten vom 12. März von Ö1 veröffentlicht wurden. Demnach soll dabei tatsächlich über die Rolle der Angst diskutiert worden sein soll. Die Opposition zürnt, von Regierungs- und auch Expertenseite spricht man aber von einer Fehlinterpretation des Protokolls, man werde diese Protokolle nun veröffentlichen.

Es geht um die Sitzung mit dem Beraterstab des Gesundheitsministeriums vom 12. März im Kanzleramt. Dies war noch vor dem Lockdown, Homeoffice noch nicht sehr verbreitet, in Österreich waren an diesem Tag rund 350 Covid-Fälle offiziell bekannt. Der Fachbeirat war Ende Februar eingerichtet worden, um den Minister Rudolf Anschober (Grüne) zu beraten, einige Male war auch die Regierungsspitze dabei, Bundeskanzler Sebastian Kurz und sein Vize Werner Kogler. Dies war auch am 12. März der Fall.

Kollaritsch dementiert Formulierung

Laut Ö1-"Morgenjournal" habe der Tropenmediziner Herwig Kollaritsch dabei erklärt, dass man der Bevölkerung klar machen müsse, dass es sich um eine potenziell tödliche Krankheit handle und nicht um eine einfache Grippe. Die Kritik der Opposition fußt vor allem darauf, dass Kollaritsch laut dem Protokoll die Kommunikation rund um eine britische Masernepidemie der 1990er-Jahre erwähnt habe. Dort habe man mit der Angst der Bevölkerung gespielt. Kollaritsch dementiert diese spezifische Wortwahl allerdings. Er habe nicht von einem Spiel mit der Angst in Österreich gesprochen. Jedoch hätte ohne drastische Wortwahl, so Kollaritsch zu Ö1, die Bevölkerung die Maßnahmen der Regierung nicht angenommen. Auch andere Mitglieder des Beraterstabs bestätigen dies gegenüber der "Wiener Zeitung". Wie gefährlich die Epidemie und das Virus ist, sei damals noch nicht so ausgeprägt gewesen.

Weiter heißt es im Protokoll: "Kurz verdeutlicht, dass die Menschen vor einer Ansteckung Angst haben sollen bzw. Angst davor, dass Eltern/Großeltern sterben. Hingegen sei die Angst vor der Lebensmittelknappheit, Stromausfälle etc. der Bevölkerung zu nehmen." Dass vor allem Kanzler und Vizekanzler in den folgenden Wochen immer wieder sehr eindringlich vor den Gefahren gewarnt haben, ist evident. Kurz sprach etwa auch davon, dass bald jeder jemanden kennen werde, der an Covid gestorben sei. Und auch Kogler wandte sich mit emotionalen Appellen an die Bevölkerung, während Anschober stets eher sachlich blieb. Ein Sprecher des Bundeskanzlers meinte, Kurz habe lediglich Verständnis für die Angst um Familienmitglieder gezeigt. Aus dem Gesundheitsministerium hieß es am Montag, dass man nun die Protokolle veröffentlichen werde.

Opposition übt scharfe Kritik

Die Opposition übt jedenfalls heftige Kritik an der Regierung. "So etwas tut man nicht", sagte etwa SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried. "Wenn sich heute herausgestellt hat, dass den Menschen in Österreich scheinbar bewusst Angst gemacht werden sollte, dann ist das meines Erachtens äußerst besorgniserregend." FPÖ-Klubobman Herbert Kickl sprach gar von einem "Skandal der Sonderklasse". Die "Angstmache" ziehe sich durch die Kommunikation von Kurz (ÖVP) "wie ein roter Faden". Diese sollten wohl "die Basis für die massiven Grundrechtseingriffe legen, die die Regierung gesetzt" habe. Auch Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger wandte sich klar gegen "eine Politik der Angst". Sie vermisse Informationen, auf Basis welcher Einschätzungen die Regierung ihre Entscheidung trifft. Wer hier nichts vorlegen könne, müsse offenbar mit Angst agieren, sagte sie.

Markus Müller, Rektor der Meduni Wien und ebenfalls Mitglied im Expertenstab der Regierung, sagte zur APA: "Von einer Angstmache war sicher nicht die Rede. Aber sehr wohl, dass es die Sorge gab, dass das Bewusstsein in der Bevölkerung hinsichtlich Covid-19 noch nicht adäquat war." Er verwies darauf, dass zum Zeitpunkt der Sitzung (12. März) gerade klar wurde, dass es in Tirol ein massives Problem gab und dass die Situation in Italien außer Kontrolle geriet. Diskutiert wurde bei dem Treffen laut Müller sehr wohl über das Bewusstsein in der Bevölkerung für die Erkrankung. "Das wurde als ganz entscheidend diskutiert für den Erfolg der Maßnahmen." Und dass die Erkrankung "in der öffentlichen Meinung unterschätzt wurde. Und dass das ein Problem sein könnte." Dass die Maßnahmen schlussendlich gegriffen haben, sei ja dem erhöhten Bewusstsein in der Bevölkerung zu verdanken, betonte Müller. (sir)