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"Es wird nicht möglich sein, von Beginn an alle zu impfen"

Von Petra Tempfer

Politik

Sobald es einen Covid-19-Impfstoff gibt, sollen laut Gesundheitsministerium Gesundheitspersonal und Risikopersonen priorisiert werden. Bei der Influenza setzt man auf eine höhere Durchimpfungsrate - vorerst auf freiwilliger Basis.


Einen Impfstoff gegen das Coronavirus gibt es noch nicht. Die Forschung läuft zwar auf Hochtouren, und es gibt vielversprechende Zwischenmeldungen, doch üblicherweise dauert die Entwicklung eines Impfstoffs Jahre. Was also tun, damit im kommenden Herbst und Winter sowie in den Saisonen danach, wenn die alljährliche echte Grippe wieder ausbricht - womöglich künftig gepaart mit dem Coronavirus -, die Spitäler nicht überlastet sind? Einer Studie der Harvard University zufolge wird das Virus Sars-CoV-2 jedenfalls noch länger nicht verschwinden. Und eine Coinfektion Covid/Influenza gilt als sehr gefährlich.

Sollte ein Impfstoff gegen Covid-19 auf den Markt kommen, setzt das Gesundheitsministerium jedenfalls klare Prioritäten: Da man davon ausgehen müsse, dass dabei aufgrund der Komplexität die Produktionskapazitäten und somit auch die Verfügbarkeit begrenzt sein werden, "wird es nicht möglich sein, von Beginn an alle zu impfen", heißt es auf Nachfrage der "Wiener Zeitung". Im Zusammenhang mit Covid-19 wisse man derzeit, dass Infektionen im Gesundheits- und Pflegebereich ein großes Thema seien und ein Fokus auf ältere Personen mit Vorerkrankungen gelegt werden müsse. "So könnte es sinnvoll sein, die ersten verfügbaren Impfstoffe etwa bei Gesundheitspersonal, Schlüsselpersonen und Risikopersonen einzusetzen."

Impfpflicht wird von Verfügbarkeit abhängen

Die Frage einer Impfpflicht sowie jene, wer letztendlich geimpft wird, wird laut Ministerium maßgeblich von der Art des Impfstoffes, der Verfügbarkeit, der Wirksamkeit und der Zulassung (etwa für verschiedene Altersgruppen) sowie vom Nebenwirkungsprofil abhängen. Italien, bekanntlich eines der von Sars-CoV-2 am stärksten betroffenen Länder mit bisher rund 28.000 Todesfällen, diskutiert bereits über die Möglichkeit einer Impfpflicht für alle. Öl ins Feuer schüttete Vize-Gesundheitsminister Pierpaolo Sileri, der sagte, dass die Impfung der einzige Weg sei, das Virus verschwinden zu lassen.

In Österreich waren bis Freitagmittag 15.465 Personen positiv auf Sars-CoV-2 getestet, und es gab 589 Todesfälle. An Influenza, also der echten Grippe, sind in der aktuellen Saison laut der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) am Höhepunkt 205.000 Menschen pro Woche erkrankt und bis Mitte Februar 643 gestorben. Die Saison gilt als so gut wie beendet, abschließende Zahlen gibt es aber erst in zwei Wochen. 2018/2019 gab es 145.000 Erkrankte und 1.400 Todesfälle, in der Saison davor 440.000 Erkrankte und 2.850 Todesfälle, so das Zentrum für Virologie. Diese Schwankungen sind laut Gesundheitsministerium üblich. Denn jedes Jahr zirkulieren unterschiedliche Viren, die verschiedene Erkrankungsverläufe verursachen.

Bevor eine Impfpflicht gegen Influenza für alle kommt, setzt man im Ministerium im Moment aber noch auf die Freiwilligkeit. "Wir werden alle möglichen Maßnahmen, die zu einer Erhöhung der Durchimpfungsrate beitragen können, mit den Beteiligten diskutieren. Aufgrund der aktuellen Sensibilisierung gehen wir davon aus, dass eine erhöhte Impfbereitschaft insbesondere auch im Bereich des Gesundheits- und Pflegepersonals bereits auf freiwilliger Basis vorhanden sein wird", heißt es. Was die Gesundheitsberufe betrifft, so meinte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) bei der Regierungsklausur im Jänner, die Regierung erwäge eine Influenza-Impfpflicht.

Schätzungen zufolge liegt die Durchimpfungsrate für Influenza in Österreich bei etwa 10 Prozent. In den Risikogruppen ist sie zwar etwas höher, von den von der Weltgesundheitsorganisation geforderten 75 Prozent in allen Risikogruppen wie Senioren, Schwangeren, Kindern oder Personen mit chronischen Erkrankungen aber dennoch weit entfernt.

Opposition bei Impfpflicht gespalten

Die Opposition ist beim Thema Impfpflicht gespalten, wie ein Rundruf zeigt. Während die SPÖ "als letzte aller Möglichkeiten darüber nachdenkt" und die FPÖ "prinzipiell dagegen" ist, befürworten die Neos eine Influenza-Impfpflicht fürs Gesundheitspersonal. Eine generelle Impfpflicht gegen Influenza oder Covid-19 wollen aber auch sie nicht. Laut SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher könnte eine höhere Durchimpfungsrate - dem Beispiel Schwedens folgend - auch ohne Verpflichtung funktionieren, dafür aber mithilfe des elektronischen Impfpasses, einer Aufklärungsoffensive oder eines erleichterten Zugangs wie Impfen in Apotheken. Dasselbe gelte für die Impfung gegen Covid-19. Die FPÖ sieht es ähnlich. Inwieweit eine Impfung für Gesundheitspersonal verpflichtend sein müsse, sollte zudem in der Risikobeurteilung des Arbeitgebers liegen und nicht gesamtstaatlich verordnet werden, meint FPÖ-Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak.

Für Neos-Gesundheitssprecher Gerald Loacker könnte sie, wie gesagt, sehr wohl gesamtstaatlich verordnet werden - Voraussetzung sei allerdings, "dass die Republik ausreichend Impfstoff dafür bestellt hat - sollte der Minister das versäumt haben, ist eine solche Impfpflicht nicht umsetzbar". In Deutschland will der Bund bereits 4,5 Millionen Dosen Impfstoff gegen die Grippe beschaffen, um ein Hochschnellen von Corona- und Influenza-Infektionen zu verhindern.

"Das Ministerium ist für die Beschaffung der Impfstoffe im kostenfreien Kinderimpfprogramm verantwortlich. Influenza-Impfstoffe fallen in Österreich derzeit in den Bereich des Privatmarkts. Insofern hat das Ministerium in den letzten Jahren keine Influenza-Impfstoffe bestellt", heißt es dazu aus dem Gesundheitsministerium. In der aktuellen Ausnahmesituation, die einen hohen internationalen Bedarf vermuten lasse, würden jedoch Abnahmegarantien verlangt, um ausreichend Impfstoff zu erhalten. "Die Bundesregierung wird daher eine proaktive Rolle bei der Beschaffung von Grippeimpfstoffen einnehmen müssen", so das Ministerium - das kalmiert: Bei zeitgerechter Bestellung und entsprechender Verfügbarkeit am Weltmarkt werde im Herbst ausreichend Serum vorhanden sein.

Zuschüsse sind "noch zu diskutieren"

Bereits in den vergangenen Jahren habe es Zuschüsse zu Grippeimpfungen seitens vieler Sozialversicherungsträger gegeben. Welche Zuschüsse respektive Anreize es heuer geben wird, ist laut Ministerium "noch zu diskutieren". Die Apothekenverkaufspreise für Influenzaimpfstoffe liegen zwischen 20 und 25 Euro. Der Selbstkostenpreis (der tatsächliche Einkaufspreis plus Verabreichungsgebühr) beträgt 12 bis 15 Euro - die Neos forderten zuletzt, dass über 65-Jährige diese zum Selbstkostenpreis erhalten sollen.

Das Thema Impfen spaltet schon lange die Gesellschaft. Meist geht es dabei allerdings um Schutzimpfungen gegen Masern, Mumps oder Röteln. Influenza tanzt hier etwas aus der Reihe, weil die Immunisierung jährlich erfolgen muss (weil immer ein anderer Virenstamm am aktivsten ist). Auch bei Sars-CoV-2 geht der Schweizer Biologe Richard Neher von der Uni Basel davon aus, dass wegen der Mutationsrate eine jährliche Impfung nötig wäre.

Eine Impfpflicht wäre in Österreich etwas völlig Neues. Hier setzte man seit jeher auf Aufklärung statt Pflicht, wenngleich in der Steiermark im Herbst ein neues Modell startet: Gegen Masern, Mumps und Röteln geimpfte Kinder werden bei der Platzvergabe in Kindergärten bevorzugt. In 12 der 28 EU-Staaten sind Eltern verpflichtet, ihre Kinder gegen mindestens eine Krankheit zu immunisieren, in Lettland sind es sogar 14 Krankheiten. In Frankreich und Italien müssen Eltern, deren Kinder in den Kindergarten oder die Schule kommen, Impfnachweise vorlegen. Deutschland hat im November 2019 eine entsprechende Impfpflicht in Bezug auf Masern eingeführt.