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Schwitzen oder schlechter schützen

Von Petra Tempfer

Politik
Visier oder Maske - oder beides?
© adobe.stock/yta

Seit diesem Monat sind statt eines Mund-Nasen-Schutzes auch Visiere erlaubt - Experten halten sie aber für weniger effizient. Sämtliche Corona-Schutzmaßnahmen müssen für den Arbeitnehmer jedenfalls zumutbar sein.


Man sieht zwar nur die Augen - diese sprechen aber meist Bände: Supermarktkassiere, die nach stundenlanger Arbeit mit Mund-Nasen-Schutz kaum noch Luft bekommen. Baumarktmitarbeiter, die beim Umschlichten der Lagerbestände hinter der Maske noch mehr schwitzen. Trafikantinnen, denen die Frischluft fehlt. Künftig, konkret am 15. Mai, wenn Restaurants und Kaffeehäuser wieder öffnen, kommen auch die Kellnerinnen und Kellner dazu, die womöglich über die Maske hinweg ihr Tablett gar nicht sehen.

Am 1. Mai wurde zwar die entsprechende Covid-19-Lockerungsverordnung des Gesundheitsministeriums dahingehend geändert, dass in Kundenbereichen etwa auch ein Gesichtsvisier als Alternative zum Mund-Nasen-Schutz (MNS) getragen werden darf - dass dieses ein gleichwertiger Ersatz ist, glaubt Miranda Suchomel allerdings nicht. "Das Visier sitzt nicht so dicht wie ein Mund-Nasen-Schutz", sagt die Leiterin des Instituts für Hygiene und Angewandte Immunologie an der Medizinischen Universität Wien.

Anders als beim MNS könnten die Nieströpfchen seitlich und unterhalb des Visiers nach außen gelangen - inklusive möglicher Coronaviren. Monika Redlberger-Fritz, Leiterin des Referenzlabors des Instituts für Virologie an der MedUni Wien, ergänzt: "Durch das Visier zirkulieren nicht weniger Viren im Raum, weil die Tröpfchen nicht abgehalten werden. Alle anderen, die im Raum anwesend sind, könnten sie also einatmen." Lediglich beim Sprechen mit dem direkten Gegenüber werde der Atemstrom abgelenkt, und die Tröpfchen landeten nicht direkt in dessen Gesicht.

Beim MNS werde die Viruslast im Raum indes sehr wohl reduziert, sagt Redlberger-Fritz. "Weil die großen Tröpfchen in der Maske hängen bleiben." Deren Nachteil sei allerdings, und hier punkte wiederum das Visier, dass der Stoff oder das Vlies dadurch feucht würden und regelmäßig gewechselt werden müssten. Und: Der MNS diene ausschließlich dem Fremdschutz, weil ausgehustete Viren aus den zerstäubten Tröpfchen von außen durch die Stoffporen dringen können. Mit dem Visier zum Beispiel aus Plexiglas schütze man hingegen auch sich selbst - zumindest, was den direkten Kontakt mit dem Gegenüber betrifft.

Freier Blick auf die Mimik

Besserer Selbst- und Fremdschutz ist mit den partikelfilternden, dicht sitzenden Schutzmasken der Klassen FFP1 bis FFP3 des Gesundheitsbereichs gegeben, sofern diese über kein Ausatemventil verfügen: Durch dieses gelangen Viren nämlich ungehindert nach draußen. FFP-Masken mit Ventil dienen somit ausschließlich dem Selbstschutz.

Weitere Vorteile des Visiers sind laut Hygienikerin Suchomel, dass dieses auch die Augen schützt, über die ebenfalls Viren in den Körper gelangen können. Außerdem erweitert es nicht nur das Gesichtsfeld des Trägers, sondern gibt auch den Blick auf dessen Gesicht frei - und damit auf sämtliche Signale der Mimik. Für Suchomel wird dieser Punkt allerdings nur im Zusammenhang mit Kindern und Demenzkranken, die sich mitunter vor der Maske fürchten, schlagend. In allen anderen Fällen sollte die Sicherheit vorgehen, meint Suchomel.

Ob nun Gesichtsvisier oder Mund-Nasen-Schutz: Muss man diese bei der Arbeit mit Kundenkontakt (falls es keine andere räumliche Trennung gibt) oder aufgrund einer Betriebsvereinbarung tragen, stellt das in jedem Fall eine ungewohnte Veränderung dar - begleitet von Schwitzen und Atemschwierigkeiten. Lediglich "für Personen, denen aus gesundheitlichen Gründen das Tragen der Vorrichtung nicht zugemutet werden kann", gilt "das Tragen von einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung" laut Verordnung nicht.

Diesen müsse der Arbeitgeber ermöglichen, in einem anderen Bereich ohne Schutzvorrichtungspflicht zu arbeiten, sagt der Arbeitsrechtsexperte Rainer Kraft. Er ist Geschäftsführer des "Vorlagenportals für Arbeitsrecht und Personalverrechnung". Gibt es diese Möglichkeit nicht, könne er aufgrund der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers freigestellt werden.

Alle anderen kommen um das "Tragen der Vorrichtung" nicht umhin. "Das ist ähnlich einschränkend wie das Tragen von Sicherheitsschuhen, Schutzbrillen, Helmen oder Handschuhen auf Baustellen oder in Labors", sagt dazu Petra Streithofer von der Arbeiterkammer Wien, "und Gewöhnungssache." Genauso wie allerdings auf Baustellen keine gesetzlich geregelten Pausen aufgrund der Belastung durch die Schutzausrüstung vorgesehen seien, gebe es diese auch in Hinblick auf Masken und Visiere nicht.

Mundschutz nach wenigen Stunden durchfeuchtet

Lediglich bei Schwangeren empfehle die Arbeitsinspektion, stündlich eine Pause einzulegen, sagt Streithofer im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Bezüglich der FFP2- und FFP3-Masken für den Gesundheitsbereich, die einen erhöhten Atemwiderstand haben, sei zudem arbeitswissenschaftlich erwiesen, dass man nach 75 bis 120 Minuten 30 Minuten Pause machen sollte.

Auf jeden Fall sei ein Mund-Nasen-Schutz nach etwa drei Stunden durchfeuchtet. "Spätestens dann sollte die Maske - mit gewaschenen Händen - gewechselt werden, was man mit einer Pause verbinden könnte", so Streithofer. "Der Arbeitgeber sollte hier kulant sein." Tatsache sei, dass die Schutzmaßnahmen für den Arbeitnehmer zumutbar sein müssen, ergänzt Andrea Komar, Leiterin der Rechtsabteilung der Gewerkschaft der Privatangestellten. Reinigen sollte die Maske aber der Arbeitnehmer zuhause.

Der Arbeitgeber sorge dafür, dass genügend Schutzvorrichtungen wie Masken oder Visiere vorhanden seien, heißt es dazu auf Nachfrage der "Wiener Zeitung" von der Wirtschaftskammer Österreich (WKO). Und auch dafür, dass der Arbeitnehmer eine Pause halten könne, falls er durch die Maske schwierig Luft bekommt. Grundsätzlich lasse die Verordnung vieles offen, wenn es zum Beispiel um die Art der Schutzverrichtung gehe, sagt Rolf Gleißner, Leiter der Abteilung für Sozialpolitik und Gesundheit in der WKO.

Klar sind seit Freitag die Vorgaben der Regierung für die ab 15. Mai erfolgende Gastro-Öffnung: ein Meter Abstand zwischen den Besuchergruppen, Kellner müssen Mund und Nase abdecken, keine Maskenpflicht in der Küche. Reservierungspflicht gibt es keine, sie wird aber empfohlen. Um 23 Uhr ist Sperrstunde. Für die Betroffenen wird es jedenfalls nicht leichter werden. Denn die heißen Sommermonate stehen bevor, in denen man schon ohne Maske schwitzt.

Der Internist und Direktor der Innsbrucker Uniklinik, Günter Weiss, der auch Mitglied im Fachbeirat des Gesundheitsministeriums ist, hat in der "ZiB 2" eine Überarbeitung der Maskenpflicht angeregt, sollten die Fallzahlen auch nach der Phase der Öffnung im Mai niedrig bleiben. "Dann wird man schauen müssen, ob man nicht schrittweise Maßnahmen wieder lockern kann und an gewissen Orten von der Maskenpflicht absieht."