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Die Geschichte eines Irrtums

Von Simon Rosner

Politik

Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek geht nach nur 129 Tagen im Amt, nachdem der Konflikt mit der Kulturbranche explodierte. Es gab Fehleinschätzungen - auf allen Seiten. Eine Analyse.


Vor einem Monat erreichten die Vertrauenswerte der Bundesregierung historische Rekordwerte. Am Freitag erlebte die türkis-grüne Koalition ihre erste Umbildung. Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek erklärte ihren Rücktritt. Mit ihren Stärken habe sie keine positive Wirkung mehr erreichen können, sagte sie. "Ich mache Platz für jemand anderen." Wer das sein wird, ist noch nicht bekannt.

Ihre Demission ist auch die Geschichte eines Irrtums. Wobei es am Ende die Größe der Krise war, die mehrere kleine Fehleinschätzungen zu einem unüberwindbaren Problem machte, das jedoch für die Grünen potenziell weitreichende Folgen hat. Denn im Oktober muss die Regierungspartei eine wichtige Wahl in Wien schlagen. Binnen weniger Wochen haben die Grünen eine ihr geneigte Branche mit wichtigen Multiplikatoren verloren. Der Rücktritt ist auch der Versuch einer Korrektur.

Lunacek ist eine erfahrene Politikerin. Sie war zehn Jahre Abgeordnete zum Nationalrat, 2008 übersiedelte sie nach Brüssel ins EU-Parlament, dessen Vizepräsidentin sie wurde. Ihre politische Sozialisation lag in der Entwicklungspolitik und diese stand auch stets im Fokus ihrer Arbeit, dort erarbeitete sie sich Expertise und Renommee. Nicht jedoch in der Kulturpolitik. Das verhehlte sie nicht. "Aber privat war Kunst und Kultur für mich immer wichtig", sagte sie in einem Interview mit der "Wiener Zeitung".

Das ist eine der Fehleinschätzungen gewesen. Eine einschlägige Provenienz ist dabei keine Voraussetzung für dieses Amt, das zeigt auch ein Blick auf ihre Vorgänger. Nur einer, nämlich Franz Morak, war auch selbst künstlerisch tätig, als Musiker und (Burg-)Schauspieler, doch ausgerechnet seine Ära (2000 bis 2007) ist bei vielen Kulturschaffenden eher leidvoll in Erinnerung geblieben.

Ein Interesse für die Kunst ist auch sicher notwendig, aber es verleitet allzu leicht zum Glauben, dadurch über die notwendige Grundkenntnis zu verfügen. Hätte Lunacek auch für das Umwelt- oder das Justizministerium zugesagt? Vermutlich nicht. Doch so wie ein Sportfan kein guter Vereinschef, ein leidenschaftlicher Kaffeehausgänger kein erfolgreicher Cafetier sein muss, so verhält es sich auch in der Kulturpolitik. Kunst zu schätzen, ist etwas anderes, als sie gestalten zu können.

Der freien Szene verbunden gefühlt

Dazu kommt, dass dieses Ressort auch alles andere als ein Feel-Good-Ressort ist, wie man es, oberflächlich betrachtet, angesichts schillerender Events annehmen könnte. Das Budget ist viel kleiner, als es die Bedürfnisse der Branche sind, die noch dazu sehr heterogen ist. Es gibt Verteilungskämpfe. Die großen Häuser haben in den vergangenen Jahrzehnten auch verstärkt touristische Bedeutung bekommen, die es mitzudenken gilt, gleichzeitig ist die freie Szene gewachsen, aber nicht das Budget.

Dieser freien Szene haben sich die Grünen immer verbunden gefühlt. Die Kultur war, neben dem Studentenmilieu, einer der wenigen gesellschaftlichen Bereiche, in denen die Partei Fuß fassen konnte. Das Hauptthema Umwelt war politisch zuvor unbesetzt, der Korruptionskampf, den die Grünen fochten, ebenso. Ein "Marsch durch die Institutionen" gelang der Bewegung aber nicht, weder bei den Gewerkschaften, Kammern und auch nicht im öffentlichen Dienst. Am ehesten noch in den Medien.

Doch es waren eben nicht die (politisch besetzten) Kulturmanager der großen Häuser, und es waren nicht oft die prominenten Künstler und Künstlerinnen, die den Grünen zugetan waren. Die fanden sich eher in Personenkomitees von SPÖ- und ÖVP-Politikern wieder. Die Grünen waren speziell in der freien Szene vernetzt, etwa durch Peter Pilz, auch Eva Glawischnig und natürlich Wolfgang Zinggl, der langjährige Kultursprecher. Doch sie gingen alle im Jahr 2017, dem Jahr der Zäsur. Lunacek nicht, sie wurde Parteichefin. Auf ungewohntem Terrain kehrte sie drei Jahre später zurück.

Stotternder Start‚ dann kam schon Corona

Lunacek zog sofort den Ärger von Autoren auf sich, nachdem sie zum Literaturnobelpreis für Peter Handke wegen dessen Äußerungen zu Serbien kritische Worte gefunden hatte. Für eine ehemalige Berichterstatterin des EU-Parlaments für den Kosovo war das verständlich, nicht aber für eine Staatssekretärin für Kultur. Diese Irrungen zu Beginn hätten sich aber vielleicht noch einspielen können, doch dann kam Corona.

In der "ZiB2" sagte der Kabarettist Lukas Resetarits auf die Frage, warum sich sein Zorn so sehr in Richtung der Grünen entlädt: "Die Verärgerung in der Szene rührt daher, dass sich dort die meisten Sympathisanten der Grünen befinden, und daher ist die Enttäuschung am größten." Resetarits selbst hat sich in der Vergangenheit zwar mehrfach der SPÖ näher gezeigt, aber der Befund muss deshalb nicht falsch sein.

Eine Fehleinschätzung kann aber auch beim politischen Publikum vorliegen, nämlich in der Hinsicht, dass mit den Grünen an den kulturellen Schalthebeln alles anders und besser werden würde. Als oppositionelle Unterstützer aufzutreten ist auch leichter, als die Wünsche der Branche auch wirklich durchsetzen zu können. Dazu hatte Lunacek aber gar keine Gelegenheit, wie sie auch bedauernd festhielt. Stattdessen kam die Corona-Krise. Eine noch nicht eingearbeitete, wenig vernetzte Staatssekretärin und der für Kultur zuständige Vizekanzler Kogler haben offenkundig die Bedürfnisse der Branche falsch eingeschätzt. Die Reaktionen der Künstler waren dann jedoch auch sehr rasch sehr scharf. Das könnte man auch als Beleg dafür sehen, dass dieses Ressort nicht zu unterschätzen ist. Und die Hilfe vom Koalitionspartner, vor allem finanzieller Natur, war jedoch auch endenwollend.

Die große Bedeutung des Finanzressorts war zweifellos eine richtige Einschätzung Werner Koglers, der vor den Verhandlungen mit den Türkisen das Finanzministerium für die Grünen reklamiert hatte. Es war aber immer klar, dass das nie passieren wird, aber die ÖVP hatte ihrem Partner nicht einmal einen Staatssekretär im Finanzministerium zugestanden, wie das in vergangenen Koalitionen, auch unter Türkis-Blau, der Fall war.

Im Nachhinein weiß man es besser. Vielleicht hätten die Grünen der ÖVP das Kulturressort überlassen und Lunacek stattdessen die Frauenagenden übergeben können. Aber auch dann wären der Aufschrei und die Enttäuschung aus der Branche groß gewesen. So bleibt es am Ende ein Irrtum, den die Grünen nun korrigieren müssen. Denn wenn sie diese für sie wichtige Szene nicht schnell wieder überzeugen können, wird es bei der Wien-Wahl schwierig werden. Enttäuschte Wählerinnen und Wähler können übel reagieren, enttäuschte Grün-Wähler besonders. Das weiß die Partei seit 2017.