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Ethik für manche

Von Martina Madner

Politik

Dass das neue Unterrichtsfach nur für die Oberstufe und als Ersatz für Religion kommt, sorgt für Kritik.


Für Schülerinnen und Schüler ab der neunten Schulstufe, die sich bisher vom Religionsunterricht abgemeldet haben, soll es mit einer Änderung des Schulorganisationsgesetzes künftig Ethikunterricht als Pflichtfach geben. Die "fundierte Auseinandersetzung mit den Grundfragen des Lebens", mit unterschiedlichen philosophischen, weltanschaulichen, kulturellen und religiösen Menschenbildern soll einen "Beitrag zur individuellen Persönlichkeitsentwicklung leisten", weil sie bislang "keine Bildung im gleichen Ausmaß, wie Teilnehmende am Religionsunterricht" erhalten hätten, heißt es in der Begründung des Ministeriums zum Gesetzesentwurf.

Wird der Gesetzesentwurf so beschlossen, gibt es also ab dem 1. September 2021 "klassen- und schulstufenweise aufsteigend" ab der neunten Schulstufe Ethik im Ausmaß von zwei Wochenstunden, optimalerweise zeitgleich zum konfessionellen Religionsunterricht. 620 Lehrpersonen, die den im letzten Studienjahr gestarteten Hochschullehrgang absolviert haben, wird es im Endausbau 2026 brauchen, was dann für zusätzliche Personalausgaben von 47,6 Millionen Euro jährlich sorgt.

Ersatz für Religion

Für den Verein "Ethik für alle", der ein Volksbegehren zum Thema initiiert hat und zu den 35.000 Unterstützungserklärung bislang noch weitere sammelt, ist Ethikunterricht "nicht nur begrüßenswert, sondern auch überfällig." Mit der Form, der Gruppe und als Ersatz für den Religionsunterricht haben die Vertreter der Volksbegehrens aber wenig Freude, dafür viel mehr Kritik übrig.

Eytan Reif, Sprecher des Volksbegehrens, kritisiert etwa: "Ethik lebt vom Austausch innerhalb der Klasse, indem man Pluralismus lebt, Unterschiede betont und nicht weg glättet." Mit einem Extra-Unterrichtsfach werde das nicht erreicht, Ethik bleibe damit ein "Minderheitenprogramm, ein Schwimmkurs für den Sandkasten", sagt Reif. Er sieht die Trennung von Staat und Kirche in Gefahr: Bisher sei der Religionsunterricht wegen der Abwählbarkeit ein "Defacto-Freifach" gewesen, nun aber werde er, weil das Ersatzfach Ethik darauf referenziert, ebenfalls staatlich legitimiert.

Andreas Gruber, Direktor einer Neuen Mittelschule in Favoriten, sieht im teilweisen Ethikangebot, eine Diskriminierung aller anderen, auch der jüngeren Schülerinnen und Schüler: "Ethik kann auch zur Integration beitragen, das gelingt nur, wenn man sich in der Gruppe mit den Werten und der Identität der Anderen auseinandersetzt."

Und der Schweizer römisch-katholische Theologe Anton Bucher, der an der Universität Salzburg unterrichtet und mehrere Schulversuche begleitetet, bedauert die künftige Konkurrenzsituation von Religion und Ethik an den Schulen, er schlägt stattdessen nach dem Berliner Modell Ethik für alle und zusätzlichen freiwilligen Religionsunterricht vor.

Im Begleittext, nicht aber im Gesetz selbst, ist die Philosophie als Grundlagenwissenschaft des Ethikunterrichts genannt. Bezug gebe es auch zur Psychologie, Soziologie, Religionswissenschaft und anderen. Der Philosophin Lisz Hirn ist jedenfalls wichtig, dass nicht die Theologie die Inhalte des Ethikunterrichts bestimmt, "Theologie hat da nichts verloren, schließlich geht es nicht um die Interpretation von Glaubensfragen, sondern solche rund um Gemeinschaft, Sexualität, jetzt auch Corona und den Klimaschutz. Wo ist da die Kompetenz von Religionslehrern?"

Der Verein sieht seine Forderungen nach einem Ethikunterricht für alle durch eine repräsentativ von Gallup durchgeführte Umfrage untermauert: 70,1 Prozent der 1000 Befragten sprachen sich für einen gemeinsamen Ethikunterricht aller aus, 16,4 Prozent für das von der Regierung geplante Modell, der Rest für keinen Ethikunterricht.