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Die Reifeprüfung

Von Leo Zirwes

Politik
Leo Zirwes hat von 2012 bis 2020 das GRG 16, das Bundesgymnasium Maroltingergasse, besucht.
© Franziska Marhold

Leo Zirwes ist frischgebackener Maturant. Er schreibt über sein recht ungewöhnliches Covid-Schuljahr.


Maturajahr. Etwas geht zu Ende, etwas Neues beginnt. "Rite of passage" - ein Übergangsritus. Man steht zwischen den Lebensabschnitten, und das, was man erlebt, prägt einen, man nennt das wohl "Jugend". Meine Geschichte von der "Jugend" und von diesem Artikel beginnt an einem Nachmittag beim Europäischen Forum Alpbach, einem Gespräch mit "Wiener Zeitung"-Journalist Thomas Seifert und meiner Idee. Wie sieht dieser Übergang aus? Darüber würde ich gerne schreiben.

September

Letzter erster Schultag oder so. Fühlt sich komisch an, und hier stehen wir. Schule, der Anfang vom Ende oder so. Irgendwie ist es ungewohnt, dass das jetzt das letzte Mal sein soll, das letzte Mal erster Schultag nach dem Sommer.

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Klimastreik

Es ist Ende September, bald ist Nationalratswahl. Global steht die Week for Future an. In Wien sind wir dafür stark eingebunden. Eine Woche lang organisieren wir Vorträge im alten AKH.

Klimastreik, eigentlich bin ich krank, naja. Wird schon schiefgehen. Es liegt eine komische Stimmung in der Luft. Spannung. Das muss groß werden. Wir stehen am Heldenplatz, Klimaheld*inneplatz, schauen zu, wie die Bühne aufgebaut wird, wie die MA 48 die WC-Anlagen aufbaut.

Wir schreien zu dritt vorne, schon geil, ich glaube, das vergesse ich so schnell nicht.

Franziska - sie hat die Bilder für diese Geschichte fotografiert - und ich. Zwei Megaphone. Der Demozug hinter uns. Irgendwann kommen wir, nach einer gefühlten Ewigkeit, am Karlsplatz an. Ich kümmere mich um die Demospitze. Mein Hals schmerzt, wir haben Spaß. Es läuft.

Die Demo ist zu Ende irgendwie. Wir liegen im Gras. Bestellen Pizza.

Jänner: I like your sense of humor

Es ist Jahresanfang. Ich glaube, es ist der 3. oder 4. Jänner. Ich treffe mich mit Sarah an der U-Bahn Haltestelle Ottakring. Wir haben uns eigentlich schon für vor Weihnachten verabredet, sie war krank, also dann eben jetzt. Wir wollen in die Albertina und reden über Kunst, oder kann man nur von der Erfahrung von der Kunst sprechen? Ich weiß es nicht, vielleicht weiß ich es irgendwann mal?

Die Albertina ist voll. Wir gehen über den Heldenplatz ins Kunsthistorische (wir sprechen über das Zwidemu (Anm.: Maria-Theresien-Platz, Zwidemu steht für Zwischen den Museen), an diesem Ort hat wohl jeder so seine eigenen Erfahrungen gemacht. Oben stehen wir in der Ausstellung, wobei das Gespräch eigentlich interessanter ist, als die Bilder, vielleicht ist das manchmal so? Wir suchen uns eine Couch im Museum, vor irgendeinem alten Meister, die da massenhaft an den Wänden hängen.

Wir gehen nachher essen, ich soll aussuchen, na dann Pizza, Pizza Mari hat zu, Mist, also gehen wir zum Karmelitermarkt. Und danach noch ein wenig im Bezirk und am Wilhelminenberg spazieren. Ein schöner Januarabend.

Freudschaft auf Distanz. Abstand halten gerade zu Menschen, die man mag? Genau das ist das Teuflische an Covid-19.
© Franzsiska Marhold

12. Jänner 2020, 3.32 Uhr

Was will ich studieren, und warum? Verdammt warum? Was hat Sinn, und was lockt mich? Vor zwei Jahren hätte ich mich für Malerei eingeschrieben, bei Daniel Richter oder so. Letztes Jahr wäre es wohl Physik geworden (da prägen Lehrer einen schon sehr, und ich denke ganz nebenbei, der Sinn eines guten Lehrers ist der, den Schülerinnen und Schülern Begeisterung mit auf den Weg zu geben, einen Weg zu zeigen, was interessant sein könnte. Schule soll, denke ich, nicht auf dem sturen Auswendiglernen und Pauken bestehen, sondern muss immer ein Spur-Finden sein, wenn man diese Spur denn nicht schon gefunden hat. Und ein wenig so ist es mit meinem ehemaligen Physikprofessor gewesen, der hat eine unglaublich ansteckende Begeisterung für sein Fach. Und die hat mich erwischt, und war letztlich auch Grund für die Wahl meines VWA-Themas).

Und jetzt?

Ich gehe auf die Website der Uni Wien. Ich liebäugle seit einer Weile ein wenig mit Jus, wahrscheinlich wird's das. Aber ich würde gern auch was anderes machen. Vielleicht ist es so, dass man in seinem Leben zu wenig Zeit hat, alles zu tun, was man denn gerne machen würde. Also muss man eben einen Weg einschlagen. Und meiner biegt zumindest für den Augenblick einmal in Richtung Jus. Mal sehen.

Vielleicht ist es auch die Müdigkeit, und das Gefühl von Eigentlich-gibt-es-so-viel-aber-ich-bin-erstaunt-vom-Angebot-und-weiß-nicht-was-das-Beste-wäre. Das könnte es sein.

Covid-19 ändert alles

Im Jänner höre ich das erste Mal etwas von Covid-19. Inzwischen sind sechs Wochen vergangen. Alle Zeitungen sind voll mit Covid-19-Stories. Es gibt ein Thema, dass über allen anderen steht und sich augenscheinlich auch gut verkauft.

Ich sitze im Ethikunterricht. Ethik ist ein feines Fach, wir sind eine kleine Gruppe. Irgendwie kommen wir auf das Thema Corona zu sprechen, vor allem weil die Kulturreise für die sechsten Klassen abgesagt wurde. Das Thema ist polarisierend. Vor allem die Differenz zwischen dem staatlichen Handeln Chinas und Italiens und der verlautbarten Gefährlichkeit beschäftigt uns.

Taborstraße - Overlook

Ich treffe Kati. Sie kommt mit dem Rad und winkt mir von der anderen Kreuzungsseite zu. Kati hat lange Rastalocken. Mit Kati kann man wahnsinnig lange über ganz tiefsinnige Themen sprechen (und das im Gegensatz zu vielen anderen Gesprächen auch sinnvoll). Wir gehen Arm in Arm, wo gehen wir hin? It is pointless. Das Fett & Zucker ist voll. Sie mag den Namen.

Karmelitermarkt. Wieder, wie so oft in letzter Zeit (was ich noch nicht weiss, ist, dass ich in nächster Zeit öfter hier sein werde).

Café. Wir trinken etwas. Ich kenne Kati eigentlich nicht so gut. Wir kennen einander vom Sommer, aus Tirol.

Klimademo am Reumannplatz. Leo Zirwes ist 18. Mit Matura. Also eigentlich fast noch Schüler.

Ich erzähle von mir, Kati erzählt über sich. (Identität ist eine spannende Frage, wer ist man, und warum ist man, wer man ist? Ich stelle mir das ein wenig vor, als wäre man eine Scherbe von einem Spiegel, oder irgendetwas anderem reflektierendem. Dieser Spiegel - sprich ich selbst - spiegelt eine andere Reflexion der Welt wider. Im Laufe des Lebens splittert diese Scherbe - soll heißen: Man bekommt andere Macken. Das wiederum verändert den gespiegelten Reflex, der gleichsam man selbst ist. Oder so. Kati studiert Philosophie, interessant.

13. März: Lockdown

Ich komme nach Hause. What’s happening? Ich bin aufgewühlt. Nicht aus Sorge um mich selbst, sondern weil die Situation so unübersichtlich ist. Weil das "Normal" von vorher nicht mehr normal ist und weil es das wohl auch eine ganze Weile nicht mehr sein wird.

Ich denke darüber nach, wie sich das auswirken wird. Auf mein Umfeld. Auf unsere Gesellschaft. Ich denke auch an meine Matura. Die Ungewissheit, die noch eine Weile bestehen wird, ist erdrückend. Ich mache mir aber auch Sorgen darum, wie sich die Situation auf Menschen auswirkt, denen es schlechter geht als mir, und wie ich da unterstützend wirken kann.

Die Schule nahm Leo Zirwes sportlich.
© Franziska Marhold

Es ist keine schöne Zeit. Es ist ein düsterer Tag. Ein Tag, an dem man sorgenvoll in die Zukunft blickt. In eine Zukunft, aus der man hoffentlich einmal in dem Gewissen, dass alles (halbwegs) gut ausgegangen ist, zurückblicken kann.

Keine Schule - trotzdem Schule

Es scheint alles so viel wuseliger, seitdem niemand mehr rauskann. Alles ist viel mehr durchgetaktet. Der Stundenplan hat plötzlich keine Konturen mehr. Der Stundenplan ist kein Stundenplan mehr, sondern eher eine Wann-soll-was-fertig-sein-Vorstellung - wobei die Meisten keine Deadlines einhalten.

Wie auch immer, es ist so, dass alle, immer, also zu den üblichen Uhrzeiten, irgendetwas zu tun haben. Sei es jetzt für die Schule, also das Lernen für irgendeine Schularbeit, einen Test, oder die Uni, oder eben irgendetwas, das man sonst so macht, und das jetzt ganz urplötzlich doch mehr Raum einnimmt. Vielleicht nimmt man die Dinge "im Alltag" auch nur einfach nicht so wahr?

Auf jeden Fall sind alle so geschäftig. Was ich beobachte, ist, dass alle neben- und ringsherum ihre Arbeit direkt mit nach Hause mitnehmen, also dorthin, wo man am verletzlichsten ist. Ins Private. Dorthin wo, man bis jetzt hinkonnte, um einen ruhigen Atemzug zu nehmen. Und jetzt? Na jetzt ist das eben anders, man ist anfälliger, nimmt "die Arbeit" - welche auch immer - direkt mit. Ob das gut ist, naja, ich weiß es nicht. Auf jeden Fall ist das jetzt einmal so, ohne Aussicht auf schnelle Veränderung.

Treffen beim Zwidemu (Zwischen den Museen, vulgo Maria-Theresien-Platz)...
© Franziska Marhold

Connaissances

Praktisch ist, dass man - schulisch gesehen - nur noch mit den Menschen Kontakt hat, mit denen man gut auskommt, und mit den anderen eben nicht, das hat schon etwas für sich. Man trennt sich, und einiges wird doch deutlich natürlicher und angenehmer, nicht mehr so konstruiert und erzwungen.

Es ist Abend. Ich schaue in den Spiegel und zurück.

Im September bin ich in dieses Schuljahr gestolpert, ich fand erste Schultage immer ein wenig skurril. Jetzt vermisse ich ganz alltägliche Dinge. Eine überfüllte U-Bahn.

Was im September die freundschaftliche Nähe war, ist heute einer verordneten Distanz gewichen. Was vor einem halben Jahr Alltag war, etwas von dem ich angenommen hatte, dass es eben so ist, weil es in dieser Hinsicht nie großartige Schwankungen gegeben hatte, ist heute Utopie. Bloß wie lange noch?

Stimmengewirr. Irgendwie so etwas. Ich glaube langsam, ich weiß, wo es hingehen soll. Wo ich hingehen will. Das Bild wird ein wenig klarer. Das nimmt mir ein wenig von dem Druck, mit dem ich vor mich hin gelebt und gelernt habe, das ist erleichternd.

Unterricht - Unterrichten

Eine interessante Wahrnehmung: Die Räume, in denen die Leute aktiv sind, verändern sich. Was gestern der Klassenraum war, ist heute der Online-Chat (wie ich den langsam hasse; Nachtrag 3. Mai 2020), was früher der Hörsaal war, ist heute eben die Online-Vorlesung, und wo man sich gestern irgendwo getroffen hat, ist heute eben irgendeine Onlineplattform. Ob das mit der Realität mithalten kann? Nein.

In der Schule hat sich überraschend viel bewegt; alle Lehrer - auch die von denen man es nicht erwartet hätte (Stichwort: Turnunterricht) - melden sich. Vielleicht nicht immer so, dass es einen erfreut, denn es gibt viel zu tun. Der Turnlehrer filmt alle paar Tage ein Workout - sehr motiviert; der Bildnerische-Erziehung-Lehrer verteilt Hausübungen - ungewohnt in dem Fach; und Mathe bleibt eben Mathe - ungeliebt, aber was macht man nicht alles zumindest der Noten wegen.

Über Schule

Treffen am Zwidemu (Zwischen den Museen vulgo Maria-Theresien-Platz) unter Wahrung der Abstandsregeln.
© Franziska Marhold

Angenehm war das nicht, als man zu spät in die Schule kam und vom Schulwart angehalten wurde (wie ich das hasse! Ist das echt so wichtig?). Nun vermisse ich das in der Schule sein, das in der Früh zu spät aufstehen und außer Atem in die Schule hetzen - zugegeben nicht oft, aber doch. Schon eigenartig. Wahrscheinlich kann man alles vermissen, so ein wenig.

Das Lernen funktioniert gut, teilweise stressig, aber ja, es klappt. Schneller als gedacht, hat irgendwer eine Microsoft-Teams-Seite erstellt, die meisten Lehrer sind auch drauf, und die Aufgaben (leider) auch.

Das wirklich Überraschende ist, wie lang so ein Tag ohne Schule eigentlich ist und wie einfach die meisten Dinge von der Hand gehen, wenn man selbständig arbeiten kann und darf. Das digitale Arbeiten erleichtert Vieles. Zudem: Das Arbeiten macht mit dem Fokus auf das, was nun auf uns zukommt - Uni und so - plötzlich Sinn.

Jetzt laufen Arbeitsaufträge in Fächern ein, von denen man es nie nicht erwartet hätte - Bildnerische Erziehung oder, Turnen. Turnen ist zeitaufwendig. Und unbeliebt. Videos von Übungen filmen ist ungewohnt (und nicht unbedingt immer angenehm).

Rückschritt - Fortschritt

Wieder da, wieder in der Schule, naja, vermisst hat’s wohl kaum einer. (Ich doch ein wenig, siehe oben.) Generell ist alles, jetzt wo es wieder losgehen muss, ein wenig schwierig.

In die Schule gehen heißt Hände desinfizieren, Maske tragen, es heißt auch anstellen, irgendwie komisch, weil ungewohnt. Wobei das Desinfektionsmittel unangenehm stark riecht, es wurde zu wenig geliefert, irgendwer hat auf die Schnelle mehr auftreiben müssen.

Auf eine Weise ist alles ein wenig stiller - wahrscheinlich, weil das Schulhaus so leer ist? - und alle sind ruhiger. Im Allgemeinen. Wahrscheinlich liegt es an der neuen Situation, am nach so langer Zeit wieder in der Schule sein.

Was vor allem auffällt: der Abstand zueinander. Man sitzt weiter auseinander, man steht seltener auf, die Kommunikation fällt schwerer. Man ist im "normalen" Schulbetrieb daran gewöhnt gewesen, neben irgendwem zu sitzen. Es war normal, sich mit dem Sitznachbarn zu unterhalten, wenn der Unterricht mal zäh war. Das ist wohl öfter, als man’s sonst bemerkt hat, der Fall gewesen. Das fehlt schmerzlich. Nun hält das Handy als Ersatz dieser Leere her; doch das ist eher unbefriedigend.

Der Unterricht hat sich auch verändert, vielleicht, wahrscheinlich, ziemlich sicher, weil der Antrieb fehlt. Liegt im Naturell des Schülers. Man macht so viel, wie man muss, und so wenig, wie man kann. Wenn der Antrieb fehlt man und die Noten - das Schuljahr ist ja schon vorbei - und die Matura mit der Sonderregelung schon in der Tasche hat, dann fehlt auch das "Tun-wollen".

Getan wird schon etwas, man schreibt die Aufgaben und "übt" eine Placeboschularbeit, die steht ja noch an. Weil das Ministerium fordert’s ja. Ob man das nicht hätte anderweitig lösen können? Wahrscheinlich. Ob die im Ministerium das gewollt hätten? Wahrscheinlich nicht.

Abschluss. So in etwa

Im Vorfeld habe ich schon etwas gezittert. Wie ist es, die "letzte" Klausur zu schreiben? Die Antwort: erstaunlich unspektakulär.

Nur eben geprägt durch Corona. Ich stehe vor dem Schulgebäude, Maske an, Desinfektionsmittel aufsprühen, die Treppe hoch. Sechs Stunden schreiben. Treppe wieder hinunter. Drei Tage lang. That’s it. Eigentlich ist die Matura ganz schmerzlos. Fast habe ich den Eindruck, als wäre sie aufgebauscht, damit man ja lernt. Aber im Endeffekt ist sie nur das eine: eine Prüfung.

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Jetzt, nachdem ich sie geschrieben habe, kann ich sagen, das war’s. Adieu Schule. ¡Hola! next step. Ich bin froh, diesen Abschnitt hinter mir zu lassen und den Blick in eine neue Zukunft zu wagen.

Eine, die wie diese letzte Klausur von einem Faktor geprägt sein wird: Covid-19. Und so stelle ich mich auf einen Online-Studienbeginn ein.

Liberté

Wir sitzen im Festsaal, die Stühle sind aufgereiht. Der Sicherheitsabstand wird selbstverständlich eingehalten. Die Eltern im Saal applaudieren. Es ist so weit, jetzt und hier ist Ende. Jetzt war es das. Wirklich. Meine Schulzeit - vorbei. Die Pläne für den Sommer - umgeworfen. Was im Herbst kommt - man wird sehen.

Wir sind alle gerührt, man merkt es schon. Dieser Moment ist für uns alle, die wir hier sitzen, doch ein großer Schritt. Dem ein oder anderen kommt eine Träne in den Augenwinkel, als wir die Zeugnisse in die Hand gedrückt bekommen.

Acht Jahre Maroltingergasse, acht Jahre lernen, für ein paar waren es neun. Jetzt geht es hinaus in die weite Welt.

Aus den Boxen tönt ein von uns umgedichteter Mark-Forster-Song, den wir im Februar gesungen haben.

Auf das was jetzt dann kommt, auf eine gute Zeit. Wir sehen uns!