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Schlechte Erinnerungen

Von Simon Rosner

Politik

Der Cluster in St. Wolfgang weckte Assoziationen zu Ischgl, viele Gemeinsamkeiten gibt es aber nicht.


Am vergangenen Dienstagabend fühlte sich eine junge Hotel-Praktikantin in St. Wolfgang unwohl. Etwa 24 Stunden später kam ihr Testergebnis auf das neue Coronavirus. Es war positiv. Die engen Kontakte der Infizierten wurden ermittelt, einige Kolleginnen und Kollegen behördlich abgesondert und am Donnerstag getestet. Einen Tag später erhielten auch sie das Ergebnis: Sieben weitere Personen waren infiziert. Damit war Gewissheit, dass Österreich die erste Infektionshäufung im Tourismus in diesem Sommer hat, und die erste seit, nun ja: Ischgl.

Dass in Österreich und Deutschland besonders sensibel auf derartige Nachrichten reagiert wird, ist logisch. Ischgl und andere Skigebiete waren im März für diese Länder sowie für Skandinavien Ausgangspunkt für viele tausende Infektionen. Nicht nur, aber auch, weil damals mutmaßlich zu nachlässig von den Behörden reagiert wurde und viele infizierte Gäste ungetestet abreisen konnten.

Nicht nur ein Medium stellte am Wochenende die Frage, ob "St. Wolfgang das neue Ischgl" sei. Mit Fragezeichen im Titel. Zumindest bisher deutet allerdings nichts darauf hin, dass sich der Cluster derart auswachsen wird. Bis Montag stieg zwar die Zahl der Infizierten nach groß angelegten Testungen auf vorerst 62 (38 Tests waren bis Redaktionsschluss noch nicht ausgewertet), der Cluster ist aber laut den Behörden eingrenzbar.

Fast alle positiven Fälle betreffen Praktikanten der Tourismusbetriebe der Region. Die Jugendlichen hatten offenbar getan, was junge Menschen tun (und was sie auch anderswo tun): Sie waren in einer Bar und haben gefeiert. Das war zwar auch in Ischgl der Brandbeschleuniger, doch die Dimension war dort eine andere. Aber auch sonst sind die beiden Fälle nicht vergleichbar.

Wie man heute weiß, hat sich das Virus in den Skigebieten lange vor dem ersten positiven Test unentdeckt verbreitet. Es gab keinerlei Schutzmaßnahmen und auch bei den Erkrankten lange kein Bewusstsein, dass es sich bei ihrem vermeintlich grippalen Infekt tatsächlich um Covid handelt. Sie haben, obwohl "leicht erkältet", weiter gearbeitet und weiter gefeiert. Das war verheerend.

Die Infektionshäufung in St. Wolfgang wurde deutlich früher bemerkt. Das Contact Tracing war zudem schnell und funktionierte, einen Tag nach dem ersten positiven Test waren die engen Kontaktpersonen unter Quarantäne gestellt und wurden, obwohl ohne Symptome, auch getestet. Das ist gar nicht vorgeschrieben, sondern nur das Isolieren, doch Oberösterreich ist nach dem Freikirchen-Cluster in Linz genauso wie die Stadt Wien dazu übergegangen, auch sogenannte "Kategorie-1-Kontakte" zu testen, wenn keine Symptome vorliegen.

Am Montag waren insgesamt 16 Betriebe am Wolfgangsee allein auf der oberösterreichischen Seite betroffen. Bei diesen hatten die Praktikanten gearbeitet. Die Behörden rechnen nicht damit, dass sich das Virus aus diesem Cluster heraus nennenswert auf die Salzburger Seite des Sees verlagert hat. In den 16 Betrieben wurden jedenfalls alle Mitarbeiter gescreent, die zwei betroffenen Bars sind vorerst geschlossen, allerdings nicht behördlich. Auch keines der Hotels wurde gesperrt. Das hatte am Wochenende ebenfalls Assoziationen zu Ischgl geweckt, wo die Reaktionszeit viel zu lang war und das Halligalli weiterging. Doch auch in diesem Punkt gibt es, Stand Montag, keine Gemeinsamkeit mit St. Wolfgang. Das Vorgehen der Behörden ist bei einem Tourismus-Cluster nicht anders als etwa bei einer Häufung in einer Kirche. Es geht immer darum, die engen Kontakte schnell zu isolieren, um den Ausbruch eingrenzen zu können.

Kritik von Gästen über schlechte Information

Bisher konnten die Fälle am Wolfgangsee gut zugeordnet werden, die Gäste hatten keine nachweislich längeren und engeren Kontakte mit Infizierten. Dann nämlich hätten auch sie in Quarantäne müssen, nicht aber pauschal. Deshalb konnten Touristen abreisen, viele ließen sich aber freiwillig in mobilen Test-Stationen des Roten Kreuzes testen. Auch das war in Ischgl nicht der Fall. Die Behörden werden zudem mit allen Gästen, die ab dem 15. Juli in St. Wolfgang waren, Kontakt aufnehmen. Wenn es etwas Positives an einem Ausbruch in einem Tourismusort gibt, dann dass das Contact Tracing erleichtert wird. In einer Stadt wäre es schwierig, all jene zu informieren, die in den vergangenen zwei Wochen in einer Bar waren, in der es einen Ausbruch gab. Über die Hotel-Meldungen können aber alle Gäste angeschrieben werden.

Das Vorgehen der zuständigen Gesundheitsbehörden ist das eine, die direkten Informationen etwas anderes. Hier gab es von Touristen Kritik, jedenfalls für die erste Phase, unmittelbar nach dem Ausbruch. Es gab keinen Aushang, etwa bei der Rezeption. Und der Hinweis von Behörden, dass es kaum Gefahr für Gäste gebe, wie es am Freitag hieß, mag zwar epidemiologisch begründbar sein, hat aber nicht zur Beruhigung besorgter Gäste beigetragen. Auch hier gilt: Das Fanal Ischgl ist einfach noch zu nahe. Tourismus- und Gesundheitsministerium haben gemeinsam einen Leitfaden entwickelt, wie bei einem Infektionsfall vorzugehen ist. Er soll diese Woche präsentiert werden. Dem Vernehmen nach war die Zusammenarbeit der beiden Ministerien nicht ganz optimal, der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist es jedenfalls, die Urlaubszeit hat längst begonnen. Es könnte dann auch geregelt werden, ob in einigen Fällen nicht doch eine zumindest kurze pauschale "Abreise-Sperre" verhängt werden kann. Freilich, allzu lange darf sie nicht sein. Wer ein paar Tage Urlaub bucht, will bei einem kleinen Cluster vier Hotels weiter nicht wochenlang bleiben müssen.

Der erwartet große Tourismus-Rückgang

Und der Tourismus hat es coronabedingt ohnehin schwer. Die Zahlen für Juni sind desaströs ausgefallen. Im Vergleich zum Vorjahr gab es im vergangenen Monat einen Rückgang von 59 Prozent bei den Nächtigungen. Die Zahl der ausländischen Touristen brach um mehr als 75 Prozent ein, doch die Statistik Austria verzeichnet auch einen Rückgang von Gästen aus Österreich um ein Viertel.

Wie die Auswertung nach Bundesländern zeigte, sind aber nicht alle Regionen gleichermaßen betroffen. In Kärnten etwa sind die Übernachtungen von Inländern stabil geblieben und fast nur die Gäste aus dem Ausland ausgeblieben. Während in der Wien das Minus auch bei Inlandstouristen beträchtlich war und mit den fast zur Gänze ausgebliebenen Gästen aus dem Ausland insgesamt ein Minus von 88 Prozent verzeichnet wurde, sind vor allem die Seeregionen gut gebucht gewesen. Neben Kärnten auch das Salzkammergut.

"Hätten Sie mich vor zwei Monaten gefragt, hätte ich gesagt, es ist nicht möglich, die ausländischen Gäste zu ersetzen", sagt Hans Wieser, Chef des Tourismusverbandes Wolfgangsee. Zwei Drittel der Touristen reisen normal aus dem Ausland an. Heuer kommen etwa zwei Drittel aus Österreich, die Buchungslage am Wolfgangsee ist insgesamt sogar sehr gut, wie Wieser bestätigt. Das war es zumindest bis zum Wochenende so. Erste Stornierungen trudelten am Sonntag ein. Kann man das Infektionsgeschehen einfangen, könnte es bei einigen wenigen bleiben.