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Der Sozialstaat kann es richten

Von Martina Madner

Politik
Wifo-Studien zeigen, dass Wert sozialstaatlicher Leistungen - wie zum Beispiel eine kostenlose Schule - bei 60 Prozent der Familien höher ist als ihr Einkommen.
© Unsplash/Sandy Millar

Die Coronakrise hat Stärken und Schwächen des Sozialstaats aufgezeigt: Wo Reformen ansetzen müssten - eine Analyse.


Die Coronakrise trifft alle, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß. Neben dem Gesundheitszustand erwiesen sich auch die sozialen Voraussetzungen, die Familienkonstellation, der finanzielle Hintergrund, die Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit als wichtige Kriterien, wie Menschen in Österreich die Krise er- und überleben.

Ein Sozialstaat kann Menschen gegen individuelle Risiken absichern und ererbte Defizite ausgleichen. Die Pandemie stellte ihn als Extremsituation auf die Probe, wirkte wie ein Vergrößerungsglas - und zeigte Schwächen wie Stärken des österreichischen Sozialsystems auf.

Gegenseitiges Unterstützen

Frauen, insbesondere Alleinerzieherinnen; Menschen, die von Armut betroffen sind; solche mit prekär bezahlter, unsicherer oder keiner Arbeit waren in größerem Ausmaß vom plötzlichen pandemiebedingten Aussetzen sozialstaatlicher Leistungen betroffen. Kinderbetreuung, Schule und kostengünstiges Essen in solchen, vorübergehend eingeschränkte Sozialmärkte, Unterstützung bei der Betreuung von Menschen mit Behinderung oder pflegebedürftiger, älterer Menschen - all das, was sonst im solidarischen Miteinander kostengünstig oder kostenlos zur Verfügung steht, zeigte die Abhängigkeit vieler vom Sozialstaat auf. Dazu kam, dass auch weniger begüterte Familien plötzlich IT-Equipement fürs Homeschooling benötigten, und der Staat die Finanzierung desselben bislang als private, individuelle Aufgabe der Familien selbst betrachtete.

Zwar versuchten Freiwillige mit enormen Engagement dort wo es möglich war, beim Einkaufen für Ältere beispielsweise, in ihrem Umfeld am sozialen Netz zu knüpfen. Die Pandemie zeigt aber zugleich wieder einmal auf, dass privat organisierte soziale Netzwerke oft sehr brüchig und durchlässig sind und eine Professionalisierung dieser Bereiche den Betroffenen zu gute kommt. Die 24-Stunden-Betreuung, bei der sich der Staat weitgehend auf private Organisation verlässt, ist ein gutes Beispiel dafür, dass in solchen Bereichen Probleme entstehen, die dann nur mit hohem, auch finanziellen Aufwand - Stichwort: Flüge finanzieren -, abzumildern sind.

Ab- und versichern

Die Pandemie zeigte auch die Bedeutung von solidarisch organisierten Versicherungsleistungen auf: Zum Beispiel lohnt sich ein Gesundheitssystem, in dem die Leistungen nicht privat bezahlt von privaten Trägern eingekauft werden müssen, sondern über eine Versicherung aller solidarisch organisiert ist. Im Gegensatz dazu hat beispielsweise in Italien die Auslagerung von Spitälern in die Hände privater Träger dazu beigetragen, weil solche gewinnorientiert agieren, wenig lukrative Intensivbetten zu reduzieren.

Auch der bezahlte Krankenstand offenbarte in der Krise seinen gesellschaftlichen Wert: Da braucht es nicht einmal den Blick in die USA, wo 25 Millionen Menschen keine Krankenversicherung haben. Politisch Verantwortliche könnten ihren Blick auf schlecht abgesicherte und prekäre Arbeit wie in der Erntehilfe, in Schlachthöfen oder der Logistik lenken. Da ist die Neigung, krank arbeiten zu gehen weit größer als in Bereichen, wo krank sein nicht zugleich der Verlust des Einkommens oder der Arbeit bedeutet.

Die Coronakrise unterstrich somit auch die Bedeutung einer Arbeitslosenversicherung genauso wie der Sozialpartnerschaft, die mit der Erweiterung des Kurzarbeitsarbeitsmodell Arbeitsplatzverlusten vorbeugt. Das Arbeitslosengeld beugt nicht nur Armut vor, ausreichend Zeit und genug Geld während der Suche nach dem bestmöglichen Arbeitsplatz schafft auch ein kleines Gegengewicht zu Unternehmen, die Jobs mit schlechten Arbeitsbedingungen und Dumpinglöhnen bieten.

Zugleich offenbarte sich eine systemische Lücke: Unselbstständige Vollzeitbeschäftigung gilt auch 2020 immer noch als Norm. Den vielen Einzelselbstständigen aber fehlt ein ähnliches Sicherungsnetz zur Überbrückung von Auftragseinbrüchen. Der Staat baute auf eine freiwillige Arbeitslosenversicherung, das Modell ist aber so unattraktiv, dass es wenige machen. Rutschen sie in Sozialhilfe oder Mindestsicherung als letztem Auffangnetz, trägt die Kosten erst recht wieder die Allgemeinheit.

Sozialstaat minimiert Kosten

Was die politisch Verantwortlichen bislang noch kaum auf der Agenda haben, ist, dass sozialstaatliche Leistungen nicht nur Geld kosten, sie minimieren auch solche - und zwar in mehrfacher Hinsicht. Jeder von klein an in Bildung, Gesundheit und soziale Beteiligung investierte Euro rechnet sich später: Jeder in frühkindliche Entwicklung investierte Euro spart das 16-Fache an Kosten, die die Gesellschaft später für von Armut Betroffene ausgeben hätte müssen. Kinder, die in von Armut betroffene Familien hineingeboren wurden, haben so Chancen auf ein anderes Leben als ihre Eltern. Umgekehrt rächt es sich, die Armut von Menschen, wie mit der Sozialhilfe neu, zu verfestigen.

Außerdem ist der Sozialstaat mit seinen sozialen Dienstleistungen, der Pflege und Betreuung, Bildung, Sozialarbeit und anderem mehr ein staatlich über Förderungen und Investitionen steuerbarer Job- und Steuermotor. Mit einem Gemeindezentrum, in dem es Tagesbetreuung für Senioren und ein Lerncafé für Schulkinder gibt, kann man regionale Arbeitsplätze schaffen. Die wird es auf dem langen Weg aus den wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise brauchen, genauso wie Menschen, die wegen solcher Jobs mehr Konsum- und Einkommensteuern bezahlen können.

Der Essay ist im Zuge der Diskussion "Mit dem Sozialstaat aus der Krise" im Rahmen der Reihe "Offensive-Arbeitsmarkt" entstanden. Die Runde mit Matthias Schnetzer (AK Wien), Christine Mayrhuber (WIFO), Sven Hergovich (Landesgeschäftsführer AMS Niederösterreich) und Martina Madner ("Wiener Zeitung") kann auf der Homepage der Arbeiterkammer nachgesehen werden.