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Was Kurz und Anschober trennt

Von Karl Ettinger

Politik

Das Verhältnis zwischen Bundeskanzler und Gesundheitsminister gilt trotz Sticheleien als gut. Die größte Kluft tut sich beim sozialen Verständnis auf. Eine Analyse.


Es war bei einem Wiener Heurigen. Nach dem ersten Ministerrat nach der Sommerpause zu Mittag trafen Bundeskanzler ÖVP-Obmann Sebastian Kurz und Vizekanzler Grünen-Chef Werner Kogler am Mittwochabend auch zu einem Vieraugengespräch in entspannter Lokalatmosphäre zusammen. Bei dem geselligen Stelldichein drehte sich die Unterhaltung allerdings auch um ein ernstes Thema: die Herbstarbeit der türkis-grünen Bundesregierung vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen und sozialen Nachwirkungen des Corona-Lockdowns im heurigen Frühjahr und des anhaltenden Risikos von Corona-Infektionen.

Bundeskanzler und Vizekanzler hatten zuvor schon nach der Regierungssitzung vor Journalisten härtere Auseinandersetzungen im Vorfeld des Ministerrates zwischen ÖVP und Grünen lächelnd einhellig in Abrede gestellt. Tatsächlich hatte die ÖVP vor dem erstmaligen Freischalten der Corona-Ampel am Freitag strengere Auflagen zur Eindämmung des Corona-Risikos im Auge - wie sie Kurz bereits zu Wochenbeginn im ORF-Sommergespräch signalisiert hatte. Davon blieb dann die Androhung von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), bei den Kontrollen zur Einhaltung von Personen in Quarantäne schärfer vorzugehen. Die Grünen mit dem zuständigen Gesundheitsminister Rudolf Anschober traten für den sanfteren Weg ein, letztlich kam es zur "dringenden Empfehlung" der türkis-grünen Bundesregierung, bei privaten Feiern eine Höchstgrenze von 25 Personen einzuhalten.

In ausführlichen, regierungsinternen Beratungen am Dienstagabend waren ÖVP und Grüne wegen des Kurses, wie aus Koalitionskreisen zu erfahren war, schon heftiger aneinandergeraten. Insgesamt wurde die Stimmung bei dieser Vorbesprechung für den Ministerrat aber als konstruktiv geschildert. Das überdeckt allerdings nicht, dass es in den vergangenen Monaten während der Bewältigung der Corona-Pandemie vor allem zwischen dem Regierungschef und dem zuständigen Gesundheitsminister zu so mancher auch öffentlich ausgetragenen Stichelei gekommen ist. Anschober hat zwar aus Oberösterreich zwölf Jahre Erfahrung mit einer ÖVP-Grünen-Regierung voraus. Dabei war jedoch die Rollenverteilung anders: Dort war Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP) eine Art väterlicher Mentor. In der Bundesregierung ist hingegen Anschober ein Vierteljahrhundert älter als Regierungschef Kurz.

Nicht mehr gekünstelt harmonisch

Dabei wird das Verhältnis der beiden Politiker als gut beschrieben. Freundschaftlich sei es aber keinesfalls, wird von anderer regierungsinterner Seite allerdings angemerkt. Gesundheitsminister Anschober ist wegen der Corona-Pandemie nicht nur ständig ins Scheinwerferlicht gerückt worden, sondern hat sich bei Sympathieumfragen an den – hinter Bundespräsident Alexander van der Bellen liegenden – Regierungschef Kurz herangepirscht. Für die ÖVP war das vor allem im Vergleich zur früheren ÖVP-FPÖ-Bundesregierung neu und ungewohnt. Während unter Türkis-Blau nach außen hin Dauer-Honeymoon mit Kurz unangefochten an der Spitze von Umfragen herrschte, geht es mit den Grünen als derzeitigem ÖVP-Koalitionspartner schon härter zur Sache. Beispiele in der jüngeren Vergangenheit waren die von ÖVP abgeblockte Aufnahme von hundert Flüchtlingskindern aus Griechenland oder die von den Grünen letztlich durchgeboxte Einmalzahlung von Arbeitslosengeld.

Was Kurz wie Anschober eint und attestiert wird, ist bei jedem auf seine Art ein gutes Gespür für die Stimmung in der Bevölkerung. Was Kurz und Anschober trennt, wurde seit dem Amtsantritt am Beginn dieses Jahres ebenfalls immer deutlicher: Anschober sind Empathie und ein Wir-Gefühl wichtig, das Verhalten der Österreicher während der Corona-Krise hat er in seiner Erklärung am Dienstag nicht zufällig als "Sternstunde des Miteinanders" gelobt. Kurz spricht zwar in Flüchtlingsfragen viele Österreicher an, eine gewisse soziale Kälte gilt aber nach wie vor als seine politische Achillesferse, auch wenn er etwa außertourliche Pensionserhöhungen für Bezieher niedriger Pensionen befürwortet. Was auch zu Reibungen führt, ist der Umstand, dass es Kurz als lange Zeit unumschränkter Chef im politischen Ring, der alles unter Kontrolle hat, nicht gewöhnt ist, wenn nicht sofort nach seiner Pfeife getanzt wird.

Differenzen öffentlich ausgetragen

Deswegen hat der Bundeskanzler den Gesundheitsminister manchmal auch öffentlich unter Druck gesetzt. Am augenscheinlichsten war das im Frühjahr am Höhepunkt der Corona-Krise. Während der grüne Gesundheitsminister auf eine differenzierte Teststrategie setzte und setzt, gab Kurz in einer Pressekonferenz neben Anschober stehend die Parole "testen, testen, testen" aus und kündigte 15.000 Tests an, die noch immer nicht erreicht sind. Ähnliches spielte sich im Juli ab. Da stellte der Regierungschef für den Sommerministerrat am 29. Juli Klärungen zur Corona-Ampel in Aussicht. Gesundheitsminister Anschober konnte mit Ausnahme der Ampelfarben Grün, Gelb, Orange und Rot aber nur auf einen Probebetrieb ab August verweisen. Die letzten Details werden mit den Bundesländern erst jetzt vor dem offiziellen Start der Ampel am morgigen Freitag abgeklärt. Für subtile, öffentlich ausgetragene Sticheleien zwischen Bundeskanzler und dem Gesundheitsminister sorgte darüber hinaus das Kippen von Corona-Verordnungen aus dem Gesundheitsressort, die letztlich vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben worden sind.

Dafür preschte Anschober bei seiner Erklärung zur Bewältigung der Corona-Epidemie im Herbst und Winter überraschend mit der Hoffnung vor, dass im Jänner 2021 Corona-Impfungen für 300.000 Österreicher möglich sein könnten. Auch wenn Experten diesbezüglich sofort Zweifel anmeldeten, so war die Aussicht auf eine Impfung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie für die Bevölkerung wesentlich konkreter als die Aussage in der Kurz-Erklärung vom vergangenen Freitag, dass für den kommenden Sommer "Licht am Ende des Tunnels" in der Corona-Krise zu sehen sei.

Trotz der offensichtlichen Unterschiede zwischen dem international gut vernetzten Kurz, der die Regierungsarbeit mit viel Strategie betreibt, und dem hemdsärmelig auftretenden Kogler, der seine Stärken bei Wirtschaft und Finanzen sieht, funktioniert dieses Zusammenspiel an der Regierungsspitze auch menschlich eindeutig besser als zwischen Kurz und Anschober. Das zeigt sich auch darin, dass sich Kanzler und Vizekanzler regelmäßig bei Mittagessen über die allgemeine Situation austauschen.