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Der Schwund freier Böden macht krank

Von Petra Tempfer

Politik
Ist ein Boden einmal zerstört, kann er in seiner Komplexität nicht synthetisch wieder hergestellt werden.
© Getty Images

Österreich verbaut fünfmal mehr Boden, als für 2010 als Zielwert festgelegt war. Hitze und Lärm belasten die Menschen.


Ohne Boden kein Leben auf dem Festland. Er ist Wasserspeicher, Schadstofffilter, Nahrungs- und Futtermittellieferant. Ist er einmal zerstört, kann er in seiner Komplexität nicht synthetisch wieder hergestellt werden - und dennoch sei die Wichtigkeit des Bodenschutzes noch nicht in der Gesellschaft angekommen, sagte der Umweltmediziner Hans-Peter Hutter von der MedUni Wien: Am Montag präsentierte er einen Bericht zu den steigenden negativen Auswirkungen des Bodenverbrauchs auf die Gesundheit und Lebensqualität der Menschen, den er im Auftrag des WWF erstellt hatte.

In 200 Jahren keine Agrarflächen mehr

Konkret werden laut Umweltbundesamt 13 Hektar Boden pro Tag verbaut - das entspricht etwa 18 Fußballfeldern. Allen voran sind das Industriehallen, Einkaufszentren und Siedlungen, gefolgt von Straßen und Parkplätzen, die den Boden darunter begraben. Wasser und Kohlendioxid kann dieser dann nicht mehr speichern. Allein die von der Bahn beanspruchten Flächen schrumpfen. Damit liegt Österreich EU-weit im Spitzenfeld und übersteigt den von der Regierung in der Nachhaltigkeitsstrategie verankerten Zielwert von 2,5 Hektar Bodenverbrauch pro Tag um das Fünffache -der Strategie zufolge hätte das Ziel schon 2010 erreicht sein sollen. Im Regierungsprogramm 2020 bis 2024 ist nun erneut verankert, dass der Bodenverbrauch bis 2030 auf 2,5 Hektar pro Tag limitiert werden soll. In den vergangenen 20 Jahren ist die verbaute Fläche um 26 Prozent gewachsen, die Bevölkerung um nur neun Prozent. Laut Hagelversicherung wird es bei gleichbleibendem Bodenverbrauch in 200 Jahren keine Agrarflächen mehr geben.

Es sind vor allem Faktoren wie Hitze und Lärm, die den Menschen dadurch laut Hutter zusetzen, aber auch Naturgefahren wie Hochwasser oder Muren gewinnen an Relevanz. "In den Straßenschluchten der Städte bleibt die heiße Luft stehen", sagte Hutter. Das habe mehr Hitzetage (Tageshöchsttemperatur erreicht 30 Grad Celsius) und Tropennächte (niedrigste Temperatur fällt nicht unter 20 Grad Celsius) zur Folge. "Das ist eine große Belastung für den menschlichen Organismus", so Hutter. Vor allem chronische Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen können zunehmen. In Kombination mit dem Klimawandel und aufgrund des wachsenden Anteils der Älteren könnte es künftig mehr Hitzetote geben.

39 Prozent fühlen sich durch Lärm gestört

Durch nackte Häuserfronten und viel Asphalt wird aber auch mehr Schall reflektiert. Der vergangenen Mikrozensus-Umfrage der Statistik Austria zum Thema Lärmbelästigung zufolge fühlen sich schon jetzt rund 39 Prozent der Österreicher in ihrer Wohnung durch Lärm gestört. Der Verkehr stellt als Ursache für die Lärmstörung mit 64,2 Prozent die größte Lärmquelle dar. "Lärm kann zur chronischen Belastung werden", sagte Hutter. Denn Dauerlärm bedeutet Dauerstress. Werden die Hormone Cortisol und Adrenalin durch eine ständige Geräuschbelastung vermehrt ausgeschüttet, können sich diese auch auf physiologischer Ebene auswirken: Als Folgeerscheinungen sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen möglich.

Der WWF hat daher die Online-Petition "Natur statt Beton. Stoppt die Verbauung Österreichs!" gestartet und richtet sich mit konkreten Forderungen an die Politik. "Gemeinden, Länder und Bund sollen ein Maßnahmenpaket vereinbaren, das den Bodenverbrauch bis 2030 auf einen Hektar pro Tag reduziert", sagte Hanna Simons vom WWF Österreich. Auf dem Weg dorthin sollten zum Beispiel umweltschädliche Subventionen abgeschafft werden. "In Österreich gibt es leerstehende Industriebrachen in der Größe von Wien", so Simons. Für deren Revitalisierung sollte es steuerliche Anreize geben.

Thema im Wien-Wahlkampf

Genauso sollten Einfamilienhäuser und Wohnungen in der Nähe öffentlicher Verkehrsmittel durch Fördermittel billiger werden - um dem voranschreitenden Straßenbau entgegenzuwirken. Nach der Petition will man "so bald wie möglich" an die politisch Verantwortlichen wie Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) herantreten.

Vonseiten der Politik haben sich die Wiener Grünen im Zuge des Wahlkampfs - Wien wählt am 11. Oktober einen neuen Gemeinderat und Landtag - für "Coole Straßen" starkgemacht: Straßen mit Baumpflanzungen, hellerem Asphalt und Schatten- oder Wasserelementen gegen die Hitze. Die nur in Neubau antretende Partei Wandel und die Wiener Neos hatten indes die Idee, unterirdisch verlaufende, fließende Gewässer wie den Alsbach oder den Brigittenauer Bach für eine nachhaltige Kühlung wieder freizulegen.

Die ehemalige Umwelt- und jetzige Landwirtschaftsministerin Köstinger hatte sich bereits im Vorjahr im Zuge einer parlamentarischen Anfragebeantwortung dafür ausgesprochen, mit den Ländern zusammenzuarbeiten, um die Bodenverbauung zu reduzieren.