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Bestimmt sterben

Von Petra Tempfer

Sterbehilfe
Agiert man beim Verlangen nach aktiver Sterbehilfe oder der Mitwirkung am Suizid selbstbestimmt? Diese Frage beschäftigt auch Ethiker.
© adobe.stock/Kwerfeldt

Der Verfassungsgerichtshof berät über das Verbot der aktiven Sterbehilfe und der Mitwirkung am Suizid. Das Thema polarisiert.


Es gibt kein festgeschriebenes Ende: Das Theaterstück "Gott" von Ferdinand von Schirach lässt die Zuseher abstimmen, ob dem gesunden, 78-jährigen Richard Gärtner, der nach dem Tod seiner Frau nicht mehr weiterleben möchte, das tödliche Medikament verabreicht werden soll, nach dem er verlangt. Das Stück wurde soeben in Berlin uraufgeführt, soll im November von der ARD ausgestrahlt werden - und könnte aktueller nicht sein: In Österreich berät der Verfassungsgerichtshof (VfGH) ab 21. September über das gültige Verbot der aktiven Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen) sowie der Mitwirkung am Suizid. Eine öffentliche, mündliche Verhandlung dazu ist für 24. September anberaumt. Der Fall war bereits im Juni Gegenstand von Beratungen des VfGH.

Vier Antragsteller, darunter zwei Schwerkranke, halten das Verbot, das nach Paragraf 77 und 78 des Strafgesetzbuches (StGB) mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren zu bestrafen ist, für verfassungswidrig und haben die Aufhebung der zwei Bestimmungen verlangt. Die Antragsteller argumentieren, dass durch die Rechtslage leidende Menschen gezwungen werden, entwürdigende Verhältnisse zu erdulden oder Sterbehilfe im Ausland in Anspruch zu nehmen - unter Strafandrohung für Helfer.

Erst im Februar dieses Jahres hat das deutsche Bundesverfassungsgericht das Verbot einer "geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" aufgehoben. Beihilfe zum Suizid oder Tötung auf Verlangen sind nur in wenigen Ländern erlaubt, konkret in der Schweiz, den Niederlanden, Luxemburg, Belgien, Kanada, einigen Bundesstaaten der USA und Australiens, Kolumbien und eben seit kurzem geschäftsmäßig in Deutschland.

"Für humanes Lebensende"

Das Thema polarisiert. Allen voran versucht in Österreich die "Österreichische Gesellschaft für ein humanes Lebensende" (ÖGHL) ebenfalls, das Verbot zu kippen. Die ÖGHL war es auch, die die Antragsteller bei ihrem Individualantrag vor dem VfGH unterstützte: drei selbst betroffene Menschen und ein Arzt, alle vier vertreten durch den Wiener Anwalt Wolfram Proksch, der ÖGHL-Mitglied ist. Die Antragsteller sind konkret ein Patient mit Multipler Sklerose, der rund um die Uhr betreut werden muss, sowie ein Parkinson-Patient. Weiters ein Mann, der seiner krebskranken Frau eine Waffe beschafft, ihr somit beim Suizid geholfen hatte und strafrechtlich zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt worden ist. Der vierte Antragsteller ist ein Arzt, der laut Proksch sterbewillige Menschen bei der eigenen Beendigung ihres Lebens unterstützen möchte.

Hilfsweise wurde auch eine Vorlage der Sache an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens angeregt, sagt Proksch zur "Wiener Zeitung". Denn die Rechte, um die es gehe und die sich aus der EU-Grundrechtecharta sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention ergäben, seien durch den EuGH geschützt. Abhängig von der VfGH-Entscheidung würde Proksch auch weiter zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gehen.

Die ÖGHL versucht, eine Liberalisierung der Sterbehilfe in Österreich durchzusetzen, und engagiert sich nicht nur für einen Rechtsanspruch auf die Ausgabe geeigneter Medikamente, sondern auch auf aktive Sterbehilfe. Sie plädiert für "mehr Selbstbestimmung am Lebensende" - und beklagt, dass hier "sogar die Reisebegleitung eines schwerkranken Suizidwilligen in ein Land, in dem aktive Sterbehilfe erlaubt ist, unter Strafe" stehe.

Eine von dem Abgeordneten Michael Bernhard (Neos) unterstützte Petition der ÖGHL ("Selbstbestimmtes Sterben in Würde") liegt gerade im Petitionsausschuss des Nationalrats. Auch Tirols SPÖ-Chef Georg Dornauer macht Druck auf die Bundespartei. Er sei ein Befürworter der Petition, sagte er.

Politik gegen aktive Sterbehilfe

Ein Rundruf bei den Parlamentsparteien zeigt allerdings: Die Gesundheitssprecher von ÖVP, SPÖ, FPÖ und Neos sprechen sich klar gegen die Aufhebung des Verbots der aktiven Sterbehilfe aus, die Grünen wollen - was die juristische Frage betrifft - das VfGH-Urteil abwarten. Vor einigen Jahren wollte die ÖVP das Verbot sogar in der Verfassung verankern, konnte die dafür nötige Zweidrittelmehrheit jedoch nie erreichen.

Was die Mitwirkung am Suizid betrifft, sind die Antworten weniger deutlich. Allein die SPÖ und Neos plädieren dezidiert dafür, Paragraf 78 im StGB zu überprüfen respektive abzuändern. Es könnte dann von einer Strafbarkeit abgesehen werden, "wenn eine unheilbar schwere Krankheit vorliegt und sich für den Betroffenen daraus ein schwerer Leidensdruck ergibt", heißt es etwa von der SPÖ. Auch für Neos-Gesundheitssprecher Gerald Loacker sollte die Möglichkeit des assistierten Suizids unter klaren Bedingungen eröffnet werden.

Allem voran steht aber allen Parlamentsparteien zufolge der Ausbau der stationären Hospize und der Palliativmedizin mit dem Ziel, die Lebensqualität bis zum Tod möglichst gut zu erhalten. "Die Palliativmedizin bietet eine gute Begleitung, die weiter ausgebaut gehört", sagt FPÖ-Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak.

Mehr Geld für Palliativmedizin

Es gehe um die psychotherapeutische Betreuung nicht nur der Betroffenen, sondern auch deren Angehöriger, ergänzt Ralph Schallmeiner, Gesundheitssprecher der Grünen. Der Wunsch, Suizid zu begehen, solle nicht "aus einem falschen Druck heraus" entstehen. Dafür müsse man freilich die Versorgung psychischer Erkrankungen auch generell verbessern - im Moment ist es so, dass es für diese nur begrenzte Kassenleistungen gibt.

Bereits 2014 hatte die Regierung eine Enquete zum Thema Würde am Ende des Lebens initiiert und sich auf den Ausbau der Hospizeinrichtungen und Palliativmedizin geeinigt. Dieser Empfehlung folgend, stehen nun seit 2017 jährlich zusätzlich 18 Millionen Euro dafür zur Verfügung, die zu je einem Drittel von Bund, Ländern und Sozialversicherung in den Pflegefonds fließen. "Sind diese Mittel ausreichend? Sind sie überhaupt abgeholt worden? Diese Fragen müssen wir jetzt klären", so Schallmeiner.

Die Diskussion um eine Liberalisierung der Judikatur wurde im Zuge der Enquete nicht geführt und flammte erst danach auf. So empfahlen 16 der 25 Mitglieder der Bioethikkommission des Bundeskanzleramtes, die Mitwirkung am Suizid zu "überdenken". Laut diesem Votum sei es "angebracht, für Angehörige und persönlich nahestehende Personen eine Straflosigkeit vorzusehen, wenn sie einer an einer unheilbaren, zum Tode führenden Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung leidenden Person beim Suizid Hilfe leisten, sofern die Beweggründe der Hilfe auch für einen mit den rechtlich geschützten verbundenen Werten verbundenen Menschen verständlich ist".

"Gute und schlechte Suizide"

Acht Mitglieder sahen eine solche mögliche Regelung allerdings problematisch und empfahlen keine Änderung im Strafrecht. Auch die Wiener Ethikerin Susanne Kummer hält "die Doppelmoral für fragwürdig, wonach es im Falle einer Legalisierung akzeptierte, ,gute‘ Suizide geben wird, andere Suizide hingegen als ,schlecht‘ angesehen werden. Als ,selbstbestimmt‘ und ,gut‘ gilt, wenn jemand eine Kooperation zum Suizid oder aktive Sterbehilfe verlangt", sagt Kummer.

"Warum ist dann jemand, der sich von einer Brücke stürzt, nicht auch selbstbestimmt? Das widerspricht jedem vernünftigen Gedanken von Suizidprävention." Menschen mit Suizidwünschen steckten vielmehr in einer Sackgasse tiefer Isolation und Hoffnungslosigkeit, oft lägen dahinter psychische Erkrankungen - der Grad der Selbstbestimmung sei dadurch in jedem Fall fraglich. Studien hätten zudem gezeigt, dass die Suizidraten insgesamt in jenen Ländern steigen, in denen Kooperationen bei Suizidwünschen legalisiert wurden.

Mord statt Sterbehilfe

Auch die Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, die Ärztekammer, der Behindertenrat sowie der Katholische Familienverband Österreich und die Ordensgemeinschaften Österreich treten gegen jede Änderung der derzeitigen Gesetzeslage zur Sterbehilfe ein.

Zuletzt sorgte 2019 ein Fall für Aufsehen, bei dem eine alkoholisierte Frau im Spital lebenserhaltende Schläuche von ihrem Partner, der im Sterben lag, entfernt hatte. Sie wurde wegen Mordes schuldig gesprochen und zu drei Jahren Haft, ein Jahr davon unbedingt, verurteilt (nicht rechtskräftig). Das Schwurgericht machte von der in Ausnahmefällen vorgesehenen außerordentlichen Strafmilderung Gebrauch - der Version der Angeklagten, die sich mit Tötung auf Verlangen verantwortet hatte, schenkte es allerdings keinen Glauben.

Mit einem Freispruch hat indes 2007 der Prozess gegen einen 56-jährigen Kärntner geendet, dem die Staatsanwaltschaft vorgeworfen hatte, am Suizid seiner an Muskelschwund leidenden Ehefrau mitgewirkt zu haben: Er hatte sie auf deren Wunsch in die Schweiz begleitet und war dabei, als sie im Euthanasie-Institut starb. Der Schöffensenat erkannte den Mann "in seinem Schuldverhalten entschuldigt".

Aktive Sterbehilfe: (§ 77 StGB Tötung auf Verlangen) Ein außenstehender Dritter verabreicht einer Person auf deren Verlangen hin ein Mittel, das den Tod gezielt herbeiführt. In Österreich wird das mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Mitwirkung am Suizid: (§ 78 StGB Mitwirkung am Selbstmord) Beim sogenannten assistierten Suizid stellt ein außenstehender Dritter ein tödliches Mittel zur Verfügung, das die Person, die ihr Leben beenden möchte, selbst einnimmt. In Österreich wird das mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Passive Sterbehilfe: Das medizinisch begleitete Sterbenlassen bedeutet, lebensverlängernde Maßnahmen entsprechend dem Patientenwillen abzubrechen oder zu unterlassen, wobei dem natürlichen Sterbeprozess sein Lauf gelassen wird. Grundlage dieser Entscheidung ist, dass jede weitere Therapie sinnlos und der Tod nicht mehr aufzuhalten ist. Dieser Behandlungsverzicht oder -abbruch ist keine direkte Tötung und in Österreich erlaubt.

Mittels Patientenverfügung kann man für den Fall des Verlusts von Entscheidungs- oder Äußerungsfähigkeit medizinische Behandlungen im Vorhinein ablehnen. Eine Patientenverfügung, für die ärztliche Aufklärung erforderlich ist, ist acht Jahre lang gültig und kann danach verlängert werden.

Mit einer Vorsorgevollmacht kann man jemanden beauftragen, in seinem Namen zu handeln und Entscheidungen zu treffen, wenn man selbst nicht mehr dazu in der Lage ist. Die Vollmacht wird erst im sogenannten Vorsorgefall wirksam, also wenn die betroffene Person für die von der Vollmacht umfassten Angelegenheiten nicht mehr entscheidungsfähig ist. Sie ist unbefristet gültig und kann jederzeit geändert oder gekündigt werden.