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Was bei Türkis-Grün liegen bleibt

Von Florentina Höhs

Politik

Die Corona-Krise hat das geplante Regierungsprogramm über den Haufen geworfen. Ein Einblick in die ursprünglichen Pläne der türkis-grünen Regierung.


Ein grünes Herzensprojekt ist am Freitag der Realisierung nähergerückt. Im ersten Halbjahr 2021 soll mit der dritten Tarifstufe des 1-2-3-Tickets gestartet werden. Der Bund übernimmt 100 Prozent der Finanzierung, den Ländern entstehen damit keine Kosten. "Alle profitieren von dem günstigen Ticket", stellte Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) bei einem Hintergrundgespräch am Freitag fest. Zur Kompensation der Einnahmenverluste der Verkehrsverbunde und Verkehrsbetriebe stehen 2021 aus dem Bundesbudget 95 Millionen Euro und 150 Millionen im Jahr 2022 zur Verfügung. Gestartet werden soll mit dem drei Euro Ticket pro Tag für österreichweite Fahrten, bundeslandweiten Öffi-Tickets um einen Euro beziehungsweise länderübergreifende Tickets um zwei Euro pro Tag sollen folgen.

Zwischen Bund und Ländern war es zuvor zu Auseinandersetzungen bezüglich der Finanzierung des Tickets gekommen und das Projekt drohte zu platzen. Das 1-2-3-Ticket ist also auf Schiene, anders als so manches andere Vorhaben der Regierung.

Zentrale Punkte des Regierungsprogramms

Neun Monate ist das Regierungsprogramm mittlerweile alt. Umgesetzt wurde davon bisher eher wenig. Die Corona-Krise zwang die Regierung dazu, andere Prioritäten zu setzen. Aber was war eigentlich geplant für die Regierungsperiode 2020-2024?

"Das Beste aus beiden Welten" versprach Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei der Präsentation mit Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) Anfang Jänner 2020. Der Kompromiss der beiden Parteien enthielt schlussendlich als zentrale Punkte Migration, Entlastung der Steuerzahler, Klimaneutralität Österreichs bis 2040, mehr Transparenz und eine Pflegereform.

Details wurdenin Angriff genommen

Zu Beginn der Corona-Pandemie hieß es noch, das Regierungsprogramm bleibe aufrecht, aber davon ist heute keine Rede mehr. Bisher wurden nur erste Punkte in Angriff genommen.

Die wirtschaftliche Entlastung hätte folgendermaßen aussehen sollen: Senkung der ersten drei Steuerstufen von 25 auf 20 Prozent, von 35 auf 30 Prozent und von 42 auf 40 Prozent, Senkung der Körperschaftssteuer von 25 auf 21 Prozent, Erhöhung des Familienbonus pro Kind von 250 auf 350 Euro. Immerhin: Der Eingangssteuersatz wurde rückwirkend ab Jänner gesenkt, der Familienbonus wurde erhöht.

Allerdings ist schon jetzt sicher, dass das versprochene Nulldefizit aufgrund der Corona-Hilfsmaßnahmen und des Wirtschaftseinbruchs nicht gehalten werden kann.

Ein weiterer Punkt des Regierungsprogramms ist die Migration. Dazugehörig der Schutz der EU-Außengrenzen, der Kampf gegen das Schlepperwesen, ein schnellerer Abschluss von Asylverfahren, vermehrte Deutschförderung, ein Kopftuchverbot in Schulen bis 14 Jahre sowie die umstrittene Sicherungshaft. Die Flüchtlingssituation in Moria zeigte einmal mehr die tiefen Gräben zwischen den Koalitionspartnern in der Migrationsfrage. Der Schutz der EU-Außengrenzen ist aber auch Teil des diese Woche von EU-Kommissarin Ursula von der Leyen präsentierten EU-Asyl-Pakts. Eine Realisierung der Vorhaben hängt von der Einigung auf EU-Ebene ab. Bisher nicht umgesetzt wurde das Kopftuchverbot bis 14.

Mammutprojekt Klimaschutzauf dem Weg

Im Umweltteil lässt sich die grüne Handschrift erkennen. Als Ziel wurde festgelegt: Österreich soll bis 2040 klimaneutral sein. Dafür hat sich die Regierung neben der Einführung des 1-2-3-Tickets, das ja auf den Weg gebracht wurde, eine einheitliche Abgabe auf Flugtickets von 12 Euro, Pfand auf Plastikflaschen und eine 100 Prozent klimaneutrale Stromproduktion bis 2030 vorgenommen. Die Flugticketabgabe ist angesichts des Zusammenbruchs des Flugverkehrs gerade kein Thema. Umso heftiger werden die Debatten um Plastikmüllvermeidung geführt. Und das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) ist vergangene Woche in Begutachtung gegangen - ein zentraler Baustein zur Klimastrategie.

Ein gern verwendetes Stichwort im Regierungsprogramm ist Transparenz. Diese sollte durch die Abschaffung des Amtsgeheimnisses, sowie einer Gesetzesinitiative gegen Hass im Netz verankert werden. Das Hass-im-Netz-Gesetzespaket befindet sich nach mehreren Verhandlungsrunden derzeit in Begutachtung. Das Amtsgeheimnis ist zwar immer wieder Thema, scheint aber noch am Widerstand der Länder zu scheitern.

Im Sozialbereich wurde eine umfassende Pflegereform angesetzt. Die Pflegefrage soll durch eine Personaloffensive, Erhöhung des Pflegegeldes und Ausbau der Tagesbetreuungsstätten gelöst werden. Die Notwendigkeit einer Pflegereform hat sich während der Corona-Krise gezeigt. Davon umgesetzt wurde bisher die fünfjährige Pflegeschule mit Matura als Schulversuch. Zwei Schulen - in Gaming und Wien - gibt es bereits.

Einreihen in die Liste der umgesetzten Projekte der türkis-grünen Regierung können sich die Typenentscheidung für die Anschaffung der neuen Bundesheerhubschrauber sowie die von der türkis-blauen Regierung übrig gebliebene Personaloffensive der Polizei. 1.600 zusätzliche Posten wurden bisher geschaffen.

Mögliche Neuverhandlungdes Regierungsprogramms

Die Corona-Krise hat die Prioritäten der Regierungsarbeit verschoben und die politischen Vorhaben massiv verzögert. Politikwissenschafter und Meinungsforscher Peter Hajek spricht sogar von einem völligen Stillstand des Regierungsprogramms. Die aktuelle Regierungsarbeit konzentriere sich darauf, das Gesundheitssystem möglichst zu entlasten und die Zahl der Arbeitslosen unter 400.000 zu halten, analysiert Hajek.

Er nimmt an, dass das Regierungsprogramm in der angedachten Form teils nicht umsetzbar sein wird und nach der Corona-Krise neu verhandelt werden muss. Eine grundsätzliche Verschiebung der politischen Schwerpunkte sieht der Politikwissenschafter dabei nicht. In erster Linie werde man sich an den Ansprüchen der von der Krise betroffenen Branchen orientieren müssen. Die ÖVP werde ihrem Lieblingsthema, der Migration, treu bleiben, während die Grünen vermehrt auf erneuerbare Energien und Green Jobs drängen werden, vermutet Hajek.

Noch vor wenigen Wochen sprach die Regierung gerne von einem "Licht am Ende des Tunnels". Dieses Licht sei derzeit nicht zu sehen angesichts der steigenden Corona-Zahlen und der Unsicherheit über den Impfstoff. Hajek ortet einen Kommunikationsfehler in der "Entweder-oder-Kommunikation" der Regierung. Stattdessen müsse ein Mittelweg kommuniziert werden. "Wir müssen damit leben lernen, dass die Situation die ist, die sie ist." Das gilt vorerst wohl auch für die Umsetzung des Regierungsprogramms.