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Die Magna Charta und deren Architekt im Jüdischen Museum Wien

Von Petra Tempfer

Hans Kelsen war maßgeblich an der Entstehung der Verfassung für die junge Republik 1920 beteiligt.
© Anne Feder Lee/Hans Kelsen-Institut

Von 1. Oktober bis 5. April erzählt eine Ausstellung im Museum Dorotheergasse von der Geschichte der österreichischen Bundesverfassung.


Baiser und Schwarzwälder Kirschtorte, dazu eine Zigarre: In Bild und Text erzählen Hans Kelsens Lieblingsmehlspeisen bei der Ausstellung "Hans Kelsen und die Eleganz der österreichischen Bundesverfassung", die von 1. Oktober 2020 bis 5. April 2021 im Jüdischen Museum Wien zu sehen ist, aus dessen Leben. Eine Zigarre - Kelsen war leidenschaftlicher Zigarrenraucher - erläutert indes die rechtshistorischen und zeitgeschichtlichen Zusammenhänge.

Kelsen gilt als der Architekt des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes, das am 1. Oktober 100 Jahre alt wird. Die Ausstellung im Museum Dorotheergasse 11 in der Inneren Stadt beleuchtet beides: das Leben und Denken Kelsens, der einer deutschsprachigen jüdischen Familie in Prag entstammte, zwischen Europa und den USA sowie die Geschichte der österreichischen Bundesverfassung.

Fast hundertmal novelliert

Anders als zum Beispiel in den USA ist Verfassungspatriotismus in Österreich allenfalls ein Randphänomen. Die Verfassung und deren Inhalte sind kaum bekannt. Die erste Fassung wurde zwar 1920 beschlossen, in der Folge allerdings fast hundertmal novelliert. Denn die erste Fassung enthielt weder Grundrechte noch die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern oder eine Finanzverfassung. Die vorläufig letzte Ergänzung war 2009 die Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

Der Jurist Kelsen war maßgeblich an deren Entstehung beteiligt. Geboren 1881 in Prag, wuchs er in Wien in einer deutschsprachigen jüdischen Familie auf. Sein Vater war Lusterfabrikant und gestaltete zum Beispiel Synagogenbeleuchtungen. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie wurde Kelsen von Staatskanzler Karl Renner mit der Arbeit an einer Bundesstaatsverfassung für die junge Republik beauftragt.

Kelsen entwickelte das österreichische Modell der Verfassungsgerichtsbarkeit, das später weltweit Nachahmung fand. Vereinfacht gesagt sieht dieses vor, dass ein darauf spezialisiertes Gericht kontrolliert, ob die Verfassung eingehalten wird. Grundgedanke ist, dass verfassungsrechtliche Streitigkeiten nicht nur politische, sondern auch rechtliche Konflikte sind.

Im zunehmend antisemitischen Klima der Zeit wurde Kelsen für seine innovativen Ansätze schließlich angefeindet. Bereits 1930 verließ Kelsen Wien und emigrierte über mehrere Stationen in Europa 1940 in die USA, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1973 lebte.