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Einmal Kärntner Geschichte und zurück

Von Martin Tschiderer

Politik
© Illustration: Ernst Kutzer

Am Samstag feiert Kärnten 100 Jahre Volksabstimmung. Abseits des Jubiläums sind die alten Gräben kaum noch Thema.


Die Feier wird kleiner ausfallen. 6.000 Teilnehmer und 30.000 Besucher waren geplant für den großen Festakt, auf den man sich über Jahre vorbereitet hat. Ein 100-jähriges Jubiläum, das gibt es schließlich nicht alle Tage. Aber gerade jetzt, zur Jahrhundertfeier der Kärntner Volksabstimmung, lässt ein Virus die Festlichkeiten schrumpfen. Gerade jetzt, wo auch die Annäherung zwischen den Volksgruppen über die vergangenen Jahre gefeiert werden soll, ebenso wie die inzwischen guten Beziehungen zwischen Österreich und Slowenien, ersteht die Grenze zwischen den Nachbarn plötzlich wieder auf. Eine Ironie der Geschichte.

Gefeiert wird, dass sich bei der Volksabstimmung am 10. Oktober 1920 rund 59 Prozent der Bevölkerung Südkärntens für den Verbleib bei Österreich aussprachen - obwohl 70 Prozent Slowenisch als Muttersprache hatten. Die Volksabstimmung wie der berüchtigte Kärntner Abwehrkampf fußen auf Österreichs Niederlage im Ersten Weltkrieg: Nach dessen Ende stellte der südliche Nachbar Jugoslawien Gebietsforderungen auf rund ein Drittel der Kärntner Landesfläche.

Brutale Assimilation

Im Herbst 1918 starteten slawische Truppen mit der Besetzung südlicher Landesteile, kurz darauf begann in Kärnten der bewaffnete Widerstand. 1919 wurde die Abhaltung einer Volksabstimmung fixiert und im Staatsvertrag festgehalten. Im Vorfeld des Entscheids gab es beidseitige Propagandaschlachten. Danach verfolgte die deutsch-national dominierte Kärntner Landespolitik eine brutale Assimilierungspolitik - was die Zahl der Kärntner Slowenen massiv dezimierte.

Wie viel es zum Jubiläum also genau zu feiern gibt, ist nicht unumstritten. Zwar stehen die Gedenkfeiern inklusive Kranzniederlegungen und Festsitzung des Kärntner Landtags auf breitem Sockel - gemeinsam mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen nimmt erstmals auch sein slowenischer Amtskollege Borut Pahor teil. Aber sowohl bei Vertretern der Kärntner Slowenen, als auch bei den Deutschkärntner Organisationen mischt sich Kritik unter die mehrheitlich wohlwollenden Stimmen.

Manch Kärntner Slowene beklagt die erzwungene Assimilation der Volksgruppe und sieht ihren Bestand gefährdet. Es sei bereits "fünf Minuten nach zwölf", um die kulturelle Vielfalt im Land zu schützen, sagte vor Kurzem etwa Bernard Sadovnik von der Gemeinschaft der Kärntner Sloweninnen und Slowenen. Die grüne Nationalratsabgeordnete und Kärntner Slowenin Olga Voglauer kritisierte, Kärntens Politik habe über lange Zeit die slowenische Sprache und Kultur entwertet. "Wir haben nicht viel zu feiern", resümierte sie.

Eiszeit zwischen Organisationen

Fritz Schretter, Obmann des Kärntner Abwehrkämpferbundes (KAB) und einstiger freiheitlicher Landtagsabgeordneter, kritisierte dagegen, bei den Feierlichkeiten werde die Bedeutung des Abwehrkampfes "ignoriert". Dabei sei er Voraussetzung für die Volksabstimmung und "ein freies und ungeteiltes Kärnten" gewesen.

Während der KAB ungebrochen mit Hardliner-Positionen in den Diskurs drängt, hat sich die zweite große Organisation der Deutschkärntner, der Kärntner Heimatdienst (KHD), längst der Versöhnung der Volksgruppen verschrieben. "Wir halten die Position des Abwehrkämpferbundes für überaus anachronistisch und rückwärtsgewandt", sagt KHD-Langzeitobmann Josef Feldner zur "Wiener Zeitung".

 Zwischen den beiden Organisationen herrscht seit Jahren Eiszeit. Seit Feldner und sein einstiger Feind, der langjährige Obmann des Zentralverbands der slowenischen Organisationen, Marjan Sturm, 2005 einen Annäherungsprozess begannen. Die beiden gründeten die "Kärntner Konsensgruppe" und spielten fortan eine wichtige Rolle auf dem Weg zum Miteinander der Volksgruppen. Während der Abwehrkämpferbund ihn als Verräter ächtet, plädiert Feldner heute dafür, den 10. Oktober als "Tag der gemeinsamen Heimat" zu feiern.

Gemeinsame Geschichte

Denn Kärntner Realität ist heute auch: Steht nicht gerade ein 100-jähriges Jubiläum vor der Tür, ist die Kärntner Volksabstimmung, ebenso wie das Verhältnis zwischen Deutschkärntnern und Kärntner Slowenen, für die meisten Menschen kein großes Thema mehr. Das Leben im Bundesland ist längst von einem Narrativ der Gemeinsamkeit geprägt. Es bleibt öffentlich nicht nur weitgehend unwidersprochen. Es deckt sich auch mit dem Alltag der meisten Bewohner: Slowenisch wird heute nur noch von wenigen als Gefahr empfunden; das Bewusstsein um eine gemeinsame Geschichte und Kultur ist ebenso verbreitet wie der wechselseitige Grenzverkehr. Der Handel zwischen den Nachbarn floriert, die slowenischen Gastarbeiter in Kärnten sind so häufig gesehen wie beliebt.

"Immer mehr Kärntnerinnen und Kärntner haben heute auch erkannt, dass Zweisprachigkeit etwas Wertvolles ist", sagt der Historiker Hellwig Valentin, der einen Gutteil seiner akademischen Tätigkeit der Volksgruppen-Thematik widmete und das breit rezipierte Buch "Der Sonderfall" über die Geschichte Kärntens schrieb. Gerade die Jungen, die eine andere Welt als die eines vereinten Europas gar nicht kennen, wollen von den alten Kämpfen und Gräben heute nichts wissen. Sie sind längst transnational orientiert, haben das europäische Ausland ausgiebig bereist - und merken in der Corona-Pandemie erstmals in ihrem Leben, mit welchen Einschränkungen geschlossene Grenzen verbunden sind.

Entscheidende Ortstafeln

Hinzu kommt: Die - tatsächlichen wie herbeifantasierten - Bedrohungsszenarien haben sich ebenso verlagert wie manche Vorstellung von einem "Außenfeind". Oder wie es ein gebürtiger Kärntner und profunder Kenner der Materie, der heute im Wiener Rathaus arbeitet, ausdrückt: "Für die nationalistischen Kärntner sind die nationalistischen Slowenen inzwischen Bündnispartner in ihrem gemeinsamen Abwehrkampf gegen Muslime."

Ein Vertreter der jungen Generation ist Manuel Jug. Der 23-Jährige löste im Vorjahr seinen Langzeit-Vorgänger Marjan Sturm an der Spitze des Zentralverbands der Slowenischen Organisationen in Kärnten ab. Der SPÖ-nahe Zentralverband galt schon unter der 27-jährigen Obmannschaft Sturms als die kompromissorientierteste Vertretung der Kärntner Slowenen. Vor allem im Gegensatz zum ÖVP-nahen Rat der Kärntner Slowenen unter dem Diplomaten Valentin Inzko.

Natürlich sei es schade, dass der Anteil an Slowenisch sprechenden Kärntnern über die Jahrzehnte so stark abgenommen hat, sagt Jug zur "Wiener Zeitung". Einst habe jeder vierte Kärntner Schüler Slowenisch gesprochen, heute jeder 50. Das sei aber nur einer der Aspekte. Den zweisprachigen Unterricht in Volksschulen hätten 1970 nämlich nur 13 Prozent in Anspruch genommen, heute seien es 45 Prozent. "Das Bewusstsein für die Kultur ist also gestiegen", sagt Jug.

Ein entscheidender Faktor für die Beruhigung des einst so aufgeladenen Konflikts war der Ortstafelkompromiss im Jahr 2011. Auf 164 zweisprachige Ortstafeln einigte man sich damals nach zähen Verhandlungen. Darauf, dass er als jener in die Geschichte einging, der Kärnten versöhnte, ist der damalige freiheitliche Landeshauptmann Gerhard Dörfler auch heute hörbar stolz. "Am Wahlabend des Jahres 2009 habe ich in den Spiegel geblickt und gesagt: Gerhard, du musst die Ortstafelfrage lösen. Das Land braucht Frieden", sagt er im Gespräch mit dieser Zeitung. Der einstige Vertraute Jörg Haiders hatte damals mit heftigen Widerständen zu kämpfen - am allermeisten aus seiner eigenen Partei.

"Gut vom Thema gelebt"

Einem, der den Wendepunkt im Konflikt brachte, streut Dörfler heute Rosen. "Ein Glücksfall" sei Josef Ostermayer für die Lösung der Ortstafelfrage gewesen. Der damalige Staatssekretär (SPÖ) wurde 2009 von seinem Parteifreund und damaligen Bundeskanzler Werner Faymann zum Chefverhandler des Bundes in Kärnten berufen - und zum Wegbereiter des Kompromisses.

Entscheidend sei gewesen, dass man Gemeinde für Gemeinde abklapperte und persönliche Gespräche mit den Bürgermeistern führte, sagt Ostermayer heute. Und: Dass man sich geeinigt habe, während der Verhandlungen auf öffentliche Statements zu verzichten. Hüben wie drüben hätten damals nämlich "einige Funktionäre von dem Thema noch sehr gut gelebt" sagt Dörfler. Sie hätten die Situation bewusst dargestellt, wie sie schon längst nicht mehr war. "Aber die Menschen", sagt Dörfler, "waren damals schon weiter als so mancher Funktionär und Politiker."