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Stefan Karner: "Zündler gab es auf beiden Seiten"

Von Michael Schmölzer

Politik

100 Jahre Kärntner Volksabstimmung: Der Historiker Stefan Karner im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".


Stefan Karner ist Universitätsprofessor und Gründer sowie langjähriger Leiter des L. Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung, Graz-Wien-Raabs. Zudem war er Vorstand des Instituts für Wirtschafts-, Sozial- und Unternehmensgeschichte der Universität Graz. Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung

Am 10. Oktober 1920 entschied eine Mehrheit der Südkärntner für einen Verbleib bei Österreich. Es folgten Jahrzehnte des Konflikts zwischen der deutsch- und slowenischsprachigen Bevölkerung. Kärnten feiert das historische Votum am Samstag mit Kranzniederlegungen, einem ökumenischen Gottesdienst und einer Festsitzung im Landtag. Der slowenische Präsident Borut Pahor wird in diesem Rahmen seinen Amtskollegen Alexander Van der Bellen treffen. Die "Wiener Zeitung" hat den Historiker Stefan Karner zum Volksgruppen-Konflikt befragt.

"Wiener Zeitung":Herr Professor, gibt es Ihrer Ansicht nach einen entscheidenden Wendepunkt, an dem sich der Volksgruppen-Streit in Kärnten schließlich zum Besseren gewendet hat?

Stefan Karner: Den gibt es. Das ist die Zeit von 1998 bis 2011. In diesen 13 Jahren hat sich die entscheidende Wende vollzogen. Streit, besser Konflikte zwischen deutsch- und slowenischsprechenden Kärntnern gab es seit über 100 Jahren, seit den Tagen der Monarchie. Immer wieder kam es zu Lösungsversuchen. Ein Auf und Ab, ein Vor und Zurück. Zum Dialog Bereite gab es auf beiden Seiten, Zündler ebenso. Die Konflikte sind in der Besetzung Südkärntens durch SHS-Truppen (jugoslawische Truppen, Anm.), im militärischen Widerstand 1919/20 und nach der Abtrennung alter Kärntner Gebiete im Frieden von St. Germain eskaliert. Die Deportation von rund 1000 Slowenen durch das NS-Regime 1942, der folgende slowenische Partisanenkampf und slowenische Anschluss-Forderungen 1945 an Tito-Jugoslawien sorgten ebenfalls für eine Verschärfung der Lage. Ebenso die Verschleppung und Ermordung von über 100 Kärntnern durch Tito-Partisanen und die Umsetzung der im Artikel 7 des Staatsvertrags festgeschriebenen Rechte der Kärntner Slowenen. Dazu kamen die hunderten zweisprachigen Ortstafeln, die 1972 über Nacht aufgestellt wurden. Der darauffolgende "Ortstafel-Sturm" hat die gegensätzlichen Positionen vollends einzementiert, eine Lösung ist damals in weite Ferne gerückt.

Gibt es Ihrer Meinung nach Fragen, die immer noch einer Lösung harren?

Derzeit sehe ich keine wesentlichen Fragen. In der Ortstafellösung von 2011 wurde eine Öffnungsklausel eingebaut. Über diese kann jederzeit, bei entsprechenden Anträgen und Mehrheiten, nachjustiert werden. Das ist auch unlängst wieder geschehen. Es gibt zweisprachige Kindergärten, den Slowenisch-Unterricht in den Grundschulen besucht bald die Hälfte der Schulkinder. Stark diskutiert wird das Modell der Schulleiter-Besetzungen in Südkärnten. Hier wäre ein flexiblerer Ansatz, eine Abkehr vom unbedingten Muss einer Qualifikation in Slowenisch zu diskutieren. Generell plädiere ich dafür, nicht durch weitere Forderungen seitens der slowenischen Volksgruppe den Dialogprozess aufzuhalten.

Was war aus Ihrer Sicht entscheidend dafür, dass sich nach 1919 ein "Geist des Hasses" in Kärnten etablieren konnte?

"Hass" ist zu hart ausgedrückt. Es war vor allem ein Kampf. Die Gründe liegen tief: Sieg und Niederlage 1920 wurden - trotz Versprechungen und einzelner Bemühungen - nicht in einen Dialogprozess zusammengeführt. Dann war da der starke Zuzug zur NSDAP und damit zur Radikalisierung in Kärnten. Dazu kamen die deutliche slowenisch-orientierte Positionierung der Katholischen Kirche in Südkärnten, die Germanisierungspolitik des NS-Systems, die Wunden der Aussiedlung und Verschleppungen. Und dann die äußerst zögerliche Umsetzung des Artikels 7 des Staatsvertrags von 1955 seitens der Großparteien, vor allem aus wahltaktischen Gründen.

Gibt es ein Beispiel aus der Vergangenheit, wo Sie persönlich diese Feindschaft besonders eindrücklich erlebt haben?

Nein, von keiner Seite, obwohl ich die slowenische Sprache erlernt habe.

Ist das Schicksal der Deutschsprachigen in Ex-Jugoslawien nach 1918 mit dem der Kärntner Slowenen vergleichbar?

Ja und nein. Es gibt zahlreiche Parallelen. Beide hatten Vertretungen in den jeweiligen Parlamenten, beide hatten anerkannte Führer bis zum Jahr 1941. Heute ist die Situation nicht vergleichbar. Den rund 1800 autochthonen Deutschen in Slowenien, dem "Rest vom Rest", wie es ein slowenischer Kollege ausdrückte, fehlt sogar eine Anerkennung in der slowenischen Verfassung, wie dies Ungarn und Italiener sowie teilweise auch Roma und Sinti haben.

Wie beurteilen Sie die Rolle des verstorbenen Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider im Volksgruppenkonflikt?

Fest steht: Haider wollte 2008 den kurz vorher noch verworfenen Kompromiss in der Ortstafelfrage durchsetzen. Weil er einsah, dass sich der Mainstream in der Kärntner Bevölkerung gedreht hatte und er durch eine Lösung der Ortstafelfrage eventuell einen größeren Zuspruch bekäme, als durch eine weitere Abwehrhaltung.