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Krisenkommunikation in der Krise

Von Simon Rosner

Politik

Die Regierung agiert seit März ähnlich. Doch die Situation ist eine andere - und auch die Reaktion darauf.


Als der August kam, fielen die Zahlen. Die Regierung hatte kurz davor und nach etlichen Lockerungsschritten eine Umkehr vorgenommen und die Maskenpflicht ausgeweitet - auf Supermärkte, Post- und Bankfilialen. Nach einem ruhigen Frühsommer war es der erste Schritt einer Verschärfung. Und die Zahl der Infektionen ging zurück, von fast 200 auf 83 am 3. August. Es schien zu wirken. Ein Trugschluss.

Mittlerweile ist überall in Europa eine bedeutende Zunahme des Infektionsgeschehens zu beobachten, wenn auch nicht überall gleich stark. Österreich ist eher mittel unterwegs, doch es könnte sich um zeitliche Verschiebungen handeln.

Doch kurz zurück in den August: Als die Regierung bei einer mehrfach verschobenen Pressekonferenz die Maskenpflicht in Supermarkt, Post und Banken verkündete, löste das Irritationen aus. Das war alles? Und warum nur dort? Die Regierungsspitze, die im März sehr klar kommuniziert hatte, fand sich auf einmal in der Defensive wieder. Dort ist sie bis heute. Und die Regierung tut sich zunehmend schwer, sich zu erklären. Das war im Frühling anders.

Differenzierungen sind nicht immer nachzuvollziehen

Es liegt nicht zuletzt daran, dass der Versuch eines differenzierten Regelwerks für alle Lebensbereiche nur schwer zu kommunizieren ist. Warum bei einer Vernissage nur sechs Gäste, im Theater aber 1.000 kommen dürfen, mag epidemiologisch argumentierbar sein. Das heißt aber nicht, dass diese Differenzierungen von der Bevölkerung auch tatsächlich nachvollzogen werden können. Oft werfen sie mehr Fragen auf, als auch ein sehr präsenter Gesundheitsminister Rudolf Anschober beantworten kann. Das Ergebnis dessen ist eine sinkende Akzeptanz.

Dabei macht es die Regierung, oberflächlich betrachtet, ähnlich wie zu Beginn der Pandemie. Aber vielleicht ist genau das das Problem. Ende April sagte die Politikwissenschafterin Gerda Füricht-Fiegl von der FH Burgenland dieser Zeitung, dass man nicht monatelang im Krisenmodus operieren könne, man den Menschen die Angst auch wieder nehmen müsse. "In der Verunsicherung darf man sie nicht lassen."

Das tat die Regierung aber nur für ein paar Wochen im Sommer. Als die Zahlen schon leicht zu steigen begannen, rief Anschober bereits wieder "entscheidende Tage" aus, und zwar immer wieder. Es entschied sich aber nichts, sondern es ging stetig hinauf. Die Zahl der Medienauftritte der Regierungsmitglieder erhöhte sich wieder, nicht aber die Klarheit.

Für Füricht-Fiegl ist es in der Krisenkommunikation essenziell, mit einer Stimme zu sprechen und eine Botschaft zu kommunizieren. Auch das ist anders als im März. Einerseits lag das am Wien-Wahlkampf und einem Bund-Wien-Konflikt, doch auch zwischen ÖVP und Grünen war es schon einmütiger. Selbst über semantische Fragen, ob der Anstieg nun eine zweite Welle sei (Kurz) oder nicht (Anschober), wurde diskutiert. "Da gewinnt niemand. Sie haben gewonnen, als sie gemeinsam aufgetreten sind", so Füricht-Fiegl.

Die "neue Normalität" stellte sich nie ein

Die Regierung hat ihr prozesshaftes, auf aktuelle Entwicklungen reagierendes Handeln kaum geändert. Im März hat das geholfen, den gesundheitlichen Schaden gering zu halten. Das Virus war eine Unbekannte, man konnte flexibel auf neue Erkenntnisse reagieren. Und das tat man auch immer wieder. Dass damals auch die Rechtsstaatlichkeit unter der Geschwindigkeit gelitten hat, war der Ausnahmesituation geschuldet. Dass aber nun, im Oktober, noch Maßnahmen kommuniziert werden, bevor sie im Detail ausverhandelt sind, darf nicht passieren. Auch das schadet der Akzeptanz.

Schweden hatte im März einen gänzlich anderen Weg gewählt. Alle Maßnahmen waren langfristig angelegt, sie wurden kaum geändert. Auch Dänemark und Norwegen lockerten über den Sommer weniger als Österreich - verschärfte dann aber auch weniger. Aus der Retrospektive lässt sich vielleicht sagen: Während in Schweden im Frühling die Gegenwart übersehen wurde und es viel zu viele Covid-Tote gab, übersah man hierzulande die Zukunft. Die "neue Normalität", die der Kanzler framte, stellte sich nie ein, vielmehr schaute die alte kurz vorbei, was ungünstig war, ehe sie dann ebenso wieder verschwand wie der sommerliche Wunsch nach "Eigenverantwortung".

Virus und Einschränkungen betreffen nicht alle gleich

So wirklich setzte die Regierung aber ohnehin nicht darauf. Sie sprach die Eigenverantwortung zwar an, aber blieb dabei, die meisten Bereiche des Soziallebens per Verordnung zu reglementieren. Andernfalls hätte sie auch die gesundheitliche Aufklärung fördern müssen. Das tat sie nicht. Dafür gibt es in Österreich auch keine Tradition, oder, wie in Deutschland, eine eigene staatliche Behörde. Pressekonferenzen und die Berichterstattung darüber erreichen aber nur einen Teil der Bevölkerung, das reicht nicht für eine wirksame Bekämpfung der Pandemie, wie die Realität zeigt.

Und noch etwas ist fundamental anders als im März: Dieses Virus betrifft die verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterschiedlich stark. Die Angst vor Covid-19 und die Angst vor Einschränkungen sind ungleich verteilt. Daher wäre es wichtig, differenziert zu kommunizieren und auf die unterschiedlichen Standpunkte einzugehen. Die Besitzerin eines kleinen Eissalons, die sich in ihrer Existenz bedroht sieht, wird anders auf die Situation blicken als Personen, die sich große Sorgen um ihre Eltern machen, oder Jugendliche, deren bevorzugtes Sozialverhalten nicht mehr möglich ist.

Es ist ein Aspekt, den Füricht-Fiegl von Veränderungsprozessen in Unternehmen kennt. "Auch das ist hochsensibel", sagt sie. Wie bei der Pandemie brauche es auch in Unternehmen das Mitwirken von allen. "Man muss die Betroffenen zu Beteiligten machen", sagt Füricht-Fiegl. "Dafür brauche ich aber ein klares Ziel, bei dem alle mitziehen." Das war im März das "flatten the curve". Heute fehle ein solches Ziel, sagt sie.

Aber nicht nur die Bevölkerung braucht ein Ziel, auch die Verwaltung benötigt ein solches, sie ist der Wirkungsorientierung verpflichtet. Doch welches Ziel? Das Gesundheitssystem vor einer Überlastung zu bewahren, wie im März, eignet sich nicht mehr, das Ziel an bestimmten Infektionszahlen festzumachen, wäre unseriös. Passender ist eine ganzheitliche Abwägung, da Maßnahmen gegen die Virusausbreitung (bis zum Shutdown) auch negative Folgen zeitigen, von steigender Arbeitslosigkeit bis zu einer Minderversorgung in anderen medizinischen Bereichen. Die Kollateralschäden sind auch ein Grund, weshalb die Politik überall zögerlicher ist bei massiven Einschränkungen.

Corona-Ampel mit einem Geburtsfehler

Die Hoffnung der Bundesregierung , eine klar verständliche Steuerung über die Corona-Ampel zu generieren, erwies sich als Irrtum. Vielleicht hätte man aber auch bei Rudi Mair anrufen können, einen der Erfinder des Vorbildes, der Lawinenwarnstufen. Das tat man aber nicht, wie Mair erzählt.

Die Lawinenwarnstufen dienen der breiten Bevölkerung, das Risiko einschätzen zu können. Eine vier- oder fünfstufige Risikoskala hat ihre Limitierungen, aber für den Hausgebrauch reicht sie, um daraus Verhaltensweisen abzuleiten. Also etwa auf eine Skitour zu verzichten. Die lokalen Lawinenkommissionen agieren von diesen Warnstufen unabhängig, sie besitzen selbst Expertise und entscheiden, welche Hänge und welche Straßen gesperrt werden müssen. Das können sie nicht von der Lawinenwarnstufe abhängig machen. Aber genau das hat die Regierung getan, nämlich die Maßnahmen direkt an die Farbschaltungen angedockt, statt nützliche Handlungsanweisungen für die Bevölkerung zu kommunizieren. Gleich bei der ersten Schaltung beschloss sie dann eine Gelb-Maßnahme bei Grün. Epidemiologisch war das durchaus argumentierbar, konterkarierte aber die Systematik.

Die Opposition kritisiert mittlerweile in der Dauerschleife, zumal auch abseits der Kommunikation Versäumnisse passierten, etwa im Bildungsbereich oder beim zu langsam aufgesetzten Screening von Reiserückkehrern und einem zu späten personellen Aufstocken der Länder beim Contact Tracing. Dass die Regierung die 200-Personen-Grenze bei losen Veranstaltungen und Feiern erst im September änderte, sie dann aber gleich auf 50 herabsetzte, um sie eine weitere Woche später auf 10 und nun auf 6 Personen zu senken, wirkt so, als hätte man über Wochen übersehen, dass es hier zahlreiche Superspreadings gab. Solche Feiern waren in ganz Skandinavien seit März nicht möglich. Und dort ist die Inzidenz geringer.

Dass all dies nicht förderlich für die Kontrolle des Infektionsgeschehens war, ist naheliegend. Ob es aber der Grund für den Anstieg ist, muss auch bezweifelt werden. Denn die Zahlen steigen überall, und bisher hat es noch kein Land geschafft, diesen Anstieg wieder umzukehren. Nur Israel. Allerdings mit einem zweiten Lockdown.