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Terrorforscherin Ebner: "Die Dschihadisten sehen Corona als Chance"

Von Ronald Schönhuber

Politik
Julia Ebner ist Terrorismusforscherin am Institute for Strategic Dialogue in London. Zuletzt erschien ihr Buch "Radikalisierungsmaschinen: Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und uns manipulieren". Phil Coomes/BBC
© Phil Coomes

Im Interview erklärt Terrorismusforscherin Julia Ebner, warum es nach vergleichsweise ruhigen Jahren jetzt wieder vermehrt Anschläge in Europa gibt und De-Radikalisierung oft nicht wirkt.


Am Höhepunkt seiner Macht hatte der IS große Gebiete im Irak, Syrien und Libyen unter seine Kontrolle gebracht. Heute ist die Terrormiliz militärisch besiegt.
© reuters/Stringer

"Wiener Zeitung": Österreich hat an keinem Krieg teilgenommen und sich auch sonst in keiner Weise exponiert, die nahelegen würde, dass das Land zur Zielscheibe islamistischen Terrors wird. Entsprechend sicher haben sich wohl auch viele Österreicher vor Terroristen gefühlt. War das ein fundamentaler Irrtum?

Julia Ebner: Im Endeffekt ist es oft willkürlich, wo Terroranschläge stattfinden. Tatsächlich war die Gefährdungslage in Österreich wahrscheinlich genauso hoch wie in benachbarten Ländern wie Deutschland. Ein Spezialfall ist vor allem Frankreich, hier wurde gerade in den letzten Wochen innerhalb der dschihadistischen Community auch noch einmal massiv der Hass geschürt. Aber es gibt auch in Österreich hunderte Gefährder und auch der islamistische Extremismus ist hier nach wie vor ein Problem.

Der Islamische Staat hat ja als Staat de facto zu existieren aufgehört, aber welchen Einfluss hat der IS noch als Terrororganisation?

Nach dem Zerfall des praktisch gesamten Territoriums des IS ist natürlich noch eine ganze Online-Infrastruktur übrig geblieben. Auch wenn viele der Online-Kanäle immer wieder entfernt wurden, haben diese selbsternannten Cyber-Dschihadisten immer wieder neue Netzwerke aufgebaut. Das Ganze hat sehr zellenartig funktioniert, so gibt es etwa bis heute mehrsprachige Gruppen, die auf Deutsch, Französisch und Arabisch kommunizieren. Sehr deutlich ist das im Nachgang der Anschläge in Frankreich zu sehen gewesen, wo in diesen Gruppen zu neuen Terrorangriffen aufgerufen wurde.

Nach den großen Anschlägen in Frankreich und Belgien ist es in den vergangenen Jahren relativ ruhig geworden. Es gab eher nur kleine terroristische Zwischenfälle. Warum war das Ihrer Meinung nach so?

Eine Zeit lang war der IS noch sehr stark mit den Konsequenzen des physischen Zerfalls und den Frustrationen der eigenen Mitglieder beschäftigt. Und in Syrien und im Irak war noch so viel los, dass sich selbst die Aufmerksamkeit der IS-Sympathisanten in Europa noch eher auf die weiter entfernten Regionen gerichtet hat. Erst später ist es dann zu einer Verschiebung gekommen, in deren Zuge es auch wieder mehr Aufrufe zu Anschlägen in Europa gegeben hat. Es war also gewissermaßen ein taktischer Wechsel erkennbar, mit dem das Ziel verfolgt wurde, Europa und andere westliche Länder zu destabilisieren. Große globale Krisen wie die Pandemie spielen dem IS natürlich in die Hände, weil sich die Spaltungen der Gesellschaften verschärfen. In vielen dschihadistischen Kanälen wurde die Corona-Krise auch ganz explizit als Möglichkeit gesehen, das Chaos und die ohnehin schon bestehenden Frustrationen in der Bevölkerung weiter zu stimulieren. Beim Anschlag in Wien hat man auch ganz klar gesehen, dass es ein Angriff auf das soziale Leben war, es war ja vor dem Lockdown die letzte Möglichkeit, auszugehen und das soziale Leben zu genießen. Das hat natürlich auch einen symbolischen Charakter.

Welche Rekrutierungsstrategien verfolgt der IS heute? Welche Rolle spielen Soziale Medien? Und welche der persönliche Kontakt und die Moschee?

Man kann hier nicht von einer Standard-Methode sprechen, weil es unglaublich viele Kanäle und Zugangsweisen bei der Rekrutierung gibt. Es ist in den allermeisten Fällen aber eine Kombination aus Online und Offline bei der Radikalisierung zu beobachten. Dass sie rein online passiert, kommt auch vor, ist aber eher selten. Aber in der Pandemie verbringen die Menschen auch mehr Zeit online - da fällt die Radikalisierung leichter und geht schneller. Und die Online-Kanäle sind mittlerweile so stark verstreut, dass es für die Sicherheitsbehörden schon ausgesprochen schwierig ist, den Überblick zu bewahren. In der realen Welt sind vor allem religiöse Institutionen, Bildungseinrichtungen und Gefängnisse potenzielle Radikalisierungszentren für Dschihadisten. Da der Attentäter von Wien auch im Gefängnis war, wäre es meiner Meinung nach wichtig, sich das genau anzusehen.

Welche Rolle spielen denn IS-Rückkehrer in der ganzen Gemengelage? Sind diese Menschen Treiber der Radikalisierung in Europa?

Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt Beispiele von Rückkehrern, die sich komplett de-radikalisiert haben und die sogar mithelfen in Aussteiger-Programmen. Und es gibt natürlich jene, die sich leider weiter radikalisieren und keinen Anschluss mehr in der Gesellschaft finden. Diese Gruppe stellt natürlich eine Gefahr dar, weil sie auch andere wieder in die Radikalisierungsspirale bringen kann. Es hat aber auch sehr viel damit zu tun, mit welchen Ansätzen die einzelnen Länder sich der Rückkehrer-Problematik widmen. Das in Dänemark verwendete Modell ist etwa ein sehr gutes Beispiel dafür, wie eine komplette Re-Intergration in die Gesellschaft gelingen kann. In anderen Ländern hat es nicht so gut funktioniert. In Österreich hat dabei leider auch eine Rolle gespielt, dass die muslimische Gemeinde unterschwellig immer mehr dämonisiert worden ist - vor allem durch eine Rhetorik, wie sie von der FPÖ verwendet wurde. Wenn sich Menschen aus den muslimischen Communitys noch mehr ins Eck gedrängt fühlen, kann das natürlich zu einer Radikalisierung beitragen.

Weil Sie Dänemark erwähnt haben: Was sind denn die Elemente eines gelungenen De-Radikalisierungsprogramms?

Einerseits geht es natürlich um die ideologische De-Indoktrinierung. Oft wird aber vergessen, dass es auch sehr stark um das Einbinden dieser Menschen in die Gesellschaft geht. Wenn das nicht stattfindet, kann es sehr rasch zu einem Backlash kommen, der dazu führt, dass sich diese Menschen wieder in ihren alten oder auch neuen extremistischen Gruppen anschließen. Bei den meisten gewaltbereiten Sympathisanten, denen ich im Zuge meiner Undercover-Recherchen begegnet bin, war es so, dass sie eine Gruppenidentität und eine Art Zugehörigkeit gesucht haben.

Zur Person~