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Nationalrat: Islamistische Gefährder und "Abschieben von Verantwortung"

Von Karl Ettinger

Politik

Opposition begrüßt Untersuchungskommission, kritisiert aber Fingerzeig von Kurz und Nehammer in Richtung Justiz scharf.


"Wir alle sind stärker als Hass und Terror. Unsere Demokratie ist eine wehrhafte." Mit aufmunternden Worten leitete Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) am Donnerstag die Sondersitzung im Hohen Haus ein, bei der mit einer Gedenk- und Trauerminute für die Opfer des Terroranschlags durch einen IS-Anhänger gedacht wurde. Von der eingangs beschworenen Einigkeit war abseits des Schocks und des Gedenkens in der Debatte aber nichts zu merken. Selbst innerhalb der Regierung zeigten sich unterschiedliche Schwerpunkte. Bundeskanzler Sebastian Kurz und die ÖVP bekräftigten Forderungen nach einer verbesserten rechtlichen Handhabe, um gemeinsam als "Feinde der Barbaren" gegen islamistische Ideologie vorgehen zu können. Die grüne Klubchefin Sigrid Maurer wollte Konsequenzen hingegen nicht nur bei der Justiz, sondern an breiter Front sehen.

Mit wenig Erfolg bemühte sich Bundeskanzler Kurz, alle Parteien auf ein gemeinsames Vorgehen nach dem Terroranschlag am Montagabend in der Wiener Innenstadt einzustimmen. Der Staat habe nicht die rechtlichen Mittel, um gegen "islamistische Gefährder" vorzugehen und diese zu beobachten, bedauerte er in einer kurzen Erklärung. Darüber hinaus brauche es zur Prävention gegen Terrorattentate auch international eine verstärkte Zusammenarbeit. Es gehe darum, wie man mit Extremisten umgehen, die für den Islamischen Staat (IS) kämpfen wollten und zurückkehren. "Sie alle sind tickende Zeitbomben", formulierte der Regierungschef drastisch.

"Dieser Krankheit entgegentreten"

Assistiert wurde er dabei von ÖVP-Klubobmann August Wöginger. Dieser verglich den Attentäter und IS-Anhänger mit einem "abnormen Rechtsbrecher", denn "solche Menschen sind krank." Davon leitete er die Konsequenz ab: "Dieser Krankheit müssen wir entschieden entgegentreten."

Den Schlussfolgerungen aus dem Attentat wollten sich aber die drei Oppositionsfraktionen so nicht anschließen. SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner erachtete in den Aussagen des Regierungschefs neue Schuldzuweisungen wie schon zuletzt durch Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) in Richtung von Justizministerin Alma Zadic, weil der Attentäter im Dezember 2019 vorzeitig aus einer bereits verhängten Haft freigelassen worden ist. In dieser schwierigen Phase des Landes würden von der ÖVP in der Regierung Gemeinsamkeit und Eigenverantwortung gefordert. "genau das Gegenteil tun Sie", beklagte die SPÖ-Chefin erbost: "Herr Bundeskanzler, Herr Bundesminister, wann verstehen Sie, dass es nicht um das Abschieben von Verantwortung geht?"

FPÖ-Misstrauensantrag ohne Mehrheit

Noch schärfer donnerte Ex-Innenminister Herbert Kickl nun als FPÖ-Klubchef der Regierung seine Vorwürfe entgegen. Es habe sich bei den Aussagen von ÖVP-Seite um "eine einzige Selbstanklage" gehandelt. Unter Hinweis darauf, dass schon im Sommer eine Meldung auf einen versuchten Munitionskauf in der Slowakei und damit auf die weiter vorhandene Gefährlichkeit des Attentäters eingegangen sei, kam Kickl zu dem Schluss: "Dieser islamistische Anschlag hätte verhindert werden können." Die FPÖ brachte dann einen Misstrauensantrag gegen Innenminister Nehammer ein, der zwar später von der SPÖ unterstützt wurde, aber gegen die türkis-grüne Koalitonsmehrheit bei der Abstimmung in der Minderheit blieb.

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger kam, was nicht so oft passiert, zur gleichen Schlussfolgerung wie der FPÖ-Klubchef. Das Attentat hätte verhindert werden können, "auch schon mit den vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten", wie sie ganz im Gegensatz zu Kickl ausdrücklich dazusagte. Meinl-Reisinger prangerte ebenso wie zuvor SPÖ-Chefin Rendi-Wagner an, dass die ÖVP nur 20 Stunden nach dem Attentat der Justiz die Schuld wegen der vorzeitigen Haftentlassung des IS-Sympathisanten gegeben habe. Das habe sie "entsetzt", sie habe das "schäbig" gefunden. Ministerin Zadic habe sich zu wenig vor die Justiz gestellt. Generell rief die Neos-Chefin auf: "Dem Terror und der Angst niemals das Feld überlassen."

Kogler demonstriert Einigkeit mit Kurz

Bemerkenswert war der Debattenbeitrag der grünen Klubobfrau Sigrid Maurer. Sie ortete ausdrücklich eine Reihe von Gründen für eine Radikalisierung. "Ebenso vielfältig muss unsere Antwort sein", forderte Maurer und stellte sich damit gegen die ÖVP, einzig die rechtlichen Mittel der Justiz auszubauen. Es gebe eine Palette von Aufgaben von der Schule bis über die Polizei und Justiz.

Vizekanzler Grünen-Chef Werner Kogler ging einer direkten Konfrontation mit dem Koalitionspartner ÖVP aus dem Weg. Neben einer Warnung vor dem Spalten der Gesellschaft redete er einem "Neustart" des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) das Wort. Damit rannte er bei der ÖVP offene Türen ein. Kurz hatte schon davor beklagt, dass dem Verfassungsschutz während der Amtszeit von Kickl als Innenminister Schaden zugefügt worden sei: "Diesen Schaden gilt es nun zu reparieren."

Innenminister Nehammer, der tags zuvor bereits Fehler bei der Kommunikation im Vorfeld des Attentats zugeben musste, und Justizminister Zadic wirkten reumütig im Hohen Haus. Der ÖVP-Minister wollte schonungslos Nachbesserungsbedarf aufzeigen, die grüne Ministerin versprach engmaschigere Kontrollen nach der Haft.