Bei den Vorführungen von 30 Beschuldigten zur Vernehmung - im Zuge der mehr als 50 Razzien in Ost- und Südösterreich in den frühen Morgenstunden - handelt es sich nicht um Festnahmen, wurde seitens der Staatsanwaltschaft Graz auf APA-Anfrage gesagt. Die Aktionen seien über ein Jahr lang vorbereitet worden. Es wurde betont, dass sich die Maßnahmen nicht gegen Muslime oder gegen den Islam richte. Die Muslimbruderschaft sei keine Religionsgemeinschaft, sondern stehe für religiös motivierten, politischen Extremismus.
Bei der Grazer Staatsanwaltschaft (StA) zeigte man sich auf Anfrage recht zugeknöpft angesichts der heiklen Thematik. Bestimmte Orte oder Vereine, die Ziel der Razzien waren, wurden nicht genannt. Ob es sich bei den zur Vernehmung festgesetzten Personen um Männer oder Frauen handle, wurde nicht gesagt. Auch zu weiteren Details wie etwa Staatsangehörigkeit gab es keine Angaben. Die Vernehmung der Personen, die in drei Bundesländern und Wien von der Polizei mitgenommen wurden, werde wohl in den entsprechenden Dienststellen erfolgen, hieß es. Es soll sich um Kultur- und andere Vereine handeln, bei einigen sei ein Gebetshaus beziehungsweise eine Moschee angeschlossen.
Mehr als 100 Beamte im Einsatz
Laut Polizei Steiermark waren mehrere hundert Beamte österreichweit in die Aktion eingebunden. Begonnen wurde um 5 Uhr. Es waren neben den regulären Einheiten auch Spezialkräfte wie Diensthundeführer, Kriminalpolizisten und Leute vom Landesamt für Verfassungsschutz dabei. Sichergestellt wurden elektronische Geräte wie Handys und Computer, aber auch einfache Dokumente. In der Steiermark gab es Hausdurchsuchungen in Graz, Graz-Umgebung und im Bezirk Liezen. Die Aktion war gegen 8.30 Uhr laut einem Polizeisprecher so gut wie abgeschlossen.
Die Personen und Vereine seien seit über einem Jahr Ziel von Ermittlungen gewesen, wie die Staatsanwaltschaft gegenüber der APA sagte. Die Durchsuchungen sind unter strikter Einhaltung der Covid-19-Schutzmaßnahmen erfolgt.
Die einzige konkrete Angabe der StA bezog sich auf "Vereine und Gesellschaften, die im Verdacht stehen, den terroristischen Vereinigungen Muslimbruderschaft und Hamas anzugehören und diese zu unterstützen". Es bestehe der Verdacht der terroristischen Vereinigung, der Terrorismusfinanzierung, der staatsfeindlichen Verbindungen, der kriminellen Organisation und der Geldwäscherei. Die Razzien erfolgten in den größeren Städten von Niederösterreich, der Steiermark und Kärnten sowie in Wien. Mit dem Terroranschlag in Wien vor genau einer Woche hätten sie nichts zu tun. Die Aktion wäre auf jeden Fall am Montag in der Früh erfolgt, wurde der APA gesagt.
Weltweit agierende Vereinigung
Bei der Muslimbruderschaft handle es sich laut StA um eine weltweit agierende, radikal-islamistische, massiv judenfeindliche Vereinigung, deren Hauptziel es sei, in allen Ländern der Erde einen islamischen Staat (Kalifat) auf Grundlage islamischen Rechts (Scharia) einzuführen. Die Muslimbruderschaft trete in Europa und Nordamerika zwar mit der Behauptung des Gewaltverzichts zur Durchsetzung ihrer Ziele auf. Sie unterhalte nach den bisherigen Ermittlungen jedoch tatsächlich Kontakt zu terroristischen Vereinigungen und enge ideologische und finanzielle Beziehungen zu radikal-islamistischen Gruppierungen im syrisch-irakischen Bürgerkrieg.
So unterstützen nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen auch Vertreter der Muslimbruderschaft in Österreich unabhängig von ihren Herkunftsländern die Tätigkeit der 1987 als Zweig der Muslimbruderschaft gegründeten, palästinensischen Terrororganisation Hamas. Ziel der Hamas ist die Zerstörung des Staates Israel und die Gründung eines islamischen Staates mit Jerusalem als Hauptstadt. Diese Strategie der Hamas sei somit als Teil der Gesamt-Strategie der Muslimbruderschaft zu sehen, hieß es in der Aussendung am Montag.
Die Staatsanwaltschaft Graz betonte, dass sich die Aktion nicht gegen den Islam richte. Vielmehr sollen die durchgeführten Maßnahmen auch dem Schutz der Muslime dienen, deren Religion für die Verbreitung verfassungsfeindlicher Ideologien missbraucht werde. "Die Ziele der Muslimbruderschaft und das von dieser angestrebte politische, totalitäre System, welches weder die Souveränität des Volkes noch die Prinzipien von Freiheit und Gleichheit gewährleistet, sind mit den Grundprinzipien der Verfassung der Republik Österreich und der österreichischen Gesellschaft sowie allgemein mit dem westlichen Demokratieverständnis von Koexistenz, Gleichstellung von Männern und Frauen und politischer Ordnung nicht kompatibel", stellte die StA fest. (apa)