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Österreichs lädierte Spione

Von Daniel Bischof

Politik

Terroranschläge, staatliche Einflussnahmen und aggressive Geheimdienste zeigen die strukturellen Schwächen von Österreichs Sicherheitslandschaft auf. Eine Analyse.


Es sind Worte, die viele Wiener gerne über ihre Stadt hören: Ein "attraktiver Standort", der wunderschön sei, "ein guter Ort für die Arbeit und die Österreicher sind sehr tolerant". Diese Zuschreibungen stammen nicht aus einer Broschüre, die um die Ansiedlung neuer Unternehmen in Wien wirbt. Sie kommen von Geheimdienstlern.

Blicken Agenten auf Wien und Österreich während des Kalten Krieges zurück, geraten sie ins Schwärmen. Für seinen Dienst sei es ein "bequemes Land" gewesen, so Markus Wolf, ehemaliger Chef der Auslandsspionage der ostdeutschen Stasi. CIA-Veteran Jack Devine sprach vom "sehr guten Jagdrevier Wien", Ex-KGB-Boss Wladimir Krjutschkow erklärte: "Ich denke, die Vertreter diverser Geheimdienste haben in Wien eine gewisse Freiheit genossen."

Österreich als neutraler Boden, den fremde Mächte beackern können, solange sie nicht gegen heimische Interessen verstoßen: Dieses Arrangement, das lange die Sicherheitsarchitektur geprägt hat, stößt nun an seine Grenzen. Die Razzia gegen die Muslimbrüder und Fatah, der Anschlag in Wien und Cyberangriffe auf das Außenministerium zeigen: Das neutrale Fundament zerbröselt.

Lange hatte das Arrangement zur Zufriedenheit aller Seiten funktioniert. "Wien war aufgrund der internationalen Organisationen und seiner Geografie für andere Dienste interessant. Von Wien aus konnte man den Osten und Südosten durchdringen", sagt der Historiker Siegfried Beer. Zur Zeit des Kalten Krieges setzte ein regelrechter "Geheimdienst-Tourismus" ein: "Es war bekannt, dass die Österreicher sensibel beim Eingreifen sind und den Diensten hier nicht viel passiert."

Neben Agenten anderer Staaten ließen sich kurdische Gruppen und die Palästinensische Befreiungsorganisation in Österreich nieder. Auch Personen, die den Muslimbrüdern zugerechnet werden, bauten Strukturen auf.

"Im Griff der Sowjets"

Dieses Laissez-faire habe mitgeholfen, Österreich abzusichern, sagt Thomas Riegler, Autor des Buches "Österreichs geheime Dienste". "Vor allem während des Kalten Kriegs gab es eine Art informelle Vereinbarung nach dem Motto: Österreich ist neutraler Boden, hier werden keine Anschläge unternommen. Dafür schauten die Behörden nicht so genau hin. Denn auch Terrorgruppen hatten ein Interesse daran, Österreich als Ruhe- oder Transitraum zu nutzen und keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen."

Das Arrangement des Kalten Krieges führte dazu, dass Österreich jahrzehntelang "ein schlecht ausgestattetes Bundesheer und eine Staatspolizei auf Sparflamme erhalten konnte", so Riegler.

Mit Geld- und Personalproblemen hat der Staatsschutz seit jeher zu kämpfen. Als die Staatspolizei 1945 nach Kriegsende gegründet wurde, "war sie im Griff der Sowjets", sagt Beer. KPÖ-Mitglieder wurden in die Behörde eingeschleust. Auch nachdem der Einfluss der Kommunisten geschmälert wurde, bestückten die Innenminister die Staatspolizei oft mit ihren Parteigenossen.

Das habe sich über die Jahrzehnte nicht geändert und sich nach der Umwandlung ins Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) 2002 fortgesetzt, so Riegler.

Er sieht auch bei den Strukturen ein "hohes Maß an Kontinuität": Ein echter Inlandsnachrichtendienst war seit 1945 weder der Staatsschutz noch das BVT. Zur Erklärung: Ein Geheimdienst ist eine Behörde mit weitreichenden Befugnissen. "Sie kann verdeckte Operation durchführen. Die CIA unterhält etwa eigene paramilitärische Einheiten", sagt Riegler.

Nachrichtendienste haben andere Ziele: "Sie sammeln Informationen, werten sie aus und ziehen Schlüsse daraus. Die Erkenntnisse werden dann an die Politik weiterverteilt", sagt Riegler. Exekutive Befugnisse besitzen Nachrichtendienste aber nicht.

Im Gegensatz zur Polizei kann ein Nachrichtendienst auch abwägen, "nicht sofort einen Zugriff durchführen zu lassen, sondern die Beobachtung fortzusetzen". Die Polizei muss hingegen mit der Justiz kooperieren, Anzeigen erstatten und Anordnungen von der Staatsanwaltschaft einholen.

"Andere Dienste sehen es nicht gerne, wenn ihre Informationen in Strafakten aufscheinen", sagt Riegler. Daher würden diese auch die Zusammenarbeit mit anderen Nachrichtendiensten bevorzugen: "Die haben eher die Tendenz, Wissen für sich zu behalten."

"Nicht-Polizisten haben einen schweren Stand"

Mit dem Abwehramt, das für den Eigenschutz des Bundesheers vor Spionen und Extremisten zuständig ist, und dem Heeresnachrichtenamt als Auslandsnachrichtendienst wurden zwar zwei militärische Dienste geschaffen. Einen Konsens für einen Inlandsnachrichtendienst habe es aber nie gegeben, so Riegler. Auch aufgrund der Erfahrung mit der Nazi-Geheimpolizei Gestapo habe die Politik befürchtet, dass ein Inlandsnachrichtendienst ein Eigenleben entwickelt und der Kontrolle entgleitet.

"Die Politik wollte beim Verfassungsschutz immer Polizisten haben, die vom Bundesminister abhängig sind", sagt Beer. Daher waren Staatspolizei und BVT eine Mischung aus Sicherheitsbehörde und Nachrichtendienst, die an die Kandare genommen wurden. Die neun Landesämter für Verfassungsschutz sind den Landespolizeidirektionen in den Bundesländern unterstellt. Der BVT-Direktor ist dem Generaldirektor für öffentliche Sicherheit untergeordnet, dieser ist hierarchisch dem Innenminister unterstellt.

Aufgrund des Einflusses des Innenministeriums ist der Staatsschutz bis heute auch polizeilich geprägt: "Diejenigen, die keine Polizisten sind, haben im BVT einen schweren Stand: Polizisten sehen Kollegen nur als ebenbürtig an, wenn sie auch Polizisten sind", sagt Riegler.

Das schwäche den Dienst. "Polizisten ermitteln gut, nachdem etwas passiert ist, Nachrichtendienstler sollen Alarm schlagen, bevor etwas passiert. Diesen präventiven Bereich gilt es zu stärken." Daher brauche das BVT mehr Quereinsteiger, Mehrsprachigkeit und externe Expertise: "Der analytisch-nachrichtendienstliche Bereich ist derzeit unterentwickelt", sagt Riegler.

Rechtlich wurde der Bereich mit dem polizeilichen Staatsschutzgesetz 2016 aufgewertet. "Das Gesetz hat die allgemeine Sicherheitspolizei legistisch von den nachrichtendienstlichen Tätigkeiten entkoppelt", sagt Rechtswissenschaftler Konrad Lachmayer von der "Sigmund Freud Privatuniversität". Es erlaubt dem BVT, ohne Einschaltung der Gerichte Observationen und verdeckte Ermittlungen vorzunehmen. Stattdessen muss ein Rechtsschutzbeauftragter den Maßnahmen zustimmen.

Die Konstruktion dieses Beauftragten ist umstritten: "Es ist fraglich, inwieweit er wirklich Rechtsschutz gewährt", sagt Lachmayer. Eine effektive Kontrolle verlange nach richterlicher Unabhängigkeit, die ein Rechtsschutzbeauftragter aber nicht besitze.

Auf diese "gesetzliche Entkoppelung" sei noch keine Trennung auf organisatorischer Ebene gefolgt, sagt Lachmayer. Ein erster Schritt in diese Richtung wurde durch den ersten Teil der BVT-Reform, die im Juli im Nationalrat beschlossen wurde, gesetzt. Sie soll sicherstellen, dass das BVT qualifizierteres und besser überprüftes Personal bekommt.

Weitere Reformen sind laut Riegler aber unabdingbar: "Das BVT war schon vor dem Anschlag ausgelastet." Die 300 bis 400 Mitarbeiter der Behörde - genaue Zahlen sind nicht bekannt - seien vom Cyberbereich, illegalen Waffenhandel über den Personenschutz bis hin zur Terrorismusbekämpfung zuständig.

Zudem könne man sich auch längst nicht mehr auf das Arrangement des Kalten Krieges verlassen: "Warum sollten Islamisten nicht in Wien zuschlagen? Die Idee des neutralen Bodens greift hier nicht mehr. Wien ist ein Ziel wie jedes andere", sagt Riegler. Zudem sei bekannt, dass Staaten und Organisation von Österreich aus Terrorgruppen unterstützen. Zuletzt bereitete etwa ein in Österreich akkreditierter Diplomat aus dem Iran von Wien aus ein Attentat in Paris vor.

Auch staatlich gelenkte Cyberangriffe und Auftragsmorde würden zeigen, dass das Umfeld auch in Österreich rauer werde, so Riegler. Der Präsident des deutschen Bundesnachrichtendienstes Bruno Kahl warnt, dass bei fremden Geheimdiensten weltweit "die Hemmungen gefallen" sind.

"Behörden sind nicht vernetzt"

Ob Österreich einen echten Inlandsnachrichtendienst bekommt, wird sich zeigen. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) hat angekündigt, das BVT in einen nachrichtendienstlichen und einen polizeilichen Arm trennen zu wollen. Riegler geht davon aus, dass eine ernsthafte Reform "Jahre in Anspruch nehmen wird". Insbesondere müsse eine parlamentarische Kontrolle eines solchen Dienstes gewährleistet sein.

Es brauche daher auch kurzfristige Maßnahmen, sagt Riegler. In Österreich müsse "so schnell wie möglich ein gesamtstaatliches Lagezentrum aus dem Boden gestampft werden". Dieses müsse im Bundeskanzleramt angesiedelt sein und mit Abwehramt, Heeresnachrichtendienst, BVT und seinen Landesämtern sowie dem Bundeskriminalamt besetzt sein: "Bisher werden viel zu wenige Informationen ausgetauscht. Auch wäre der Draht zur Politik dadurch viel kürzer." In Deutschland gebe es seit 2004 ein "Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum".

Das Forschungszentrum "Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS)" beschäftigt sich mit regionalen und internationalen Entwicklungen bei den Nachrichten- und Geheimdiensten. Informationen unter: http://www.acipss.org