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Die neue Sozialhilfe verschärft Armut

Von Martina Madner

Politik
Vielen Wohnungslosen, Menschen mit Behinderung, Arbeitslosen und Familien mit Kindern wird mit der neuen Sozialhilfe das ohnehin geringe Geld zum Leben nochmals gekürzt.
© unsplash/Mihaly Koles

Die neuen Gesetze in den Bundesländern bringen weniger Geld gegenüber der Mindestsicherung mit sich: für Wohnungslose, für Arbeitssuchende, für Menschen mit Behinderung - sogar für Familien mit Kindern.


Von Wohnungslosen hört Alexander Machatschke, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (Bawo), zur Zeit Positives: Viele Gemeinden haben ihre Winterpakete, im Rahmen derer sie Menschen ohne fixe Unterkunft sonst Notschlafplätze zur Verfügung stellen, erweitert. Damit gibt es mehr Plätze, oft auch nicht nur in der Nacht, sondern in der Corona-Krise jetzt auch rund um die Uhr ein Dach über dem Kopf.

Nichts desto trotz wurde die Situation für Wohnungslose durch die Krise prekärer. "In den meisten Bundesländern mussten Essensausgaben verkleinert werden, um Abstand halten zu können." In Oberösterreich und Niederösterreich erschwert aber nicht nur die Krise, sondern auch das neue Sozialhilfe-Ausführungsgesetz Wohnungslosen das Leben - ebenso Arbeitslosen, Menschen mit Behinderung, Alleinerzieherinnen, Menschen mit vielen Kindern, allen die auf Sozialhilfe angewiesen sind.

"Oberösterreich und Niederösterreich haben ihre Spielräume nicht genützt", stellt Martin Schenk, Sozialexperte der Armutskonferenz fest. Salzburg, Vorarlberg und die Steiermark ziehen im kommenden Jahr mit ihren Gesetzen nach, letztlich müssen alle Bundesländer das türkis-blaue Sozialhilfe-Grundsatzgesetz umsetzen. Dabei bräuchte es ein neues Gesetz: "Wenn ein Regenschirm nicht den Regen abhält, wenn die Sozialhilfe gerade in der Krise nichts taugt, hat sie ihre Aufgabe verfehlt", sagt Schenk.

Wohnen wird noch unerschwinglicher als zuvor

Krisen verschärfen soziale Ungleichheiten. Die Finanzkrise hat die Anzahl an Wohnungslosen um ein Drittel ansteigen lassen. Ab dem kommenden Frühjahr ist laut Machatschke von Bawo "wieder mit einer großen Welle an Delogierungen zu rechnen, wenn diese nicht mehr ausgesetzt sind".

Zugleich sind laut Grundsatzgesetz 40 Prozent der Sozialhilfe für das Wohnen fix reserviert, in der Mindestsicherung waren es 25 Prozent. Konnten die Menschen günstigeren Wohnraum ergattern, war es möglich, das restliche Geld selbst zu verwenden. Das ist nun in Oberösterreich nicht mehr so: Hier wird die Geldleistung von aktuell 917,35 Euro für Alleinstehende bei Wohnungslosen auf 550 Euro gekürzt. Sie bleiben auf Wohnkosten sitzen: "Ihnen fehlen ja die Belege, wenn sie zum Beispiel bei Bekannten fürs Übernachten etwas bezahlen", sagt Machatschke.

Für den Sozialhilfe-Bezug ist neuerdings eine Meldeadresse - also eine "Hauptwohnsitzbestätigung, in der steht, dass man keinen hat" - und ein Nachweis über einen dauerhaften Aufenthalt an einem Wohnort notwendig: "Mit dieser Hürde fallen wieder Menschen raus". Und: "Sich eine Wohnung zu suchen und Geld für eine Kaution ansparen, geht überhaupt nicht mehr." Wohnkosten werden nun in manchen Bundesländern direkt an Vermieter bezahlt. "Das ist beschämend. Das wäre so, als wenn ihr Arbeitgeber einen Teil ihres Lohns an den Vermieter überweist, dem damit mitteilt, dass Sie mit ihrem Geld nicht umgehen können", sagt Machatschke.

Bundesländer können laut Bundesgesetz zwar zusätzlich Wohnbeihilfe ausbezahlen, sie müssen das aber nicht. Josef Pürmayr vom Armutsnetzwerk Oberösterreich weiß, dass in seinem Bundesland Menschen mit Behinderungen in Wohngemeinschaften der Sozialhilfe-Bezug wegen der Mitbewohner gekürzt wird, "obwohl diese WGs keinen wirtschaftlichen Zweck haben, sondern auf ein eigenständiges Wohnen vorbereiten sollen". Alle mit Sozialhilfe müssten zudem um Wohnbeihilfe ansuchen: "Die wird ihnen aber von der Sozialhilfe wieder als Geldleistung abgezogen. Der Sinn davon erschließt sich mir nicht." Norbert Krammer vom VertretungsNetz, einer NGO, die Menschen mit eingeschränkter Entscheidungsfähigkeit vertritt und berät, berichtet zwar von etwas besseren Lösungen in Vorarlberg und Salzburg, sagt aber ebenfalls: "In Summe gibt es aber überall weniger Geld."

Viel mehr Gegenrechnen auch bei kleinen Zuverdiensten

In Vorarlberg wurde das Pflegegeld schon bisher in Mindestsicherungshaushalten als Einkommen pflegender Angehöriger abgezogen. Mit den Sozialhilfeausführungsgesetzen kürzt nun auch Oberösterreich die Sozialhilfe ums Pflegegeld, künftig auch die Steiermark und Salzburg.

Für Menschen mit Behinderung gibt es laut Krammer in Oberösterreich auch in Wohngemeinschaften weniger Pflegegeld. Er erzählt von einem Mann, der sich in der Einrichtung, in der er lebt, für einige Stunden pro Woche mit Wasch- und Bügelservice bis zu 70 Euro im Monat zur Sozialhilfe dazu verdient hatte. Für Menschen mit Behinderung gab es in der Mindestsicherung eine Freigrenze in Werkstätten circa 107 Euro monatlich. Die ist nun passe: "Mit der neuen Sozialhilfe sind es nur mehr circa 15 Euro pro Monat, alles darüber wird einkassiert", ergänzt Pürmayr. Ein Teil der oberösterreichischen Bezirksverwaltungsbehörden verlangt von Arbeitslosen selbst in der Corona-Krise immer noch zehn Bewerbungsschreiben wöchentlich, "das AMS ja nicht mehr, weil das jetzt ja nichts bringt".

Schifteh Hashemi, Geschäftsführerin des Dachverbands sozialökonomischer Betriebe "arbeit.plus" berichtet ebenfalls von "zusätzlichem Druck auf Menschen, die ohnehin bereits große Existenzängste haben." Die Kürzungen haben auch die Lage der Aufstocker, die Sozialhilfe zusätzlich zu ihrem geringen Arbeitslosengeld erhalten, "besonders verschärft". Mit der Krise, aber auch dem Sozialhilfegesetz, sind auch Weiterbildungsangebote reduziert. Denn: "Der Beschluss des Gesetzes ging mit Kürzungen im arbeitsmarktpolitischen Budget einher."

Kürzungen bei Kindern trotz Verfassungsgerichtserkenntnis

Der Verfassungsgerichtshof hatte Ende 2019 zwar die türkis-blauen Höchstsätze bei Kindern als "sachlich nicht gerechtfertigte und daher verfassungswidrige Schlechterstellung von Mehrkindfamilien" aufgehoben - den Ländern damit Spielräume für ihre Gesetze eröffnet. Vorarlberg nutzt diese, in Niederösterreich aber erhält eine Familie mit vier Kindern im Vergleich zur Mindestsicherung nun monatlich um rund 400 Euro weniger Sozialhilfe, erläutert Erich Fenninger, Geschäftsführer der Volkshilfe Österreich. Auch Salzburg nützte Spielräume kaum: "Eine Alleinerzieherin mit einem Kind erhält künftig um 222 Euro weniger Leistung monatlich, bei zwei Kindern steigt dieses Minus auf über 700 Euro." Fenninger schließt daraus: "Das Sozialhilfe-Bundes- und auch die bisherigen Ländergesetze sind zur Förderung und nicht zur Verhinderung von Armut geeignet."

Zwar hätte ein Bonus in der Sozialhilfe die Anerkennung von Mehrbelastungen von Alleinerziehenden bringen sollen. "Tatsächlich bringt das neue Gesetz aber in der Praxis zusätzliche finanzielle und emotionale Nachteile mit sich", sagt Doris Pettighofer von der Österreichischen Plattform für Alleinerziehende. Der Grund dafür: Die betroffenen Frauen sind - ganz unabhängig von den Erfolgsaussichten - gesetzlich dazu verpflichtet, erst alle anderen Sozialleistungen und Unterhaltsansprüche einzuklagen. Erst wenn das alles gescheitert ist, gibt es Sozialhilfe und den Bonus, das kann lange dauern.

"Diese permanente Beschäftigung mit sinnloser Bürokratie ist verheerend, die Frauen, auch die Kinder, sind oft am Ende ihrer Kräfte. Eine Mutter hat mir das als absoluten Kriechmodus beschrieben", sagt Pettighofer. Im Regierungsprogramm sind keine Änderungen beim Bundesgesetz vorgesehen, die ÖVP beharrt auf dem türkis-blauen Gesetz, die Grünen hoffen weiterhin auf Bundesländer, die Spielräume nutzen.