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Wo kein Wille, da auch kein Weg

Von Manfred Klimek

Politik
© WZ-Illustration

Die SPÖ ist seit 2017 in der Opposition. Wie geht es ihren Funktionären damit?


Um die Stimmung in der SPÖ zu ahnen, muss man mit kleinen und mittleren Mitarbeitern und Funktionären reden. Mit jenen, die an den Parteigrößen dran sind und auch dem Fußvolk zuhören - und die sonst von Medien nie gefragt werden. Es war eine aufwendige Recherche. Rund 60 Telefonanrufe waren nötig, um österreichweit mit 16 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der SPÖ zu reden, der ehemals großen Volkspartei, deren zwei Langzeitvorsitzende Bruno Kreisky und Franz Vranitzky zu Kanzler-Legenden wurden. Die beiden Fragen waren: "Wie geht es in und mit der SPÖ weiter? Und mit wem?" Geantwortet haben nur Männer, die drei kontaktierten Frauen wollten das Telefonat nicht führen.

Antworten wurden zudem nur gegeben, wenn Anonymität zugesichert war. Anonymität nicht aus Angst, sondern deswegen, wie es einer der Befragten gut zusammenfasst, weil "ich mir die Telefonate und die unnötigen Diskussionen nicht antun will". Nachsatz: "Ich habe auch noch ein Leben."

Früher, da galt sozialdemokratischen Funktionärinnen und Funktionären die Partei als Leben. Und das Leben außerhalb des politischen Engagements als untergeordnetes Dasein. Das ist vorbei. Heute sehen die meisten Befragten ihren Job als bloßen Job an, den man so gut wie möglich zu machen hat - ein bisschen was lässt sich ja doch bewegen. Die Hoffnung auf ein Comeback der SPÖ als Volkspartei ist allerdings enden wollend.

"Wir klammern uns viel zu lange nur an das Gestern"

So meint ein Parteifunktionär im Burgenland: "Ich glaube, wir klammern uns in der Partei seit viel zu langer Zeit schon nur an das Gestern, und es herrscht nach wie vor kein Bewusstsein, dass der Kurz-Spuk noch lange kein Ende haben wird. In Eisenstadt sieht man das etwas reeller, was mit Doskozil zu tun hat, den ich als pragmatisch beschreiben will. Er kann gut zuhören, hat auch schnell Lösungen auf dem Tisch, doch fehlt ihm das Zeug zum Kanzler. Ich glaube, dass er nicht so oft mit dem Vorsitz spekuliert, wie man ihm das nachsagt. Aber er genießt es sicher. Die Partei kann er nicht hinter sich vereinen. Das weiß er, denke ich."

Zum burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil haben auch Funktionäre anderer Bundesländer eine Meinung. Etwa ein Kärntner Funktionär: "Dosko wäre an der Parteispitze ein zu großer Unruhepol. Da sehe ich eher noch unseren Peter Kaiser als mögliche Person. Doch ich glaube, der will sicher nicht nach Wien. Das Problem ist, dass alle schimpfen und sich keiner den Job antun will."

Die Partei hat eine Vorsitzende. Wie kommt es überhaupt dazu, deren Position zu diskutieren? Dazu meint ein Wiener Funktionär: "Jeder mag die Rendi. Sie macht es einem auch schwer, sie nicht zu mögen. Aber eines stimmt leider: Sie hat nicht den Zug zur Macht. Der mag dem Ludwig eigen sein, so wie vorher dem Häupl, der Rendi aber ist diese Machtnummer völlig fremd. Und da sind wir beim eigentlichen Problem, bei der Zwickmühle, in der sich die Partei befindet. Einerseits ist es die Aufgabe der SPÖ, endlich auch einmal eine Frau an der Spitze zu haben, andererseits wissen alle, dass Rendi nie Kanzlerin werden wird. Wenn man sie jetzt aber früh abmontiert, machen sich die Abmontierer, die ja im Falle alles Männer sind, schnell bei potenziellen Wählerinnen und auch den Frauen in der Partei unsympathisch. Denn alle wissen: Es gibt eine große Frauensolidarität mit der Vorsitzenden. So wird nichts anders überbleiben, als auf das Unmögliche zu hoffen, dass Rendi die Kanzlerinnen-Kandidatur nicht antritt und wen anderen vorlässt."

"Polarisation wäre jetzt durchaus das Richtige"

Und wer soll das sein? Dazu der Wiener Funktionär weiter: "Das ist die Frage, die sich jetzt keiner stellen will. Die Partei hat in der Frage auf Schweigen geschalten. Entweder es kommt jemand als Retter von außen (lacht), so wie ein Prinz Eisenherz. Oder man lässt Rendi bei den Nationalratswahlen scheitern und denkt dann über einen neuen Vorsitz nach. So oder so wird das alles seine Zeit bauchen und dauern. Und dann bin ich wohl schon in Pension."

Ein anderer, jüngerer Wiener Funktionär sagt: "Derzeit ist kein Lager zu sehen, das sich gegen die Vorsitzende stellt. Das liegt auch daran, dass die, die es könnten, nicht wollen. Oder mit dem Wollen warten wollen. Es gibt aber auf absehbare Zeit sicher keine Sammelbewegung gegen Rendi-Wagner. Denn jeder, der damit anfängt, könnte zwar einen Stein ins Rollen bringen, aber einen Stein, der auch ihn überrollt."

Ein Tiroler Funktionär sagt zur Führungsfrage: "Es ist ja so, dass wir, und ich rede ja mit anderen Leuten aus den Ländern, schon enttäuscht darüber sind, dass Rendi-Wagner ihre berufliche Erfahrung in der Pandemie nicht nutzen konnte. Da hätte sie als noch dazu spezialisierte Ärztin viel Boden gegen die amateurhafte Regierung gewinnen können. Man muss halt leider vermuten, dass sie das nicht kann oder will. Man mag das, wie einige sagen, einen weiblichen Führungsstil nennen, der nicht auf Polarisation setzt. Aber ich sage: Polarisation wäre jetzt durchaus das Richtige. Gegen diese Regierung helfen keine sanften Einwürfe. Wir müssen die Wut der Bevölkerung kanalisieren und den Fluss in unsere Richtung bewegen. Sonst gewinnt wieder nur die FPÖ."

"Die SPÖ hatihre Mitte verloren"

Über die Versäumnisse der Partei sagt einer ihrer Mitarbeiter aus Salzburg: "Ich habe schon länger das Gefühl, die SPÖ hat ihre Mitte verloren. Unsere Wählerschicht macht uns für eine Ausländerpolitik verantwortlich, die auch die ÖVP mitgetragen hat. Aber wahr ist schon: Die SPÖ hat sich manchen Funktionären, die Migranten und viele Muslime vertreten, zu willfährig angebiedert. Es ist halt das Problem auch, dass wir, wenn wir die eine Seite präferieren, die andere Seite verlieren. Wir sind da, wie alle sozialdemokratischen Parteien in Europa, von einer Realität überholt worden, die man nicht kommen sah. Oder kommen sehen wollte. Man kann das blauäugig nennen, aber das positive Menschenbild, das da dahintersteht, ist eben auch Teil der Sozialdemokratie. Soll man das aufgeben? Ich bin da immer noch dagegen. Doskozil ist wohl bereit dazu. Aber damit steht er sehr alleine da."

Ist die SPÖ also schlicht outdated? Derselbe Funktionär erklärt weiter: "Natürlich stellen wir uns oft die Frage, ob wir als Partei einfach weg vom Fenster sind, dass mit uns keine neue Zeit zieht (lacht bitter). Aber dann kommt wieder so ein Wahlerfolg wie in Wien. Und dann denkt man schon: Im städtischen Bereich bleiben wir weiter vorne, sind wir weiter mit dabei. Da verwalten wir gut und sorgen auch, vor allem in Wien, für ein Bild der SPÖ, das modern ist und auch in eine Zukunft weist. Und der Peter Kaiser in Kärnten macht ja auch einen guten Job und zeigt, dass wir auch Landesväter stellen können, die von fast 50 Prozent der Bevölkerung gewählt werden."

"Dieser Parteifehlen die Mutigen"

Ein Mitarbeiter der SPÖ-Niederösterreich ergänzt: "Die SPÖ hat schon Chancen, wieder bald den Kanzler zu stellen. Die sind gering, aber es gibt sie. Da ist zum Beispiel, dass wir eine korrekte und anständige Partei sind, ohne auf Political Correctness herumzureiten. Michael Ludwig macht das in Wien sehr gut, er signalisiert, dass Minderheiten jeder Natur in Wien eine Heimat haben, ohne auf dem Klavier der Anbiederung zu spielen. Wenn man mich fragen würde, dann würde ich sagen, dass Ludwig ins Kanzlerrennen einsteigen soll. In Deutschland wurden ja auch immer die Bürgermeister großer Städte die wichtigen Vorsitzenden der Sozialdemokratie und wie Willy Brandt und Helmut Schmidt auch Kanzler. Ich weiß schon: Solcher Kaliber gibt es heute nicht mehr. Aber der Ludwig hätte das Zeug dazu. Wünschen darf man sich ja noch was (lacht)."

Ein Parteimitarbeiter aus Linz meint abschließend: "Es gibt ein paar Leute in der Partei, die gerne die Papp’n groß aufmachen. Und sie haben mit dem, was sie sagen, auch gar nicht so unrecht. Aber wenn sie gefragt werden, warum sie selber nicht mehr von sich und der Partei fordern, dann machen die schnell einen Rückzieher, weil sie mit ihren Jobs zufrieden sind. Und eigentlich aus ihren Positionen nicht wegwollen. Beobachten. Ein bisschen Senf aus der Tube lassen. Aber dann den Schwanz einziehen. Dieser Partei fehlen die Mutigen."