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Pornos, Bestechung und das BVT

Von Daniel Bischof

Politik

Korruptionsvorwürfe ziehen den Verfassungsschutz in den Sumpf. Nachrichtendienst-Experten analysieren die Hintergründe.


Beamte, die Porno-Anbieter auf ihre Bonität überprüfen. Ein Ex-Abteilungsleiter, der laut Ermittlern einem Verbrecher zur Flucht verhilft. Ein österreichischer Agent, der verdächtigt wird, für Russland zu spionieren. Schwere Vorwürfe prasseln auf das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) ein. Die ohnehin schon angeschlagene Behörde wird immer tiefer in den Sumpf gezogen.

"Das sind teils atemberaubende Verstrickungen, die man sich nicht ausdenken kann", sagt der Historiker und Nachrichtendienstexperte Thomas Riegler. Auch sein Kollege Siegfried Beer ist baff: "Die Bereitschaft, die Vorteile des Nachrichtendienstgeschäfts auch privat zu nutzen: Das ist unglaublich." Den dadurch entstandenen Schaden werde man "nicht so leicht beheben können".

Was ist geschehen? Am Wochenende wurde bekannt, dass der Ex-Nationalratsabgeordnete Thomas Schellenbacher (FPÖ) und der Ex-BVT-Abteilungsleiter W. verhaftet wurden. Die beiden sollen die Flucht des Wirecard-Managers Jan Marsalek nach Weißrussland koordiniert haben. Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt wegen Begünstigung.

Schellenbachs Anwalt bestätigte am Montag, dass sein Mandant den Flug für Marsalek organisiert hat. Strafbar sei das aber nicht, da damals noch kein Haftbefehl gegen Marsalek bestand. Dieser gilt als Schlüsselfigur im Skandal um den deutschen DAX-Konzern Wirecard: Er soll Bilanzen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro gefälscht haben. Vor Auffliegen des Skandals setzte er sich mit einem Privatjet von Bad Vöslau nach Minsk ab. Seit seiner Flucht fehlt von Marsalek jede Spur.

Geld für Informationen

Aber auch andere Beamte gerieten ins Visier der Justiz. Wie die "Presse" berichtet, wurde ein weiterer, früherer BVT-Beamter verhaftet. Er soll ein enger Vertrauter des Ex-Abteilungsleiters W. sein. Gemeinsam mit anderen BVT-Mitarbeitern sollen sie für Wirecard die Bonität von Pornowebsite-Anbietern überprüft haben. Der Hintergrund: Wirecard wickelte für Unternehmen Online-Zahlungen ab - darunter waren auch Porno-Anbieter. "Wirecard hat sein Geld vor allem mit halbseidenen Websites verdient, die hohe Gebühren gezahlt haben. Wirecard wollte offenbar rausfinden, ob diese Anbieter zahlungsfähig sind", sagt Riegler. Für die Beamten wiederum könnte ein lukratives Geschäft gewunken haben: "Nachrichtendienstliches Insiderwissen wird am Markt gut bezahlt."

Genehmigt war diese "Nebenbeschäftigung" laut Innenministerium nicht. Bei mehreren BVT-Beamten hielten Ermittler freiwillige Nachschauen ab. Sie wurden laut BMI bereits suspendiert. Ebenso wie der Beamte, der als Vertrauter von W. gilt. Vor seiner Suspendierung war er der Sicherheitsakademie dienstzugeteilt.

Ursprünglich arbeitete der Beamte für das BVT, er geriet dort aber ins Zwielicht. Er wurde verdächtigt, für Russland zu spionieren. Gegen ihn wird wegen Amtsmissbrauchs und Verrat von Staatsgeheimnissen ermittelt. Er soll für W. auch unzulässige Abfragen im Polizeisystem gemacht haben. Denn nicht nur über die Bonität der Porno-Anbieter dürfte Marsalek im BVT Auskunft erhalten haben: Bereits im Sommer war bekannt geworden, dass er geheime Informationen aus dem BVT zugeschanzt bekommen hatte. Diese dürfte er laut Ermittlern von W. erhalten haben.

Hohe Positionen

W. wurde inzwischen wieder enthaftet, die Ermittlungen laufen weiter. Schellenbacher bleibt in Haft, jedoch wegen einer anderen Causa: Laut "Kurier" soll er Asfinag, Strabag und andere Firmen um Millionenbeträge geprellt haben. Schellenbacher war auch bereits zuvor Ziel von Ermittlungen gewesen. Er soll gegen Geld von ukrainischen Oligarchen 2013 auf einem FPÖ-Ticket in den Nationalrat eingezogen sein. Die Freiheitlichen bestreiten das, die Ermittlungen wurden 2018 eingestellt.

Welche Dimensionen die Vorwürfe haben, zeigt sich an den Positionen der Beschuldigten. W. leitete im BVT die Abteilung "Informationsbeschaffung und Ermittlung". "Mit rund 200 Mitarbeitern ist das die größte und wichtigste Abteilung im BVT. W. war quasi der Chef für das operative Nachrichtendienstgeschäft", erläutert Riegler.

W. ging 2016 in Krankenstand und wurde karenziert. "Es soll offene Rechnung gegeben haben", sagt der Nachrichtendienstexperte. Mit der ÖVP, die im BVT den Ton angibt, soll W. "spinnefeind" gewesen sein. Der Beamte spielte bei der BVT-Razzia im Februar 2018 eine tragende Rolle. Manche sehen in ihm auch den Verfasser eines Konvoluts, in dem BVT-Beamten schwere Delikte vorgeworfen wurden. In nahezu allen Fällen entpuppten sie sich als falsch. W. bestreitet, mit dem Konvolut etwas zu tun zu haben.

Querelen und Eifersüchteleien zwischen verfeindeten Gruppen seien im BVT seit Jahren ein Problem, sagt Riegler. "Die Konflikte in der Belegschaft begleiten das BVT seit seiner Gründung. Die drücken sich im schlimmsten Fall in anonymen Anzeigen aus. Einige wenige Mitarbeiter sind schon länger als ‚weiße Elefanten‘ unterwegs und dürften sich dann auch andere Betätigungsfelder gesucht haben." Diese Probleme müssten rasch behoben werden, mahnt Riegler. Ansonsten ernte man wie bei den jetzigen Vorfällen "die Früchte all dieser negativen Entwicklungen". Es bestehe auch die Gefahr, dass "die Geheimnisse der Republik nicht mehr sicher sind".

Schwache Kontrolle

Für den Nachrichtendienstexperten Beer ist es unverständlich, dass die Malversationen stattfinden konnten: "In solchen Einrichtungen müsste es eine effiziente, interne Kontrolle geben." Selbst nach der BVT-Razzia 2018 sei offenbar nichts geschehen: "Es wurde zwar behauptet, dass es sich etwas gebessert hat. Aber dann kommt so was", kritisiert Beer.

Der Historiker fordert, dass im BVT bei neuem Personal statt Parteibüchern die Qualifikation den Ausschlag geben müsse. Dafür müsse das BVT die Wissenschaft einbinden und Personal an den Unis rekrutieren. Auch brauche es in Österreich einen Koordinator für Nachrichtendienste: "Das ist anderswo längst Standard."