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Die Lehre löst die Leere ab

Von Simon Rosner

Politik

Der Präsenzunterricht in den Schulen kehrt zurück. Ein Wagnis? Eine Notwendigkeit? Über die Genese eines Streitfalls.


Als das Coronavirus nach Österreich kam, war das Schließen von Schulen eine der allerersten Maßnahmen. Nicht, weil man um die Bedeutung der Schule für die Ausbreitung des Coronavirus Bescheid wusste, sondern gerade weil man nichts wusste. Man borgte sich das Wissen von der Influenza, bei der Kinder ihrer umgangssprachlichen Zuschreibung als "Virenschleudern" wahrlich gerecht werden. Vor allem kleine Kinder tragen oft sehr viel mehr Virus als Erwachsene in sich, da sie oft noch nie mit Influenza in Kontakt waren und sich daher das Virus ungehindert vermehren kann.

Da im Frühling nur in ganz wenigen Ländern die Schulen nicht schlossen, dauerte es Monate, bis ausreichend wissenschaftliche Evidenz vorhanden war, um die Rolle von Kindern und der Schule für das Infektionsgeschehnen besser beschreiben zu können. Was bereits früh entdeckt wurde: Infizierte Kinder weisen zwar nicht viel höhere Viruskonzentrationen als Erwachsene auf wie bei der Grippe, aber auch nicht weniger. Das fand das Team um den Virologen Christian Drosten der Charité Berlin in einer Arbeit heraus.

Als dann vor dem Sommer die Bildungseinrichtungen öffneten, wurden nur sehr wenige Infektionen in Schulen registriert. Doch zu diesem Zeitpunkt war eben auch das Virus weitgehend auf Sommerfrische und die Fallzahlen niedrig. Ein weiterer Aspekt ist, dass Kinder, weil sie häufiger symptomlos bleiben, viel seltener getestet werden, und zwar auch nicht als Kontaktpersonen bei Infektionsfällen in der Schule.

Für einige Monate klafften virologische Expertise und epidemiologische Evidenz so weit auseinander, dass sich in dieser Lücke eine emotional geführte Debatte um die Relevanz von Schulen für die Pandemie entwickelte. Wobei weniger die Studien das Problem waren, sondern deren Interpretation, nicht selten beeinflusst vom inneren Wunsch der Rezipienten nach entweder Schulöffnungen oder härteren Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung.

Heute ist die Datenlage, nicht zuletzt durch die Erkenntnisse der zweiten Welle in ganz Europa, besser - und eigentlich unspektakulär. "Das Infektionsgeschehen in Schulen spiegelt jenes in der gesamten Bevölkerung wider", sagt Peter Klimek vom Complexity Science Hub Vienna. Auch die Monitoringstudien von September bis November, die der Mikrobiologe Michael Wagner von der Uni Wien koordinierte, kamen zu dem Schluss, dass die Prävalenz, also das Vorkommen des Virus, eine "ähnliche Größenordnung" aufweist wie in der Gesamtbevölkerung. Das passt also nun auch zur virologischen Evidenz.

Eine Besonderheit der Schule ist nicht nur, dass dort viele Kinder zusammenkommen, sondern dass es sich um ein klassisches Setting für Superspreadings handelt: Innenräume, viele Menschen, enger Raum, viel Kommunikation. Das ist der Stoff, aus dem die Cluster sind. Bis auf Pflegeheime, Krankenhäuser und gewisse Produktionsbetriebe (Schlachthöfe), in denen es große Cluster gab, sind diese potenziell problematischen Orte seit Monaten, wenn nicht länger, geschlossen oder verboten, etwa Fitnesscenter, Diskotheken, Konzerte.

Volksschüler mit geringerem Übertragungsrisiko

Die gesellschaftliche Bedeutung der Bildung einerseits und der auch durch Studien mittlerweile belegte geringere Lernerfolg im Fernunterricht andererseits, bedingen, dass der Druck auf Regierende, den Präsenzunterricht trotz hoher Infektionszahlen wieder zuzulassen, stieg. Frankreich, Spanien und Griechenland haben ihre Schulen auch im Winter offengelassen, ebenso die Schweiz, wo die Fallzahlen dennoch bisher rückläufig sind.

Es ist also nicht gesagt, dass wegen diesem Öffnungsschritt die Inzidenz gleich wieder stark ansteigen wird. Und wenn sie es tut, bedeutet es nicht automatisch, dass der Präsenzunterricht der hauptsächliche Grund dafür ist. Was es jedoch braucht, sind begleitende Präventionsmaßnahmen. Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie des Complexity Science Hub gemeinsam mit der Ages, in der die mögliche Effektivität von Hygienemaßnahmen durchgespielt wurde. "Die Simulationen zeigen, dass mit regelmäßigem Lüften in Kombination mit wöchentlichen Testungen sowie Heimabsonderung der bestätigt positiv Getesteten die Ausbruchsgrößen deutlich reduziert werden können", heißt es.

Die Arbeit, basierend auf Cluster-Analysen, zeigt auch, dass Kinder im Volksschulalter im Vergleich zu Erwachsenen ein um 25 Prozent reduziertes Übertragungsrisiko haben, doch mit jedem Jahr mehr steigt dieses an. In der Oberstufe gibt es keinen Unterschied mehr. Auch Daten aus Großbritannien deuten daraufhin.

Bei Schulen verhält es sich ähnlich wie beim Kinobesuch, dem Shoppen und dem Skifahren. Durch Hygienemaßnahmen kann das Ansteckungsrisiko im Kino, im Geschäft und im Lift deutlich gesenkt werden. Doch was passiert davor und danach? Das ist eine entscheidende Frage für die Entwicklung der kommenden Wochen. Und bei der Schule kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu. Bleiben die Schulen geschlossen, bleiben auch viele Eltern daheim. Das reduziert die Kontakte weiter. Laut einer Schweizer Studie betrug der Effekt sogar 21,6 Prozent - allerdings im März.

In Österreich war es auch damals zwar möglich, Kinder zur Betreuung in die Schule zu schicken, doch davon wurde kaum Gebrauch gemacht. Im dritten Lockdown ist dies anders, worunter auch die Wirksamkeit dieser Maßnahme leidet. Durch deren lange Dauer ist andererseits der Schaden für die Kinder und die Belastung für die Eltern besonders groß. Gegen die Rückkehr des Präsenzunterrichts sprach sich keine der Parlamentsparteien aus.

Rein epidemiologisch ist die Einschätzung von mehr Skepsis getragen. Kritisiert wird auch die Verschiebung der nächsten Monitoringrunde auf März. Der Epidemiologe Gerald Gartlehner nannte dies "absolut unverständlich", es "wäre das ideale Begleitinstrument gewesen". Zwar werden die Schülerinnen und Schüler ein- bis zweimal pro Woche getestet, allerdings nur mit Antigentests, bei denen der Abstrich vom vorderen Nasenbereich genommen wird.

Vergleichsstudien deuten daraufhin, dass dadurch nicht viel weniger Infizierte gefunden werden, allerdings schlagen Antigentests bei asymptomatisch Infizierten grundsätzlich seltener an, da die Viruslast niedriger ist. Wie das konkrete, vom Bildungsministerium angeschaffte Produkt (Lepu Medical) in der klinischen Anwendung tatsächlich abschneidet, noch dazu bei Kindern, die häufiger symptomlos bleiben, ist ebenfalls unklar.