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Grüner Spagat nach Sturmwarnung

Von Karl Ettinger

Politik

Die kleine Regierungspartei wollte keinen Koalitionsbruch riskieren, der Konflikt mit der ÖVP um Abschiebungen geht aber in die Verlängerung.


Es rüttelte kräftig in den Angeln, der böige Wind umwehte die Regierungsgebäude und das Ausweichquartier des Nationalrats in der Hofburg in der Wiener Innenstadt. Der Sturm über Ostösterreich in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag war geradezu symptomatisch für die Vorgänge, die sich innerhalb der grünen Parlamentspartei und mit dem Koalitionspartner ÖVP in diesen frühen Februartagen abspielten. Sturmwarnung war bereits ausgerufen worden, weil Innenminister Karl Nehammer und die ÖVP nach der Abschiebung von Schülerinnen und ihren Familien mit Polizeieinsatz in der Vorwoche keinen Zentimeter zurückweichen wollen. Mit einem Spagat versuchten sich die Grünen vor der Sondersitzung des Nationalrats aus dem Schlamassel zu ziehen: Einen Koalitionsbruch wollten sie nicht erleben, aber mit weiteren Vorschlägen lässt man bei Rechten von Flüchtlingskindern nicht locker, wenngleich die ÖVP wenig später kein Einlenken signalisierte.

Noch während der dreistündigen Unterbrechung zwischen dem Auftakt zur Sondersitzung des Nationalrats und dem Debattenbeginn um 14 Uhr gab es, wie zu erfahren war, hektische Besprechungen bei den Grünen und in der Koalition. Im Plenarsaal gipfelte hingegen die Auseinandersetzung in einer Kontroverse zwischen Minister Nehammer und Ex-Innenminister FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl um die untersagten Kundgebungen am vergangenen Wochenende in Wien und Misstrauensanträgen von FPÖ und auch SPÖ gegen den Innenminister.

Kogler präsentiert Kindeswohlkommission

In der Zwischenzeit war Grünen-Chef Vizekanzler Werner Kogler nach einer internen Krisensitzung noch am Mittwochabend wegen der strittigen Abschiebungen von Kindern um einen Ausweg für das auf Kollisionskurs steuernde Koalitionsschiff bemüht. Kogler stand dabei nicht zuletzt unter Druck der Wiener Grünen, die in einer Erklärung Änderungen bei der Flüchtlingslinie öffentlich gefordert hatten. Am Donnerstagnachmittag überraschte Kogler dann mit der Einsetzung einer eigenen Kommission für den Konflikt um die Abschiebung von Kindern aus Österreich, weil deren Leitung von der ehemaligen Neos-Parlamentarierin Irmgard Griss übernommen wird. Die früherer Präsidentin des Obersten Gerichtshofes und Kandidatin für die Bundespräsidentenwahl 2016 genießt parteiübergreifend einen guten Ruf.

Der Arbeitsauftrag, der ihr von Vizekanzler Kogler mit auf den schwierigen Weg gegeben wurde: Griss soll gemeinsam mit weiteren Experten Empfehlungen ausarbeiten, wie Kindeswohl und Kinderrechte künftig bei der Flüchtlings- und Asylpolitik stärker beachtet werden können. Ein erster Bericht dazu soll bis Mitte des Jahrs vorliegen und veröffentlicht werden. Die Grünen setzen damit vorerst auf eine Entschärfung des akuten Koalitionskonflikts um die Abschiebungspraxis und ein möglicherweise drohendes Ende der türkis-grünen Bundesregierung nach nur gut einem Jahr mitten während de Krise um die Corona-Pandemie. Letzteres sei auch der Hauptgrund gewesen, warum die Grünen einen etwaigen Bruch der Koalition vermeiden wollten, hieß es intern. Auch grüne Landesorganisationen sprachen sich offen gegen einen Regierungsende mitten in der Corona-Krise aus.

Die Kindeswohlkommission unter der Leitung von Griss wird beim Justizministerium angesiedelt, das nach der Babypause in wenigen Wochen wieder von Alma Zadic (Grüne) als Justizministerin geführt wird. Die Kommission wird sich die geltende Praxis bei Asyl- und Bleiberechtsverfahren im Rahmen des Instanzenzugs und im Hinblick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen auch auf EU-Ebene anschauen und vergleichen. Dabei werden Fachleute für Asyl- und Familienrecht mitarbeiten, beigezogen werden unter anderen auch Psychologen, Jugendarbeiter und Behördenvertreter.

Kein Mitstimmen mit Oppositionsanträgen

Schon am Vormittag war klar geworden, dass es die grüne Parteispitze nicht auf ein etwaiges Ende der Regierung mit der ÖVP ankommen lassen will. Die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer teilte in einer Stellungnahme via Austria Presseagentur mit, dass man in der Sondersitzung des Nationalrats nicht mit der Opposition für ein Misstrauen gegen Nehammer stimmen werde. Damit war klar, dass man keinen Koalitionsbruch riskieren wollte. Das Regierungsabkommen sieht zwar im Asylbereich vor, dass die beiden Koalitionsparteien unterschiedlich abstimmen können, wenn man sich zuvor auf keine gemeinsame Linie einigt. So weit wollte die grüne Spitze aber nicht gehen, auch wenn sie unter wachsenden Druck der grünen Basis geraten ist.

Dabei hatte es die SPÖ auf eine besondere Bewährungsprobe angelegt. Von ihr kam ein Antrag, die jüngsten Abschiebungen der Schülerinnnen rückgängig zu machen. Ein solcher Antrag war zuvor bereits im Wiener Landtag mit den Stimmen der Grünen beschlossen worden. Mit einem identen Antrag wollten die Sozialdemokraten die Grünen auf eine Probe im Hohen Haus stellen. Klubchefin Maurer verwies aber darauf, dass es sich dabei nur um einen Entschließungsantrag an die Regierung handle und verwies auf den später von Kogler nachgereichten Plan der Kommission zum Kindeswohl.

ÖVP-Klubobmann Wöginger sah allerdings keinen Grund für eine Änderung der Linie der Partei von Bundeskanzler Sebastian Kurz in der Asyl- und Flüchtlingspolitik. "Wir halten uns an das Regierungsprogramm, dort ist nichts dergleichen verankert", sagte er. Außerdem sei bekannt, dass es in dieser Frage unterschiedliche Positionen der beiden Regierungsparteien gebe.

Schlagabtausch zwischen Kickl und Nehammer

Die Sondersitzung des Nationalrats selbst stand ganz im Zeichen eines beinharten Schlagabtausches zwischen Innenminister Nehammer und den blauen Ex-Innenminister Herbert Kickl, bei dem die beiden einander nichts schenkten. Es war das Nachspiel auf Parlamentsebene um die am Wochenende von der Polizei untersagten Demonstrationen von Gegner der Corona-Maßnahmen der Bundesregierung. Nehammer verteidigte aber in der hitzigen Stimmung die Untersagung mit Hinweis auf die Corona-Gesundheitsgefährdung.

"Es ist um eine politische Auftragsarbeit gegangen", warf Kickl dem Innenminister, der auf der Regierungsbank von drei ÖVP-Ministerinnen flankiert wurde, an den Kopf. Grund für die Untersagung sei "Angst vor der eigenen Bevölkerung" gewesen. Nehammer verwahrte sich dagegen, dass Behörden "Amtsmissbrauch unterstellt" werde. Die FPÖ habe für Sonntag zu einem "Spaziergang" aufgerufen.: "Nein, Herbert, für die Polizistinnen und Polizisten war es kein Spaziergang!" Denn es habe 1.769 Anzeigen und elf Festnahmen gegeben. Neos-Vizeklubchef Nikolaus Scherak wertete das alles nur als "Therapiesitzung", weil die ÖVP Kickl als Innenminister in die Regierung geholt habe.