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Wenn sich Höchstrichter uneins sind

Von Daniel Bischof

Politik

Am Verfassungsgerichtshof soll künftig ein Minderheitenvotum möglich sein. Was spricht dafür und dagegen?


Es ist ein wohlgehütetes Geheimnis: Wie die einzelnen Richter des Verfassungsgerichtshofes abstimmen, bleibt der Öffentlichkeit verborgen. Das Höchstgericht entscheidet zwar grundsätzlich lediglich mit Stimmenmehrheit. Die Richter, die in der Minderheit geblieben sind, können ihre abweichende Meinung bisher aber nicht mit einem Sondervotum kundtun.

Das soll sich nun ändern. Mit ihrem Paket zur Informationsfreiheit will die türkis-grüne Bundesregierung auch die Möglichkeit eines Minderheitenvotums einführen. Bei Fachmännern stößt das auf geteilte Meinungen.

"Ich bin ein Anhänger davon", sagt der Verfassungsjurist Theo Öhlinger. Ein Minderheitenvotum sorge für mehr Transparenz und Rationalität bei den höchstgerichtlichen Entscheidungen. Verfassungsrechtler Peter Bußjäger von der Uni Innsbruck ist hingegen skeptisch: "Dadurch würde das Höchstgericht schon ein wenig gespalten werden."

Ein österreichisches Spezifikum wäre das Sondervotum nicht. Es ist nicht nur im angelsächsischen Recht weit verbreitet. So etwa die Veröffentlichung abweichender Meinungen ("dissenting opinion") am US-amerikanischen Supreme Court. Auch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und am deutschen Bundesverfassungsgerichtshof sind Sondervoten möglich.

Politischer Druck und Transparenz

"Im österreichischen Kontext sehe ich das kritisch", so Bußjäger. Der Hintergrund: Der Verfassungsgerichtshof besteht aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten, zwölf Mitgliedern und sechs Ersatzmitgliedern. Sie werden vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung, des National- oder Bundesrats ernannt.

Ein Sondervotum könnte dazu führen, dass die politischen Parteien auf jene Richter Druck ausüben, die von ihnen entsandt wurden, so Bußjäger. "Sie könnten versuchen, sie dazu zu bringen, in bestimmten Angelegenheiten ihr Abstimmungsverhalten offenzulegen oder ein Sondervotum zu ergreifen", sagt der Verfassungsrechtler. Einzelne Mitglieder könnten sich dadurch genötigt sehen, ihre Meinung gegenüber der Politik zu dokumentieren oder in deren Sinne abstimmen: "Das treibt einen Spalt in das Höchstgericht."

Öhlinger kann dieser Sicht wenig abgewinnen: "Das ist für mich nicht wirklich ein Argument gegen das Sondervotum." Er verweist darauf, dass die Richter unabhängig und unversetzbar sind. Ihr Amt endet automatisch am 31. Dezember des Jahres, in dem sie das siebzigste Lebensjahr vollendet haben. Konsequenzen und direkte Einflussnahmen müssten die Richter daher nicht befürchten, sagt Öhlinger.

Er sieht zahlreiche Vorzüge eines Sondervotums. Es schaffe zwar mehr Arbeit, der Entscheidungsprozess werde aber transparenter. "Die Mehrheit wird dadurch gezwungen, ihre Argumente noch besser zu begründen." Zugleich würde ein Minderheitsvotum auch aufzeigen, dass "man die Sache eben auch anders sehen kann": "Das könnte dann wiederum die zukünftige Judikatur beeinflussen", erklärt Öhlinger.

Davon würde auch die Wissenschaft profitieren. In Deutschland seien Sondervoten zwar nicht der Regelfall, bei grundsätzlichen Entscheidungen aber durchaus üblich. "Das ist dann Anlass für die Wissenschaft, die Entscheidungen noch intensiver zu diskutieren und Schwächen bei der Mehrheitsentscheidung aufzuzeigen", sagt Öhlinger. Er kenne auch niemand in Deutschland, "der verlangt, dass man das Sondervotum wieder abschafft".

Ein solcher Diskurs sei auch in Österreich wünschenswert, sagt Öhlinger. Zumal das Höchstgericht in Österreich zuletzt in wichtigen gesellschaftspolitischen Themen ("Ehe für alle", Verbot der Sterbehilfe) entschieden hat.

Auch zustimmendes Minderheitenvotum geplant

Auch Bußjäger glaubt, dass durch ein Minderheitenvotum "Argumente besser zur Sprache kommen können". Zugleich sei aber fraglich, ob es dadurch im Höchstgericht intern nicht auch deutlich schwieriger werde, Kompromisse zu schließen und "weitreichenden Konsens in den Erkenntnissen herzustellen".

Der Verfassungsrechtler warnt vor legistischen Schnellschüssen. Vielmehr müsse das geplante Sondervotum sorgfältig diskutiert werden: "Die Ansichten des Verfassungsgerichtshofes werden dabei besonders zu beachten sein."

Gegenüber der "Wiener Zeitung" will sich eine Sprecherin des Höchstgerichts zur geplanten Änderung nicht äußern. Man werde zunächst einmal den Gesetzesentwurf mit den konkreten Details analysieren. Bisher stand der Verfassungsgerichtshof dem Sondervotum aber ablehnend gegenüber. "Bereits Anfang der 1990er-Jahre gab es dazu einen Entwurf", sagt Bußjäger. Geworden ist daraus aber nichts: "Der VfGH hat das damals als Angriff auf die Einheit des Gerichts gewertet."

VfGH-Präsident dagegen

Am Dienstagabend meldete sich VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter zu Wort, Er halte von der Idee wenig, sagte er in der "ZiB2". "Ich war immer schon skeptisch, und die Skepsis hat zugenommen." Die 14 Richter "arbeiten als Kollegium unabhängiger Juristen mit dem Ziel, gemeinsame, einheitliche Entscheidungen zu treffen, an denen sich die Bürger orientieren können", so Grabenwarter.

Der neue Entwurf geht nun in die Begutachtung. In seiner derzeitigen Fassung sieht er vor, dass ein Mitglied seinen Standpunkt in einem Sondervotum festhalten kann, wenn "der Beschluss über den Antrag oder die Entscheidungsgründe" gegen dessen Meinung gefasst worden ist. Das würde auch ein Sondervotum ermöglichen, in dem der Richter zwar der Mehrheitsmeinung zustimmt, aber andere oder weitere Gründe dafür geltend macht.