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Wenn Richter Razzien abstempeln

Von Daniel Bischof

Politik
Bei den Haft- und Rechtsschutzrichtern hat sich die Genehmigung mittels Stampiglie eingebürgert. Experten sehen das kritisch.
© adobe stock / Ralf Geithe

Ist der derzeitige Rechtsschutz im Ermittlungsverfahren ausreichend? Manche Fachleute orten grobe Mängel. Eine Analyse.


Wer darf Staatsanwälten künftig Weisungen erteilen? Ist der Bundesstaatsanwalt ein gangbarer Weg? Diese Fragen dominieren derzeit die Justizdebatte. Weitgehend im Dunkeln bleibt hingegen die Überlegung, ob auch die gerichtliche Kontrolle der Staatsanwaltschaften reformiert werden sollte. Dabei handelt es sich auch hier um ein juristisches Streitthema.

"Keine rechtsstaatlich großartige Errungenschaft" nennt Strafrechtler Klaus Schwaighofer von der Uni Innsbruck den derzeitigen Rechtsschutz im Ermittlungsverfahren. Auch für Rupert Wolff, Präsident der Österreichischen Rechtsanwaltskammer, gibt es hier "einiges zum Nachschärfen". Das derzeitige System findet aber auch Unterstützer: Die seriöse Kontrolle der Staatsanwälte durch die Gerichte sei gegeben, sagt Friedrich Forsthuber, Präsident des Wiener Straflandesgerichts.

Große Reform im Jahr 2008

Ausgangspunkt der Diskussionen ist das Jahr 2008. Damals wurde das Ermittlungsverfahren mit einer Reform der Strafprozessordnung neu geregelt. Die Staatsanwälte bekamen deutlich mehr Kompetenzen und wurden dafür zuständig, das Ermittlungsverfahren zu leiten.

Die Untersuchungsrichter, die zuvor eine dominante Rolle im Verfahren gespielt hatten, wurden hingegen abgeschafft und durch den Haft- und Rechtsschutzrichter (HR-Richter) ersetzt. Dieser ist nun für die gerichtliche Kontrolle der Staatsanwälte zuständig.

Die Staatsanwälte können nicht auf Gutdünken Hausdurchsuchungen oder andere Zwangsmittel durchführen. Wollen sie eine Person festnehmen oder ein Büro durchsuchen lassen, müssen sie das beim HR-Richter beantragen. Dieser entscheidet dann, ob er dem Antrag stattgibt.

"Die Staatsanwaltschaften verweisen zwar immer großartig auf diese richterliche Bewilligung. Eine echte Hürde muss da aber nicht überwunden werden", sagt Schwaighofer. Ablehnungen seien so leicht wie Stecknadeln im Heuhaufen zu finden. 2019 wurden laut Justizministerium 5.108 Hausdurchsuchungen bewilligt, während 58 Anträge abgelehnt wurden. Im Jahr 2020 gab es 44 Ablehnungen und 5.122 Bewilligungen.

Der hohe Anteil an Bewilligungen liege daran, dass "die Staatsanwälte sorgfältig arbeiten", sagt Forsthuber: "Sie überlegen sich sehr genau, welche Zwangsmaßnahmen sie beantragen." Wenn die HR-Richter 50 Prozent der Anordnungen nicht bewilligen würden, weil diese jeder Grundlage entbehren, "dann müsste man ja eigentlich die Staatsanwälte sofort austauschen", so Forsthuber.

Der Großteil der Anträge sei gut ausgeführt, sagt auch Rechtsanwalt Wolff: "Die Staatsanwälte leisten gute Arbeit." Dass immer alles supersauber ablaufe, könne aber nicht gesagt werden, so Wolff. "Manchmal sieht man viel zu dünne Anträge, die der Richter eigentlich nicht hätte bewilligen dürfen", kritisiert Schwaighofer. Für Diskussionen sorgt vor allem, dass die Richter ihre Bewilligung nicht schriftlich begründen müssen. Der Hintergrund: Die Arbeit des HR-Richters ist von einem hohen Arbeitsanfall geprägt. "Es ist eine stressbelastete Stelle mit einem sehr hohen Umlauf", sagt Sabine Matejka, Präsidentin der Richtervereinigung.

Nicht nur landen täglich Anträge der Staatsanwälte auf dem Richtertisch. Daneben muss der HR-Richter etwa auch über die Verhängung der U-Haft entscheiden und dazu den Beschuldigten einvernehmen. Zeitintensive kontradiktorische Einvernahmen können ebenfalls zum Tagespensum gehören. Dabei handelt es sich um spezielle, schonende Befragungen der Zeugen im Ermittlungsverfahren - oft geht es dabei um Sexualdelikte.

Stressige Arbeit

Die Arbeit der HR-Richter ist besonders zeitgetrieben, denn gerade bei der U-Haft sind knappe Fristen zu beachten. Vielfach handelt es sich auch um dringliche Angelegenheiten: "Bei einer Festnahme oder Hausdurchsuchung brennt oft der Hut. Da muss schnell gehandelt werden, damit etwa keine Beweismittel vernichtet werden", so Forsthuber.

Aufgrund des hohen Aktenanfalls hat sich beim HR-Richter der Beschluss mittels Stampiglie eingebürgert. Sie ermöglicht es dem Richter, Anträge der Staatsanwaltschaft mit einem Stempelabdruck zu genehmigen, eine Begründung muss er nicht schreiben. "Die Staatsanwaltschaft fügt da auf dem Antrag ein Bewilligungskasterl ein, die Bewilligung wird darauf gestempelt und der HR-Richter unterschreibt noch mit Datum", erklärt Schwaighofer. Der Strafrechtler sieht das kritisch: "Es ist wesentlich zeitsparender, den Stempel darunter zu setzen, als einen Beschluss zu formulieren, warum der Antrag abgelehnt wird." Da die Genehmigung keine richterliche Begründung enthalte, gestalte sich die Anfechtung oft sehr schwierig, sagt Wolff. Matejka erklärt ebenfalls, "keine Freundin der Stampiglie" zu sein.

Neben der Stampiglie sieht Schwaighofer auch weitere strukturelle Probleme bei den HR-Richtern. Die Position gilt als Einstiegsposten in die Richterlaufbahn: "Er scheint auch kein beliebter Job zu sein. Sobald sich eine bessere Position ergibt, bewirbt man sich da eher weg." Bei den Untersuchungsrichtern habe es hingegen noch einige gegeben, "denen das wirklich getaugt hat": "Die sind dann bis zur Pensionierung U-Richter geblieben." Er frage sich, ob es "verantwortungsvoll ist, da die ganz jungen Richter und Richterinnen hinzusetzen".

Generell sei es der übliche Karriereweg im Strafrecht, als HR-Richter anzufangen und dann in eine Abteilung für Hauptverhandlungen zu wechseln, sagt Matejka. "Man kann aber nicht sagen, dass das nur ganz junge Richter sind. Es gibt auch Kollegen, die das dauerhaft und gerne viele Jahre lang machen."

Anfänger und Primare

Wolff macht darauf aufmerksam, dass es überall Berufseinsteiger gibt: "Wenn man verunglückt und ins AKH eingeliefert wird, hat man keinen Anspruch darauf, dass der Primar operiert. Da wird auch der eine oder andere Anfänger dabei sein." Es würde aber wohl nicht schaden, den Posten "justizintern attraktiver auszugestalten", so der Rechtsanwalt.

Eine Verbesserung erhofft sich Matejka vor allem durch die Digitalisierung. Der digitalisierte Akt werde für HR-Richter "den Austausch und Zugang zu Dokumenten deutlich erleichtern". In der Praxis müsse die Staatsanwaltschaft aber auch darauf achten, den HR-Richtern genügend Zeit zur Entscheidungsfindung zu lassen. Für justizinterne Debatten hatte etwa die BVT-Razzia im Jahr 2018 gesorgt: Hier hatte die Staatsanwältin spätabends beim zuständigen Richter telefonisch um die Genehmigung angesucht. Sie wurde zunächst mündlich erteilt, am nächsten Tag wurde die Anordnung dann auch schriftlich vom Richter unterzeichnet.

"Eine Massenabfertigung"

Ein Zurück zum U-Richter befürworten weder Wolff noch Schwaighofer. "Das System ist inzwischen etabliert und an sich vernünftig", so Schwaighofer. Es müsse aber sichergestellt werden, dass der HR-Richter die Bewilligung im Regelfall schriftlich begründe: "Es gibt Fälle von Gefahr im Verzug, wo es nicht anders geht, als schnell zu handeln." Bei Anträgen, wo das aber nicht der Fall sei, "sollte der Richter eine Begründung schreiben, den Verdacht konkret darlegen und erklären, warum das Zwangsmittel verhältnismäßig ist".

Das würde die Qualität der Entscheidungen verbessern, aber auch den Handlungen der Staatsanwaltschaft noch mehr Legitimität verschaffen. Diese schriftliche Begründungspflicht müsste dann wohl auch mit einer deutlichen Erhöhung der HR-Posten einhergehen, betont Schwaighofer.

Während der öffentliche Fokus derzeit vollends auf dem Bundesstaatsanwalt liegt, ist eine Reform bei den HR-Richtern derzeit aber nicht in Sicht. Dabei sei eine solche aus rechtsstaatlicher Sicht aber notwendig, sagt Schwaighofer. Denn derzeit habe der Gesetzgeber das System vom Ablauf und der Personalausstattung so vorgegeben, dass "das alles in einer Art Massenabfertigung passieren muss".